Gemeinschaftsschule? Striktes Nein! SLV grätscht in die Koalitionsverhandlungen

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RADEBEUL. Der Sächsische Lehrerverband (slv) macht kurz vor Ende der Koalitionsverhandlungen in Sachsen Stimmung gegen die Gemeinschaftsschule und spielt sich dabei den Ball mit dem Kultusministerium zu. Das ist auch ein Affront gegen SPD und Grüne.

Die Gemeinschaftsschule ist für die CDU ein wenig attraktives Modell – muss sie die Kröte trotzdem schlucken? Foto: Shutterstock

Der Sächsische Lehrerverband hat erneut vor einer Gemeinschaftsschule gewarnt und damit die Debatte um diese Schulart neu entfacht. Die zusätzliche Schulart biete nichts, was eine Oberschule nicht leisten kann oder könnte, erklärte Verbandschef Jens Weichelt am Donnerstag in Radebeul. Aus der Landtagswahl folge kein «Wählerauftrag für Experimente am Schulsystem»: «Unser Schulsystem darf keine Experimentierwiese für Parteiinteressen sein.»

Das längere gemeinsame Lernen in einer Gemeinschaftsschule ist nicht nur eine Forderung von Linken, Grünen und der SPD. 2017 ergab eine Umfrage des Emnid-Instituts 2017, dass zwei Drittel der Eltern die bislang übliche Aufteilung der Kinder nach Klasse 4 ablehnen.

50.000 Unterschriften für die neue Schulart

Ein Verein hatte in diesem Jahr mehr als 50.000 Unterschriften für die neue Schulart gesammelt und damit die Bedingung für einen Volksantrag erfüllt, mit dem sich nun der Landtag zu befassen hat. Demnach soll die Gemeinschaftsschule als Option ins Schulgesetz aufgenommen werden. Um eine Abschaffung des bestehenden sächsischen Schulsystems geht es also nicht.

Auch bei dem laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, Grünen und SPD zur Bildung einer gemeinsamen Regierung ist die Gemeinschaftsschule ein Streitpunkt. SPD-Chef Martin Dulig hatte nach dem Ende der Sondierungen bereits verkündet, dass der Weg für diese Schulart in Sachsen nun frei ist.

Regierungschef Michael Kretschmer dämpfte auf dem CDU-Parteitag am vergangenen Samstag allerdings Hoffnungen auf eine schnelle Einigung. «Wir können uns Veränderungen vorstellen, aber eben nur dann, wenn sie in der Qualität uns weiter nach vorne bringen. Das, was derzeit vorliegt als Volksantrag, ist das noch nicht.»

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Am Donnerstag veröffentlichte das Kultusministerium in seinem Blog ein Interview mit Petra Stanat, Chefin des Institutes zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), und zitierte sie auch mit folgender Aussage: «Mir persönlich ist nicht klar, warum man den Aufwand betreiben will, eine weitere Schulart einzuführen, zumal in einer Zeit, in der aufgrund des Lehrkräftemangels in Sachsen erhebliche Herausforderungen zu bewältigen sein werden.»

„Kultusministerium und Lehrerverband erstaunlich einig“

«In erstaunlicher Einigkeit versuchen Kultusministerium und Sächsischer Lehrerverband direkten Einfluss auf die Koalitionsgespräche zu nehmen», erklärte Uschi Kruse, Landesvorsitzende der GEW, die den Volksantrag unterstützt. Dabei sprächen über 50.000 Unterschriften für die Gemeinschaftsschule eine deutliche Sprache: «Die Politik soll diese Schulart einführen. An keiner anderen Stelle war in den letzten Jahren der Bürgerwillen so deutlich erkennbar.»

Das «Bündnis Gemeinschaftsschule in Sachsen» warf dem Lehrerverband unter anderem vor, fortwährend falsche Behauptungen zu wiederholen. Mit der Einführung von Gemeinschaftsschulen als zusätzliche Schulart werde auch ein Beitrag zur Weiterentwicklung der Unterrichtsqualität geleistet, betonte Burkhard Naumann, Koordinator des Bündnisses.

«Wenn in Sachsen 50.000 Bürgerinnen und Bürger einen Volksantrag zur Einführung der Gemeinschaftsschule einreichen, dann ist die Politik in der Verantwortung, sich mit diesem Wunsch ernsthaft und intensiv auseinanderzusetzen», erklärte SPD-Bildungsexpertin Sabine Friedel in einem Offenen Brief an den Lehrerverband: «Die von Ihnen wiederholt aufgeführten Kampfbegriffe tragen nichts dazu bei, einen sächsischen Schulfrieden zu schaffen.» Die gemeinsamen Energien sollten lieber auf die Erhöhung der Unterrichtsqualität fokussiert werden.

