«Das Schrauben fehlt mir schon»: Digitale Ausbildung in Zeiten von Corona

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INGOLSTADT/BERLIN. Wegen der Coronakrise sind in Deutschland nicht nur die Schulen geschlossen, sondern auch viele Ausbildungsbetriebe. Etliche betroffene Arbeitgeber nutzen nun digitale Ausbildungswege. In der Theorie klappt das gut, in der Praxis hapert es manchmal.

Die Auszubildenden beim Automobilbauer Audi sollten keine Morgenmuffel sein. Schon um sieben Uhr geht der Ausbildungsbetrieb los, das gilt auch nach der Schließung der Audi-Bildungszentren wegen der Corona-Krise. «Um sieben Uhr steht der Trainer digital vor der Gruppe und bespricht mit den Azubis die anstehenden Aufgaben», sagt Christoph Hermreck, der bei Audi für die Koordination der Berufsausbildung verantwortlich ist.

Für kürzere Zeiträume ist auch im Handwerk eine rein digitale Ausbildung im Homeoffice möglich. Doch auch den Azubis fehlt das Werkstück. Foto: Senior Airman Kyle Gese (Public Domain)

Für die rund 2400 Azubis bei Audi hat das Digital-Zeitalter nicht erst mit Corona angefangen. Schon seit einigen Jahren rüstet der Autobauer seinen Nachwuchs mit Tablets für das selbstständige Lernen aus. «Wir vertreten die Ansicht, dass die Dinge, die man sich selbst erarbeitet, die Dinge sind, die man nachher auch selbst vermitteln kann – auch diejenigen sind, die am besten hängen bleiben», sagt Hermreck. «Das hat man früher klassisch mit dem Trainer zusammen auf Papier gemacht, dann haben wir auf digitale Wege umgestellt.»

Im September 2019 führte Audi die offene Lernplattform Moodle ein, die in ähnlicher Form in Bayern auch als Schul-Cloud-System «Mebis» verwendet wird. Hemreck räumt ein, dass der Digitalunterricht nicht das komplette Spektrum der analogen Ausbildung abdecken kann. «Der Theorieunterricht und das Thema Moodle laufen gut. Das sind interaktive Einheiten, das klappt hervorragend. Aber ich glaube, je länger das dauert, desto größer wird auch der Drang von den jungen Leuten, mal wieder richtig am Auto zu arbeiten oder im Schaltschrank zu stehen.»

Dieser Aussage stimmt auch Hayrettin Topçu, Auszubildender im Bereich Kfz-Mechatroniker zu: «Das Schrauben am Auto fehlt mir schon ein wenig, aber sonst ist das Lernen grad auch irgendwie cool. Ich bin froh, dass unsere Ausbildung auf diese Weise weitergeht», sagt der Azubi im zweiten Lehrjahr bei Audi in Ingolstadt.

Wie gut die Ausbildung im Homeoffice funktionieren kann, hängt naturgemäß stark davon ab, ob sie kaufmännisch oder handwerklich ist. In kaufmännischen Berufen gibt es laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) ohnehin viel digitale Arbeit, «die mit den modernen Kommunikationsmitteln auch von zu Hause aus erledigt werden kann».

Anders sieht das im Handwerk aus. Hier sei eine Ausbildung im Homeoffice nur für kürzere Zeiträume denkbar, wie der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) mitteilt. Vor allem dann, wenn überwiegend praktische Aufgaben im Mittelpunkt der Lehre stünden. «Ist die Ausbildung in dieser Form über einen längeren Zeitraum nicht mehr möglich, muss sie gegebenenfalls ausfallen.»

Vor Schwierigkeiten stehen auch die Schüler der Berliner Polizei-Akademie. Sie werden derzeit auf digitalem Weg mit Lernmaterial versorgt und können so auch Hausaufgaben erledigen oder Themen eigenständig und mit Anleitung der Ausbilder recherchieren. Doch ganz praktische Dinge, zum Beispiel wie man einen aggressiv auftretenden Tatverdächtigen am sichersten beruhigen oder gar festnehmen kann, ist digital nur unvollständig zu vermitteln.

Doch schon vor der Schließung der Polizei-Akademie wegen einer möglichen Infektionsgefahr habe ihre Leitung die Anschaffung eines digitalen Lernsystems vorbereitet, berichtet Michael Kokert, Fachgruppenleiter Führung/Pädagogik im Berliner Polizeipräsidium,

Auch in normalen Zeiten befänden sich die Auszubildenden der Polizei nicht immer auf dem Campus, sondern seien auswärts bei Hospitationen, auf den Dienststellen, in Praktika oder hätten eine Einsatz-Trainingswoche. «Vor diesem Hintergrund sind wir dabei, ein „virtuelles Klassenzimmer“ einzurichten, in das die Polizeischüler ständig reinschauen können.» Auf dieser Plattform könne auch eine Kommunikation mit dem Klassenlehrer stattfinden, wenn die Auszubildenden nicht in der Akademie sind.

Wie bei der Berliner Polizei schauen auch bei Audi die Verantwortlichen auf den Zeitpunkt der Wiedereröffnung der Bildungseinrichtungen. «1,50 Meter Abstand ist jetzt für uns die maßgebliche Größe, und logischerweise braucht man dafür den doppelten Raum», sagt Audi-Manager Hemreck. Statt eine zeitversetzte Ausbildung quasi im Schichtsystem zu organisieren, vertraut der Autobauer auf die digitale Plattform. «Um die Azubi-Anzahl ein wenig zu entzerren, setzen wir dann teilweise weiter auf das Thema Home-Learning.»

Dennoch hoffen alle Betroffenen auf ein möglichst rasches Ende der Beschränkungen. Manche Azubis befürchten auch Nachteile durch die Corona-bedingten Maßnahmen. Inwiefern sich die Krise auf die Übernahmechancen der Auszubildenden auswirkt, lässt sich nach Angaben der DIHK-Experten zurzeit noch nicht sagen. Allerdings: «Je schneller die Einschränkungen für Wirtschaft und öffentliches Leben gelockert werden können, umso besser sind auch die Aussichten für Azubis, übernommen zu werden.»

ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer weist mit Blick auf den Fachkräftemangel in Deutschland darauf hin, dass Azubis dringend gebraucht werden. «Denn es muss uns bewusst sein, dass uns jeder Azubi, der krisenbedingt seine Ausbildung nicht zu Ende bringen kann, in der Zukunft als Fachkraft fehlen wird.»

In der momentanen Situation kommen laut ZDH viele Betriebe an ihre Leistungsgrenze, wenn ihre Situation bedroht ist. Das habe dann auch Auswirkungen auf die Auszubildenden. «Wir müssen dringend vermeiden, dass Betrieben, die von der Krise massiv betroffen sind, nichts anderes übrig bleibt, als Ausbildungsverhältnisse zu beenden», sagt Wollseifer. Deswegen setzt sich der Verband dafür ein, dass auch Auszubildende bei den Regelungen zum Kurzarbeitergeld mitberücksichtigt werden. (Christoph Dernbach, Sven Braun, dpa)

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