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Schulen schnellstmöglich öffnen? GEW und VBE kritisieren Leopoldina: Vorschläge gehen an der Unterrichtsrealität vorbei!

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BERLIN. Die beiden größten Lehrerverbände in Deutschland, die GEW und der VBE, haben kritisch auf das Gutachten der Leopoldina reagiert, in dem eine schrittweise Öffnung der Grundschulen und der Schulen der Sekundarstufe I „sobald wie irgendmöglich“ gefordert wird. „Die Bedingungen, die für die Öffnungen formuliert werden, sollten die Schulrealität im Blick haben. Das, was jetzt zum Teil an Bedingungen formuliert wurde, kann kaum erfüllt werden und weckt falsche Hoffnungen“, meint VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann. Ähnlich äußert sich die GEW-Vorsitzende Marlies Tepe.

Unterricht mit Mundschutz-Pflicht – ist das praktikabel? Foto: Shutterstock

Die nationale Wissenschafts-Akademie Leopoldina hatte am Montag für einen «realistischen» Zeitplan zurück zur Normalität plädiert (News4teachers berichtete). Die einflussreichen Wissenschaftler empfahlen, Schulen «sobald wie irgendmöglich» wieder zu öffnen – angefangen bei Grundschulen sowie Unter- und Mittelstufen. Die Leopoldina nannte allerdings auch zahlreiche Voraussetzungen, damit das öffentliche Leben wieder normaler ablaufen und die Schulen wieder öffnen können: Die Zahl der Neuinfektionen müsse sich auf niedrigem Niveau stabilisieren. Kliniken bräuchten genug Reserve. Schutzmaßnahmen wie Hygiene und Abstandsregeln müssten eingehalten werden. Für die Schulen empfehlen die Wissenschaftler eine Mundschutz-Pflicht.

“Wir erwarten Antworten der Kultusministerkonferenz”

„Das muss alles ganz dringend auf die praktische Umsetzung geprüft werden. Wir erwarten hier Antworten der Kultusministerkonferenz“, kommentiert VBE-Vorsitzender Beckmann. „Die Empfehlungen der Wissenschafts-Akademie Leopoldina sind nur bedingt hilfreich, weil sie wenig praktikabel sind. Viele Vorschläge gehen an der Realität in den Bildungseinrichtungen vorbei“, sagt GEW-Chefin Tepe.

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Die Leopoldina hatte zum Beispiel erklärt: „Alle Maßnahmen sind auf längere Zeit unter Einhaltung der Vorgaben zu Hygiene, Abstand, Mund-Nasen-Schutz, Testung und die Konsequenz der Quarantäne umzusetzen.“

Beckmann dazu: „Ich sehe nicht, wie die Konsequenz hieraus erfüllt werden kann. Es gibt 8,3 Millionen Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen und 2,4 Millionen Schülerinnen und Schüler an berufsbildenden Schulen. Wo sollen für diese Mund-Nasen-Schutzmasken herkommen? Und selbst, wenn es gelingen würde, ausreichend Masken zumindest für die Abschlussklassen zu beschaffen: Wie soll 10-Jährigen (welche die Leopoldina ja als erstes wieder in der Schule sehen würde) vermittelt werden, diese den ganzen Tag zu tragen, nicht daran anzufassen, keine Scherze damit zu machen?“

Tepe meint: Es sei höchste Zeit, dass Politik, Behörden und Träger das Thema Hygiene in Kitas und Schulen zur Chefsache machen. Sie müssten die hygienischen Verhältnisse an den Einrichtungen nachhaltig verbessern und für einen effektiven Infektionsschutz sorgen. „Das darf nicht am Geld scheitern“, unterstrich die GEW-Vorsitzende. „Dazu gehört zudem, dass die für den Infektionsschutz notwendigen Sicherheitsabstände gewährleistet werden können. Alle Beschäftigten, die zu den Risikogruppen gehören, dürfen nicht in den Einrichtungen arbeiten. Auch Lernende mit Vorerkrankungen müssen geschützt werden.“ Bei der Umsetzung der Maßnahmen brauchten die Schulleitungen umfassende Unterstützung und Beratung. Tepe machte deutlich, was das konkret bedeute: Schulen und Kitas müssten regelmäßig grundständig gereinigt, Toiletten teils saniert werden. Zudem würden Flüssigseife, warmes Wasser, Einmalhandtücher und Desinfektionsmittel sowie Atemmasken und von Fall zu Fall Schutzbekleidung benötigt.