„Gehe davon aus, dass der Landtag dem längeren gemeinsamen Lernen zustimmt“

«Diese konzertierte Panikmache dient offenbar nur als Störfeuer bei den laufenden Koalitionsverhandlungen», hob Linke-Politikerin Luise Neuhaus-Wartenberg hervor. Zugleich würden in verantwortungsloser Weise Schüler, Eltern und Lehrer verunsichert: «Ich gehe deshalb davon aus, dass der Landtag dem Volksantrag für längeres gemeinsames Lernen zustimmen wird.» dpa

Die Pressemitteilung des SLV

„Das sächsische Schulsystem braucht Lehrer, keine Schulstrukturdebatte!“ So überschreibt der Sächsische Lehrerverband (SLV) eine heute herausgegebene Pressemitteilung. Darin heißt es: „Maßnahmen gegen den anhaltenden Lehrermangel sind die größte Herausforderung für künftige Bildungsqualität im Freistaat Sachsen. Viel wichtiger als strukturelle Experimente am sächsischen Schulsystem sind deshalb Investitionen in die Unterrichtsqualität und eine ausreichende Lehrerversorgung.“

Kritisiert die Personalpolitik des Sächsischen Kultusministeriums: Jens Weichelt. Foto: Sächsischer Lehrerverband
Kämpft gegen die Gemeinschaftsschule: SLV-Chef Jens Weichelt. Foto: Sächsischer Lehrerverband

Der SLV verweist auf den aktuellen IQB-Bildungstrend, Nachfolge-Studie des PISA-Bundesländervergleichs. Prof. Petra Stanat, Direktorin des IQB, hat das konstant gute Abschneiden des Freistaates im bundesweiten Ländervergleich auch mit den stabilen, verlässlichen Schulstrukturen begrändet. „Schulstrukturelle Veränderungen sind immer mit erheblichem Aufwand verbunden und können Ressourcen binden, die dann nicht mehr für die Weiterentwicklung von Unterrichtsqualität zur Verfügung stehen“, erklärt Stanat in einem Interview – das das CDU-geführt Sächsische Kultusministerium auf seiner Seite veröffentlicht hat. Und auf den Unterricht komme es an.

Der Sächsische Lehrerverband warnt deshalb vor „Schulstrukturexperimenten“. „Der Freistaat braucht keine zusätzliche Schulart wie die Gemeinschaftsschule, weil sie nichts bietet, was eine Oberschule nicht leisten kann oder könnte.“

Seit Jahrzehnten gebe es in vielen Bundesländern politische Auseinandersetzungen um Gemeinschaftsschulen und Strukturreformen – mit ernüchternden Ergebnissen. „Mit dem Volksantrag zur Einführung von Gemeinschaftsschulen hat die Schulstrukturdebatte ausgerechnet Sachsen erreicht, dessen nachweislich erfolgreiches Schulsystem sich andere Bundesländer mittlerweile zum Vorbild genommen haben“, so heißt es.

„Kein Wählerauftrag für Experimente am Schulsystem“

„Bei einer Analyse des Ergebnisses zur Landtagswahl gibt es keinen Wählerauftrag für Experimente am Schulsystem“, meint Jens Weichelt, Landesvorsitzender des SLV. Die Parteien, die den Volksantrag zur Einführung von Gemeinschaftsschulen in Sachsen unterstützten, hätten in der Summe Wählerstimmen verloren.

Der Volksantrag „Längeres gemeinsames Lernen in Sachsen“ ist der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Gemeinschaftsschule im Freistaat. Aber „länger gemeinsam“ sei eben ein positiv besetzter Begriff, mit dem sich gut werben lasse. „Selbst wenn der Volksantrag unverändert durch den Landtag beschlossen würde – die Schüler werden keineswegs länger gemeinsam lernen, weil bei entsprechender Bildungsempfehlung weiterhin das Gymnasium ab Klasse 5 favorisiert wird“, meint Weichelt.  Eine zusätzliche Schulart gefährde allerdings andere Schulstandorte. Generell sei davon auszugehen, dass nur große Schulgebäude für staatliche Gemeinschaftsschulen in Frage kämen. Weil es aber nunmal keine zusätzlichen Schüler gebe, werde die Schülerzahl an den bestehenden Oberschulen sinken.

