Künftige KMK-Präsidentin Stefanie Hubig im Interview: „Demokratiebildung ist so wichtig wie schon lange nicht mehr!“

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MAINZ. Mehr Sozialkunde-Unterricht, Besuche von NS-Gedenkstätten und eine Stärkung der Schülermitbestimmung – diese und weitere Maßnahmen sind Teil eines neuen Konzepts, mit dem die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) die Demokratiebildung in den Schulen voranbringen will. Vier Millionen Euro jährlich nimmt die Landesregierung dafür in die Hand. Newsteachers sprach mit Hubig, die im Januar die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz übernimmt, über die Hintergründe.

„Es ist gut, wenn junge Menschen wieder politischer werden“: die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig. Foto: Bildungsministerium Rheinland-Pfalz/Georg Banek.

News4teachers: Bislang hatten wir ein Bild von einer eher unpolitischen Jugend. Jetzt erleben wir, dass freitags Tausende von Schülerinnen und Schülern für eine schärfere Klimapolitik auf die Straße gehen. Eine gute Entwicklung?

Hubig: Ja, das ist eine gute Entwicklung. Es ist gut, wenn junge Menschen wieder politischer werden und mit demokratischen Mitteln – und dazu gehören auch Demonstrationen oder Streiks – für eine so wichtige Sache wie den Klimaschutz eintreten. Und die Kritik, dass das Thema Klima in den Hauptstädten der Welt jahrelang eher mitverwaltet als progressiv angegangen wurde, ist ja nicht ganz von der Hand zu weisen.

Dass die Jugend unpolitisch sei, dachte ich aber nie. Ich besuche als Bildungsministerin ja ständig Kitas und Schulen – von der Grundschule bis zu berufsbildenden Schulen – und die Themen Demokratie und Partizipation sind da sehr präsent. Überall gibt es tolle junge Menschen und übrigens auch großartige Lehrerinnen und Lehrer, die hier sehr engagiert sind.

Beim Thema Klima haben wir uns intensiv mit den Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern auseinandergesetzt. Ich meine, es kann im Kern nicht darum gehen, ob der Streik entschuldigtes oder unentschuldigtes Fehlen ist. Viel wichtiger ist, was daraus folgt. Deshalb haben wir gesagt, wir wollen gemeinsam etwas bewegen und verändern. Zusammen mit der Landesvertretung der Schülerinnen und Schüler, mit Gewerkschaften und anderen am Schulleben Beteiligten haben wir uns die Aufgabe gestellt, den Schulalltag im Land nachhaltiger zu gestalten. Die Schülerinnen und Schüler haben zum Beispiel eine Auszeichnung für klimafreundliche Schulen vorgeschlagen. Da geht es auf den ersten Blick um vermeintliche Kleinigkeiten, die aber sehr wichtig sind und zu nachhaltigem Handeln führen, zum Beispiel um die Frage, wie man durch richtiges Lüften Energie sparen kann.

Demokratiebildung: Kostenloser Online-Kurs für Lehrer

„Schule ist ein zentraler Ort, an dem junge Menschen Demokratie und Engagement lernen, erfahren und gestalten können.“ Foto: Shutterstock

Die Demokratiebildung in der Schule hat im Zuge der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen an Bedeutung gewonnen. Schülerinnen und Schüler sollen lernen, sich als Part der Gesellschaft zu begreifen, der diese aktiv verändern kann. Doch wie können Lehrkräfte dies erreichen? Unterstützung bietet der kostenlose Online-Kurs „Citizenship Education – Demokratiebildung in Schulen“, den die Bertelsmann Stiftung zusammen mit dem Institut für Didaktik der Demokratie an der Leibniz Universität Hannover entwickelt hat.

Hier gibt es weitere Informationen.

News4teachers: Demokratiebildung, das zeigen Studien, kommt in der Schule zu kurz. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Hubig: Ich denke, es hilft nicht viel, wenn die Bildungspolitik lange nach Erklärungen sucht. Sie muss schlicht und ergreifend etwas ändern. Demokratiebildung ist so wichtig wie schon lange nicht mehr, weil Demokratie nicht selbstverständlich ist, aber oft als selbstverständlich wahrgenommen wird – trotz der Bedrohungen, der sie heute ausgesetzt ist.

Die Kinder und Jugendlichen von heute sind die Gesellschaft von morgen. Sie werden dieses Land in 10, 15 und 20 Jahren tragen. Wenn wir wollen, dass auch sie die Chance haben, in einer freien und gerechten Gesellschaft zu leben, dann müssen sie den Wert von Demokratie kennen. Sie müssen lernen und selbst erleben, wie Demokratie funktioniert, wie ein demokratisches Miteinander, respektvoller Umgang und gegenseitige Achtung funktionieren – und wie unverzichtbar sie sind.