Weiter wird in der Leopoldina-Stellungnahme ausgesagt: „Eine Gruppengröße von maximal 15 Schülerinnen und Schüler wäre möglich, wenn entsprechend große Klassenräume zur Verfügung stehen.“

Beckmann betont: „Das bedeutet, dass jede Klasse geteilt werden müsste! Trotzdem ist diese Aussage noch zu schwammig. Es wird provoziert, dass vielmehr auf die Anzahl der Schülerinnen und Schüler als auf die räumlichen Möglichkeiten fokussiert wird. Wichtig für Schulleitungen und Lehrkräfte wären konkrete Maßzahlen, welche die Gegebenheiten im Raum (Platz vor der Tafel, Schränke etc.) einbeziehen und lediglich die wirklich verfügbaren Raumgrößen als Grundfläche heranziehen. Es braucht klare, nachprüfbare Standards.“

Tepe untestreicht: Die vorgeschlagene räumliche Trennung der Kita-Kinder sowie der Schülerinnen und Schüler scheitere an vielen Einrichtungen an den fehlenden Räumlichkeiten. Da die meisten Klassenräume sehr eng seien, können 15 Schülerinnen und Schüler nicht – wie empfohlen – mindestens 1,5 Meter Abstand halten. Angesichts des Lehrkräftemangels und eines hohen Anteils von Pädagoginnen und Pädagogen sowie Erzieherinnen, die zur Risikogruppe gehören, sei ein Schichtbetrieb an vielen Einrichtungen nicht möglich. Auch Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern könnten zu Risikogruppen gehören. Die Empfehlungen gäben hier keine Hinweise. „Öffnet man Schule und Kitas nur für ‚gesunde und mobile‘ Kinder und Jugendliche, kommt es zu zusätzlichen Benachteiligungen“, betonte Tepe.

Gewaltiger Organisationsaufwand für die Schulen

Zudem unterstreichen Beckmann und Tepe den immensen logistischen Aufwand, der auf die Schulen zukommt. „Die letzten Wochen waren für Lehrkräfte und Schulleitungen eine enorme Kraftanstrengung. Sich nun zwischen Präsenzunterricht für die eine Klasse und dem Bereitstellen von Aufgaben für die andere Klasse aufzureiben plus sich zu überlegen, was die Präsenzklasse in ‚Heimarbeit‘  erledigen kann, wie es die Leopoldina vorschlägt, erhöht den Druck noch weiter“, meint Beckmann. „Mit der Ausdünnung des Stundenplans ist es nicht getan. Vielmehr muss auch geprüft werden, welche Inhalte verschoben oder gar weggelassen werden können. Wichtig ist, Schulen und auch Schulträgern notwendige Vorlaufzeit zu geben, um das zu organisieren. Und: Wer glaubt, mit dem ersten Tag der Schulöffnung könne regulärer Unterricht stattfinden, der irrt. Es wird zuerst darum gehen müssen, sensibel für die Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen in den letzten Wochen zu sein und sich Zeit für den Austausch zu nehmen.“

Die GEW-Chefin Tepe sagt dazu: Vor einer Öffnung der Einrichtungen brauche es eine genügend lange Vorlaufzeit. Die Landesregierungen müssten mit den Gewerkschaften über die Modalitäten beraten. Die Schulen müssten die Unterrichtsplanung, Raumaufteilung, sanitäre Überprüfung vornehmen und dies dann durch einen Gesundheitscheck des Gesundheitsamtes freigeben lassen. „Die Empfehlung, Schutzmasken zu tragen, muss umzusetzen sein, sprich: Masken müssen in ausreichender Zahl zur Verfügung gestellt werden“, sagte die GEW-Vorsitzende. Ungeklärt sei auch die Frage des Schülertransports: Im öffentlichen Nahverkehr könne die Gefahr von Infektionen kaum minimiert werden. News4teachers

Leopoldina-Gutachten fordert: Grundschulen und Sekundarstufe I möglichst schnell wieder öffnen – Kitas bis Sommer nur im Notbetrieb

 

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