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

„Kampf gegen Gleichmacherei“: Der Volksantrag zur Einführung der Gemeinschaftsschule in Sachsen wird zum bundesweiten Politikum

 

 

 

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Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor

Sag ich doch, „Volkes Stimme“ zählt immer nur, wenn sie mit den eigenen Interessen übereinstimmt.

Mehrheit will längeres gemeinsames Lernen, also muss es laut SPD, Linke, Grüne, AfD sein – aber CDU und SLV dagegen.

Mehrheit will Kopfnoten, also muss es laut CDU, SLV, AfD sein – aber SPD, Linke, Grüne wollen das nicht.

(Die FDP-Positionen sind mir gerade unbekannt.)

Wer wundert sich da noch über Politikverdrossenheit?!?

Bernd
4 Jahre zuvor
Antwortet  Herr Mückenfuß

Es gibt in Sachsen genau einmal „Volkes Stimme“ – und das war die Landtagswahl mit ihrem bekannten Ergebnis. Es gibt darüber hinaus zu gewissen bildungspolitischen Fragen lediglich Unterschriftensammlungen, Umfragen, Behauptungen – aber kein Votum. Aus dem Wahlergebnis können Sie schwerlich eine Mehrheit für irgendeine konkrete schulpolitische Maßnahme herauslesen. Doch selbst wenn: Es ist völlig legitim, wenn Parteien versuchen, für ihre Positionen einzustehen. Dafür sind sie ja da. Wieso das Politikverdrossenheit schüren soll, erschließt sich mir nicht.

Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Ach, Quatsch. Da kommen Sie mal wieder mit Ihrer „Ostdeutschen-Hetze“, will mir scheinen (Ihr Bezug auf das Wahlergebnis in Sachsen) und spielen sich an anderer Stelle als Menschenrechtsverfechter auf. Damit ist es eben nicht weit her, wie man an Ihren Kommentaren gut erkennen kann.

Ob Ihnen das nun passt oder nicht, quer durch alle Parteien redet man vom Bürgerwillen, von Umfragen, von Volkes Stimme – übrigens auch von Volksentscheiden, Volksbegehren, Volksbefragungen, Volksvertretern und Urteilen im Namen des Volkes usw.

Meine Kritik richtet sich dagegen, dass Politiker sich auf „Volkes Stimme“ berufen, wenn ihnen die Mehrheitsmeinung der Wahlbürger in den Kram passt; wenn aber nicht, dann pfeifen sie auf „Volkes Stimme“ und argumentieren wie Sie. Eben das erzeugt Politik(er)verdrossenheit – ganz unabhängig davon, ob sich das Ihnen erschließt oder nicht.

Bernd
4 Jahre zuvor
Antwortet  Herr Mückenfuß

„Ach Quatsch!“ Ist das der DDR-Kommandoton?

Ich kenne nur drei Parteien in Deutschland, die sich auf „den Volkswillen“ berufen: die NSDAP, die SED – und die AfD.

Für Ihre Behauptungen, mit denen Sie demokratische Politiker pauschal verunglimpfen, werden Sie aber sicher noch Belege anführen.

Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

@ Bernd, nö, Sie haben mir diesen unsachlichen und falschen und lächerlichen Vorwurf schon einmal gemacht und ich hielt Ihnen drei Belege von Parteien dagegen, die Sie oben nicht erwähnt haben.

Für Ihre Bildungslücken fühle ich mich nicht verantwortlich und Privatunterricht erteile ich hier nicht. Informieren Sie sich selbst und machen Sie sich nicht selbst zum Maßstab. Nur weil Sie etwas nicht wissen, heißt das noch lange nicht, dass es das auch nicht gibt.

Melden Sie sich doch mal in einen VHS-Kurs an. Möge die Übung gelingen!

Bernd
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Es ist eine „Bildungslücke“, wenn man keinen Beleg für Ihre Behauptungen kennt, und Ihre Weisheiten werden in der Volkshochschule gelehrt? Wer sind Sie denn – Kim Jong Un?

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Wieso gibt es sie denn dann?

Pälzer
4 Jahre zuvor

Warum steht „grätscht“ im Titel? Dass ein Lehrerverband während schulpolitischer Diskussionen seine Sichtweise äußert, sehe ich nicht als foul, sondern als normale Interessenvertretung. Oder möchte News4T. sich inhaltlich positionieren?