Wir haben deshalb in Rheinland-Pfalz ein Gesamtkonzept für die Demokratiebildung an den Schulen und Kitas erarbeitet, das ich in einer Regierungserklärung im Januar dieses Jahres vorgestellt habe. Drei Säulen hat dieses Gesamtkonzept: erstens das historisch-kritische Bewusstsein für die Verbrechen der Nazidiktatur und für unsere Geschichte; zweitens das Lernen und Leben von Demokratie in unserer Gegenwart; und drittens unser europäisches Miteinander – das übrigens auch Thema meiner Zeit als Präsidentin der Kultusministerkonferenz ist.

Mehr als vier Millionen Euro werden wir in Rheinland-Pfalz jedes Jahr zusätzlich ausgeben, um diese drei Säulen der Demokratiebildung zu stärken. Ich würde mir wünschen, dass wir damit viele Nachahmer finden.

News4teachers: Welche politischen Kompetenzen muss ein junger Mensch in der Schule mitbekommen?

Hubig: Jenseits von politischen Kompetenzen würde ich zunächst mal auf menschliche Kompetenzen schauen, die meines Erachtens für eine funktionierende Demokratie unerlässlich sind: zuhören, andere ausreden lassen, die eigene Meinung vertreten – auch gegen Widerstände – und dabei respektvoll und tolerant miteinander umgehen. Ganz zentral ist dabei, dass Schülerinnen und Schüler Selbstwirksamkeit erfahren, dass sie lernen: Meine Meinung wird gehört und ich kann etwas erreichen. Deswegen ändern wir auch das Schulgesetz in Rheinland-Pfalz so, dass die Schülerinnen und Schüler noch mehr Mitspracherecht bekommen.

Und natürlich braucht Demokratie auch Wissen um ihre Spielregeln und Verfahren und die Kompetenzen, die nötig sind, sich selbst eine Meinung zu bilden. Dafür werden wir unter anderem künftig ein Jahr früher mit dem Sozialkundeunterricht einsetzen und Sozialkunde in der letzten Klassenstufe mit zwei statt einer Stunde unterrichten.

Nicht zuletzt braucht es Europakompetenz. Deshalb ist es gut, wenn es jeder Schülerin und jedem Schüler möglich ist, mindestens einmal im Schulleben Gleichaltrigen im Ausland zu begegnen oder sie hier kennenzulernen.

News4teachers: Viele Lehrerinnen und Lehrer klagen über eine hohe Arbeitsbelastung. Brauchen Lehrerinnen und Lehrer mehr Freiräume, um sich für das Thema Demokratie zusätzlich zu engagieren?

Hubig: Die Anforderungen an Schulen wachsen und sie haben sich sicherlich auch gewandelt. Wir stellen aber auch mehr Personal zur Verfügung – allein 50 Stellen mehr für die Sozialkunde – und stärken den Gedanken der multiprofessionellen Teams – etwa bei der Schulsozialarbeit. So können neue Freiräume entstehen. Grundsätzlich gehört das Thema Demokratie überall in den Schulalltag und kann in allen Fächern vermittelt und erlebbar gemacht werden – auch im Mathematikunterricht. Denn am Ende sind es die Lehrerinnen und Lehrer, die Demokratie mit ihrer Haltung vorleben, demokratische Prozesse bestärken und im Unterricht Raum dafür schaffen, dass Schülerinnen und Schüler positive Demokratieerfahrungen machen können.

Und was mir in diesem Kontext besonders wichtig ist: Schule leistet viel, aber sie kann nicht alles leisten. Auch die Eltern, die Großeltern oder die Sportvereine sind Teil einer Verantwortungsgemeinschaft. Das Schöne an unserer Demokratie ist ja, dass alle mitmachen können – und genau das wünsche ich mir.

News4teachers: Die Demokratie, das sehen wir vielfach heutzutage, leidet auch unter der fehlenden Medienkompetenz vieler Menschen. Fake News machen seriöse Diskussionen unmöglich. Wie kann Schule da gegensteuern?

Hubig: Ja, das stimmt, und ich sehe da die ganze Gesellschaft in der Verantwortung. Wir brauchen eine Medienkompetenz-Offensive, die alle Altersgruppen und alle Bevölkerungsschichten erreicht.

An den Schulen haben wir in Rheinland-Pfalz mit unserem Landesprogramm „Medienkompetenz macht Schule“ 2007 als eines der ersten Länder losgelegt und einen besonderen Schwerpunkt auf die Fortbildung der Lehrkräfte gelegt. Seitdem haben unsere Lehrerinnen und Lehrer mehr als 100.000-mal an Fortbildungen zur „Bildung in der digitalen Welt“ teilgenommen. An vielen Schulen gibt es Medienscouts und Diskussionen über Inhalte, Gefahren und Chancen des Netzes im Unterricht. Das ist aus meiner Sicht ganz entscheidend. Denn eines gilt in der digitalen Welt weiter wie in der analogen: Auf den Lehrer und auf die Lehrerin kommt es an! Agentur für Bildungsjournalismus

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

„Schulen spielen die entscheidende Rolle“: Kultusminister Tonne will die Demokratiebildung aus ihrem Nischendasein befreien

 

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