Das Männerbild gerät ins Wanken! Gehören Geschlechterrollen als Thema in die Schule?

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ZÜRICH. Ein Psychiater begeistert mit Vorträgen über das Patriarchat, ein Schauspieler eckt an, weil er ein Baby im Tragetuch trägt. Das Männerbild unserer Gesellschaft ist ins Wanken geraten – und die Positionen liegen weit auseinander.

Was macht den Mann zum Mann? Foto: Shutterstock

Sind Männer nicht mehr zeitgemäß? So hat die Schweizer «Weltwoche» ihre eher konservativen Leser in diesem Jahr alarmiert und der bedrohten Männlichkeit eine Titelgeschichte gewidmet. Seit vielen Jahren halte der Trend zu mehr Beteiligung der Männer an Haushalt und Familie an. Für die Wochenzeitung bleibt da die traditionelle Männlichkeit auf der Strecke. Was muss der Mann heute sein? Mitfühlend oder machohaft, liebevoll oder hart? Brauchen die, die einst als «starkes Geschlecht» galten, Mutmacher?

Am 19. November ist Internationaler Männertag, der unter anderem den Beitrag der Männer zur Gesellschaft zelebrieren soll. Das Männerbild hat sich stark gewandelt, und manchen verunsichert das. Viele Männer seien in der Krise, sagt Toni Tholen, der an der Universität Hildesheim zu Männlichkeit forscht. «Sie hören, sie sollen dies und das nicht sein, und fragen: was sonst?»

Das alte Rollenbild von „toxischer Männlichkeit“

James Bond-Darsteller Daniel Craig stand vor einem Jahr im Zentrum einer Debatte, weil er auf einem Foto mit Baby im Tragetuch vor dem Bauch zu sehen war. Ein für seine ätzenden Kommentare bekannter britischer TV-Moderator höhnte auf Twitter: «Oh, 007 … nicht auch noch Du?» mit dem Schlagwort #emasculatedBond (entmannter Bond).

US-Psychologen sprechen in der Forschung zum Rollenbild Mann seit ein paar Jahren von «toxischer» oder «schädlicher Männlichkeit». Wenn kleine Jungen mit einem Ideal aufwachsen, das von ihnen verlange, Emotionen zu unterdrücken und dominant und aggressiv aufzutreten, sei Gewalt programmiert, so der US-Fachverband für Psychologie (APA). Manche Männer reagierten mit Gewalt, wenn sie in einer Beziehung ihre idealisierte männliche Identität bedroht sähen.

Die Vorstellung von Männern als Helden und Krieger habe zwar ausgedient, aber ein Vakuum hinterlassen, sagt Tholen. In der Lücke seien heute Leute wie die Präsidenten der USA, Russlands, der Türkei und Brasiliens präsent. «Alphatierchen wie Trump, Putin, Erdogan und Bolsonaro erobern die Definitionsmacht, was männlich ist. Je rechter, desto mehr traditionelle Rollenglorifizierung», so Tholen.

„Ordnung ist männlich, Chaos ist weiblich“

Verunsicherten will der kanadische Psychiater Jordan Peterson helfen. Er propagiert in seinem Bestseller «12 Rules For Life: Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt» Thesen über ein naturgegebenes Patriarchat oder Konzepte wie «Ordnung ist männlich, Chaos ist weiblich». Bei Vorträgen in aller Welt jubeln ihm Tausende – vor allem Männer – zu. Seine Anhänger nennen sich «Hummer», weil der Kanadier in seinen hunderttausendfach angeklickten Vorträgen auf YouTube die Hummer als Beleg dafür nennt, dass männliches Dominanzverhalten von Natur gegeben sei.

Beim Rollenmodell «Ich Tarzan, Du Jane» sei die Harmonie der Geschlechterrollen noch in Ordnung gewesen, meint der «Weltwoche»-Autor in seinem Artikel. Für die neue Rolle der Männer hat er wenig übrig: «Diese Mischmasch-Männlichkeit mit dem Ausleben der sogenannten weiblichen Seite im Mann ist in etwa so prickelnd wie alkoholfreies Bier.»

