„Elterntaxis“ sorgen morgens und mittags für Chaos vor vielen Schulen

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STUTTGART. Vor vielen Schulen herrscht morgens Ausnahmezustand: Besorgte Eltern, die ihre Kleinen am liebsten bis vors Klassenzimmer kutschieren würden, provozieren damit oft erst recht gefährliche Situationen.

Eltern möchten, dass ihre Kinder sicher zur Schule kommen – und gefährden nicht selten andere Kinder. Foto: Shutterstock

Kurz vor acht Uhr morgens wird es vor der Stuttgarter Grundschule Sommerrain hektisch. Gleich beginnt die erste Stunde und auf der schmalen Straße rollt Auto um Auto heran. Türen werden aufgerissen, Schulranzen aus Kofferräumen geladen. Einige Eltern nehmen ihre Kinder an der Hand und geleiten sie bis vors Schultor. Andere Sprösslinge hüpfen unbekümmert auf der Straßenseite aus dem Wagen – ohne zu gucken, ob bereits das nächste Auto kommt.

Mit jedem haltenden Auto füllt sich die Liste der Mitarbeiter des ACE Auto Club Europa. Sie haben sich an diesem Montagmorgen vor der Schule positioniert, um mögliche gefährliche Situationen im Straßenverkehr zu dokumentieren. Im Halteverbot geparkt? Ein Strich. Auf dem Gehweg gehalten? Strich. Auf der Fahrbahnseite ausgestiegen? Noch ein Strich.

Über 50 Autos zählen sie, 18 Verkehrsverstöße halten sie fest. Dabei wohnen viele der rund 450 Grundschüler nur wenige Minuten Fußweg entfernt. «Vor vielen Schulen im Land herrscht vor Schulbeginn Chaos», sagt Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne).

«Wir waren überrascht, wie viele Eltern ihre Kinder fahren», berichtet der Regionalbeauftragte des Autoclubs, Reinhard Mohr, und schildert eine besonders brenzlige Situation: Ein «Elterntaxi» hielt mitten auf der Straße an. Ein Kind stieg aus, ohne auf den Verkehr zu achten – und wurde fast von einem Postmitarbeiter auf einem Elektrorad erfasst. «Er konnte gerade noch abbremsen.»

Und was sagen die Chauffeure? Der Vater eines Zweitklässlers hat seinen Wagen «nur kurz» im Kreuzungsbereich gestoppt. Den rund 20-minütigen Schulweg möchte er seinem jungen Sohn noch ersparen, erklärt er. «Wenn er größer ist, dann kann er sich auch allein an der Straße zurechtfinden.» Auch die Mutter eines anderen Zweitklässlers findet es sicherer, ihren Jungen zur Schule zu fahren.

Eine andere Mutter argumentiert, es sei einfach praktischer, den Nachwuchs auf dem Weg zur Arbeit mitzunehmen und direkt vor der Schule abzusetzen. Dagegen nur ausnahmsweise fährt die Mutter einer Viertklässlerin mit dem Auto vor, wie sie versichert: «Wir haben wegen der Zeitumstellung verschlafen.» Normalerweise laufe die Tochter. «Heute musste es einfach schnell gehen.»

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Man höre oft ähnliche Argumente, sagt Mohr: Die Eltern haben es eilig, müssen Termine wahrnehmen, das Kind in den Tagesablauf integrieren. «Bequemlichkeit kommt eher nicht zur Sprache.»

Die Sommerrainschule bemüht sich aktiv, den Verkehr vor den Klassenzimmern einzudämmen. Wer sein Kind anmeldet, bekommt ein Merkblatt ausgehändigt. Die Bitte darauf: Den Nachwuchs zu Fuß zur Schule bringen – oder, wenn nicht anders möglich, zumindest in einiger Entfernung an sicheren Stellen zu parken. Schüler, die zu Fuß kommen, sammeln außerdem Punkte. Das soll Anreize schaffen und – so die Hoffnung – mit den Kindern die Eltern gleich miterziehen.

«Viele Eltern wissen eigentlich, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung ist», sagt Schulleiterin Ruth Möller. Doch gerade Familien, die im näheren Umkreis leben, seien mitunter am schwersten zu belehren. Dabei hat sie auch Verständnis für manche Sorgen. 2016 war es in der Nähe der Schule zu einem schweren Unfall gekommen. Ein Lastwagen hatte eine rote Ampel übersehen und einen Grundschüler erfasst. Der Junge überlebte schwer verletzt. «Das allerwichtigste ist, dass die Kinder gesund hier ankommen», sagt Mohr. Darum trainieren Lehrer zweimal jährlich den Schulweg mit den Klassen.

Unterstützt wird Möller vom Verkehrsministerium. An vielen Schulen im Land seien es gerade die Eltern, die zum Verkehrschaos und damit auch zur Unfallgefahr beitragen würden. Beim Rangieren vor den Schulen entstünden oft gefährliche Situationen. Minister Hermann will Eltern mehr in die Pflicht nehmen: «Sie missachten, dass sie durch ihr Verhalten die Sicherheit aller anderen Kinder im Verkehr gefährden.». Kinder sollten frühzeitig lernen, sich im Straßenverkehr zu bewegen. Nicht zuletzt sei das zu Fuß gehen auch gesünder.

Hermann hat die Schirmherrschaft für die bundesweite ACE-Aktion «Goodbye Elterntaxi» übernommen. Noch bis zu den Sommerferien analysieren Ehrenamtliche des Autoclubs die Situation vor ausgewählten Schulen. In Baden-Württemberg sind 13 Aktionen geplant. Von Christine Frischke, dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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