Hat sich die Rolle des Mannes in der Gesellschaft tatsächlich so stark gerändert? Unter den Erwerbstätigen mit Kindern sind 94 Prozent der Väter in Vollzeit beschäftigt, aber nur 34 Prozent der Mütter, schreibt das Statistische Bundesamt 2018. Ein Jahr früher hieß es im Gleichstellungsbericht der Bundesregierung: Frauen verbringen im Schnitt täglich 87 Minuten mehr Zeit als Männer mit Haushalt, Kinderbetreuung, Pflege und Ehrenamt. Auch an Sonntagen leisten Frauen deutlich mehr unbezahlte Arbeit, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) feststellt. Es könne also nicht daran liegen, dass Männer wegen Vollzeitjobs weniger Zeit hätten.

Bei der Elternzeit ist der Anteil der Männer, die davon Gebrauch machen, zwar seit Einführung des Elterngeldes 2007 von etwa drei Prozent auf 37 Prozent im Jahr 2016 gestiegen. Im Vergleich dazu nehmen aber mehr als neun von zehn Müttern Elternzeit, schreibt das DIW. Zudem bleiben Frauen viel länger bei den Kleinen: Sie nahmen 2018 im Durchschnitt 14,2 Monate, Männer 3,8 Monate Elternzeit. «Väter halten sich in Sachen Elternzeit vor allem aus finanziellen Gründen zurück, zudem befürchten viele negative berufliche Konsequenzen», so das DIW.

„Abwertung der Männlichkeit in der Gesellschaft“

Warum bleiben nicht mehr Männer zu Hause und lassen die Frauen Karriere machen? «Ich glaube nicht, dass das funktioniert», sagt Peterson in einem Interview mit der «Zeit». «Insbesondere, weil Frauen den niedrigeren Status ihrer Männer nicht tolerieren können, der damit verbunden ist.» Frauen werfen dem Psychiater vor, er festige bei verunsicherten Männern reaktionäre Geschlechtermodelle.

Eine «Abwertung der Männlichkeit in der Gesellschaft» will auch der Psychologe Bjørn Thorsten Leimbach ausgemacht haben. Der Mann müsse «von weiblichen Normen, Regeln und Verhaltensweisen» befreit werden, «damit die maskuline Seele des Mannes (wieder) fliegen lernt», heißt es auf seiner Webseite. Wie aus Männern «Herzenskrieger» werden, zeigt Leimbach ihnen in Seminaren, 690 Euro für vier Tage.

Ein Refugium bietet auch der Schweizer Daniel Rasumowsky, Mitgründer der Messe «Man’s World» mit Flugsimulator, Whiskey-Tasting und anderem, was Männer vermeintlich glücklich macht. Er war zuletzt im Oktober in Hamburg damit erfolgreich. Rasumowsky geht es nicht um Männlichkeitskult, wie er sagt. «Man’s World maßt sich weder an, Männlichkeit zu definieren, noch Gender-Fragen zu beantworten», sagt er. «Es ist eine für die Zielgruppe Männer kuratierte Erlebnis- und Einkaufswelt.»

«Ich habe Sorge, dass sich Werte durchsetzen, mit denen wir ins Mittelalter zurückstürzen», sagt Männlichkeitsforscher Tholen. Er findet, es müssten viel mehr alternative Geschlechtervorstellungen entwickelt werden: «solche, die herrschafts- und gewaltfreier sind». Das Thema Geschlechterrollen gehöre schon in die Schule, fordert er. Von Christiane Oelrich, dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Experten schlagen Alarm: Die Jungen werden in der Schule abgehängt! Aber woran liegt das?

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xxx
4 Jahre zuvor

Kann man die Menschen nicht einfach leben lassen, wie sie es selbst für richtig, wichtig und / oder notwendig halten? Solange keine Gesetze verletzt oder das Zusammleben oder Funktionieren der Gesellschaft über die Maßen gestört wird, brauchen keine Soziologen darauf Einfluss zu nehmen versuchen.

AvL
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

@XXX
Um eine eventuelle Einflussnahme von Soziologen auf das Zusammenleben oder Funktionieren der Gesellschaft geht es in diesem Artikel gar nicht !

Die wissenschaftliche Soziologie untersucht mit der empirischen und der theoretischen Methodik das soziale Verhalten von Menschen untereinander.
Sie beobachtet also Verhaltensmuster und erlernte gesellschaftliche Rollenverhalten der Menschen in unterschiedlichen Gesellschaftsformen, und so dient sie der Erforschung gesellschaftlichen Lebens miteinander.
Und sie schmeißen einmal wieder die Begriffe durcheinander, denn
sie scheinen bewusst oder unbewusst die Soziologie mit dem Sozialismus zu verwechseln, der die Menschen in eine Denk- und Verhaltensrichtung verändern will.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  AvL

Das tut der Soziologe zumindest unbewusst selbst auch …

AvL
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

@XXX
Und ich sage nochmal nein, denn die Soziologie beschreibt die Interaktion der Menschen in den unterschiedlichen Gesellschaftsformen, stellt Hypothesen auf Grund empirischer Untersuchungen und von Beobachtungen,und sie bietet allenfalls Lösungsvorschläge, die ebenso in einem wissenschaftlichen und kritischen Dialog weiter erarbeitet werden und entwickelt werden können.
Keiner der deutschen Begründer der deutschsprachigen Soziologie, von Max Weber über Georg Simmel bis hin zu Ferdinand Tönnies war Sozialist !
Webers Vater war Jurist und Parlamentsmitglied der Nationalliberalen Partei und Abgeordneter im Reichstag in der ausgehenden Kaiserzeit, in der Regierungszeit des „Gottesgnadentums“ Wilhelm II.,eines der deutschen Verhängnisse in der deutschen Geschichte.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  AvL

Bei dem Soziologiebegriff stimme ich Ihnen zu, sogar die Wissenschaftlichkeit spreche ich diesen Soziologen nicht ab. Die aktuelle Soziologie ist aber sehr stark von Genderpolitik und deren nicht oder kaum streng wissenschaftlichen definierten Zielen unterwandert.

Pälzer
4 Jahre zuvor
Antwortet  AvL

Beim Lesen des Artikels oben kann man schon merken, dass es vor Appellen nur so wimmelt: aber natürlich geht es um Einflussnahme! Sehen Sie das mal zusammen mit den vielen Hunderten Texten in Zeitschriften, in bildungspolitischen Texten, hier in N4T: Problematisieren, Infragestellen, „…es müssten viel mehr alternative Geschlechtervorstellungen entwickelt werden“-Bemerkungen. Und das soll keine Einflussnahme sein??

AvL
4 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

@Pälzer
Die Auseinandersetzung drehte sich um den Begriff der Soziologie und deren vermeintliche Einflussnahme auf die Denkweise und das Handeln von Männern.
Dieser Artikel zitiert etliche Personen, sowohl den kanadischen Psychiater Peterson, den Männlichkeitsforscher Tholen, den deutschen Psychologen Leimen, des weiteren allgemein formuliert US-amerikanische Psychologen (> Förderung einer toxische Geschlechterrolle durch die Unterdrückung des Zeigens und des Äußern von Gefühlen bei heranwachsenden Jungen), und es werden vorgegebene Rollenbilder genannt, die durch atavistisch handelnde Personen, wie Erdogan, Putin, Trump oder OO7 Bond, vorgelebt werden, oder wie im Falle von Craig/007 dann auch wieder gebrochen werden.

Pälzer
4 Jahre zuvor

„Das Thema Geschlechterrollen gehöre schon in die Schule, fordert er. “
Wenn die „richtigen“ und die „falschen“ Geschlechterrollen nicht die von Toni Tholen et al. vorgegebenen sein müssen, spricht da nichts dagegen.
Ich beobachte jedoch, dass an allen Schulen Gewaltprävention geübt wird, aber die Schlägereien immer brutaler werden. Kommt die Schule vielleicht gegen Kollegah, „Spartacus“ und „Game of Thrones“ nicht an?

Heinz
4 Jahre zuvor

Ich fände es schon wichtig, dass so etwas gelehrt wird, allerdings sollte man da nicht so ein riesen Tammtamm drum machen, weil sich einfach viele, die in die klassischen Rollenklischees passen mittlerweile extrem auf den Schlips getreten fühlen. Man sollte auch nicht mit der Holzhammermethode alles einführen sondern die Menschen einfach lehren, dass jeder so sein kann und sein sollte, wie er möchte, solange andere dadurch nicht benachteiligt werden.
Bei Schülern anderer Kulturkreise mache ich leider häufig die Erfahrung, dass einige Familien hier leider keine Toleranz vermitteln. Diese Schüler müssen also tatsächlich irgendwo anders einen sensiblen und toleranten Umgang mit Geschlechteridentitäten und auch sexuellen Orientierungen lernen.