BERLIN. Stich ins Wespennest? Mit ihrem Vorschlag, die Weihnachts- und Winterferien wegen der Corona-Pandemie zu verlängern und stattdessen die Sommerferien zu kürzen, haben zwei Bundestagsabgeordnete der Union eine hitzige Diskussion ausgelöst. Zahlreiche Kultusminister reagierten schroff ablehnend. Auch Lehrer-, Schüler- und Ländervertreter sowie Parteikollegen wiesen die Idee zurück. Der Bundeselternrat zeigte sich dagegen offen dafür. Sein Credo: „Es gibt momentan keine verrückten Vorschläge.“
DER VORSCHLAG
Der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß sagte der «Bild»-Zeitung: «Wir sollten darüber nachdenken, die Winterferien um zwei bis drei Wochen zu verlängern und im Sommer entsprechend zu kürzen.» Ziel müsse sein, bestmöglich durch die Pandemie zu kommen. Sein Fraktionskollege im Bundestag, Stephan Pilsinger (CSU), regte sogar bis zu vier Wochen längere Weihnachtsferien mit entsprechender Kürzung der Oster- und Sommerferien an. «Das Wohl der Schüler und Lehrer muss im Vordergrund stehen», begründete er seinen Vorschlag. Hintergrund ist die Debatte über kalte Klassenzimmer, weil wegen des Coronavirus in kurzen Abständen gelüftet werden soll.
ABFUHR VON PARTEIKOLLEGEN UND LÄNDERN
Ziemlich deutlich fielen die Reaktionen bei Parteikollegen und Ländervertretern aus: «Nee», sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Dienstag nach einer Kabinettssitzung in München. Es sei jetzt nicht die Zeit, über Ferienverlängerungen zu reden und damit mit «zusätzlichen Dingen» für Verunsicherung zu sorgen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann meinte, mit einer Verlängerung würde eine Welle von Betreuungsproblemen von Kindern und Jugendlichen ausgelöst. «Das werden wir nicht angehen», sagte er. Die derzeitige Lage sei schwierig genug. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) kritisierte, öffentliche Schulferiendebatten seien überflüssig wie ein Kropf.
Auch das hessische Kultusministerium reagierte ablehnend: «Eltern sind auf verlässliche Ferienzeiten und Planungssicherheit für die Betreuung ihrer Kinder angewiesen», so hieß es in Wiesbaden. Lehrer und Schüler müssten sich auf die Abschlussprüfungen vorbereiten können. Zudem sei das Infektionsgeschehen zu dynamisch, als dass bereits jetzt Voraussagen für die Weihnachtszeit möglich wären.
NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) befand: «Der Vorschlag ist untauglich und unnötig.» Die Idee sei «kurzfristig weder schulorganisatorisch noch praktisch umzusetzen.» Weiter erklärte sie: «Nach dem Lockdown im letzten Schuljahr muss es in diesem Schuljahr darum gehen, dass Schule in geregelten Strukturen stattfindet und die Kinder so viel Präsenzunterricht wie möglich erhalten ohne lange Unterbrechungszeiten wie einen Monat Weihnachtsferien.» Die Erfahrungen der vergangenen Wochen hätten gezeigt, dass an den Schulen des Landes kein unkontrolliertes Infektionsgeschehen festzustellen sei und Schulen keine Hotspots seien. «Ganz im Gegenteil: Die strengen Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen werden eingehalten und wirken», so Gebauer.
Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) sagte:. «Man sollte einfach mal die Kirche im Dorf lassen. Solche voreiligen Schüsse aus der Hüfte verunsichern nur Schüler, Lehrer und Eltern.» Man dürfe angesichts steigender Infektionszahlen nicht reflexartig über Beschränkungen von Bildung fabulieren. «Kinder sind nicht Treiber der Pandemie. Das stellt nun selbst das Robert-Koch-Institut fest. Jetzt kommt es darauf an, das Vertrauen der Schüler, Lehrer und Eltern in den Schulbetrieb aufrechtzuhalten und zu stärken. Schule braucht Verlässlichkeit und Sicherheit, statt ständige Verunsicherung», betonte der Minister.
Piwarz spielte damit auf neue Empfehlungen für den Schulbetrieb an, die das RKI in dieser Woche herausgegeben hat – und in dem tatsächlich festgestellt wird, dass Kinder und jüngere Jugendliche nicht Treiber der Pandemie seien. Allerdings wird darin auch betont, dass Schüler keineswegs immun sind. Darüber hinaus wird über eine steigende Zahl von Corona-Ausbrüchen an Schulen berichtet (News4teachers widmet den neuen RKI-Empfehlungen einen großen Beitrag – hier geht es hin).
WAS SAGEN DIE, DIE ES BETRIFFT?
Auch im Bildungsbereich winken die meisten ab: Der Vorsitzende des Grundschulverbandes, Edgar Bohn, nannte die Idee mit den verlängerten Ferien im Winter «wenig zielführend». Es lasse sich nicht abschätzen, wie sich die Pandemie entwickele, sagte er. «Wir könnten also vor dem Problem stehen, dass wir auch im Frühjahr noch hohe Infektionszahlen haben und damit auch die Osterferien nicht verkürzt werden könnten.» Der Verband warnte zudem mit Blick auf benachteiligte Kinder davor, dass diese dadurch wieder über längere Zeit keinen Kontakt zur Schule hätten.
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, man sollte die Zeit nutzen, in der Präsenzunterricht mit vollen Klassen noch möglich sei. «Niemand weiß, ob und wann ein neuer Lockdown kommt beziehungsweise eine neuerliche Phase des Wechselbetriebs», sagte er. Der Sprecher der Bundesschülerkonferenz, Torben Krauß, sieht das ähnlich: «Es ist wichtig, dass wir Präsenzunterricht haben. Wir haben in den letzten Wochen gesehen, dass es schwierig ist, online unterrichtet zu werden», sagte er.
Der Landesvorsitzende des Bayerischen Elternverbands, Martin Löwe, sprach von einer «Schnapsidee». «Nach den vielen Unsicherheiten im Frühjahr und im Sommer wollen sich Eltern jetzt auf die Ferienordnung und die geschaffenen Hygieneszenarien verlassen können», sagte Löwe. Man habe sich ja bisher kaum von den vielen Planungsschwierigkeiten der vergangenen Monate erholt. Und eine pauschale Verlängerung der Winterferien mache keinen Sinn. «Wir sind davon überzeugt, dass klassenweise angeordnetes Distanzlernen oder Klassenteilungen die Ansteckungsgefahr im Falle des Falles lokal ausreichend begrenzen.»
POLITIK WILL SCHULEN UNBEDINGT OFFENHALTEN
Auch Politiker aus Bund und Ländern und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonen nach den Schulschließungen und dem Schichtbetrieb vor dem Sommer immer wieder, dass die Offenhaltung von Kitas und Schulen nun oberste Priorität habe. Die Zwangspause im Frühjahr und der anschließende Notbetrieb mit Unterricht und Betreuung in Schichten hatten die Nerven von Millionen Familien, Erziehern und Lehrkräften strapaziert und viel Frust ausgelöst. Bildungsexperten befürchten zudem negative Nachwirkungen, vor allem bei Kindern aus ärmeren Familien.
«ES GIBT MOMENTAN KEINE VERRÜCKTEN VORSCHLÄGE»
Offen für den Vorstoß, die Winterferien zu verlängern, zeigte sich allerdings der Vorsitzende des Bundeselternrats, Stephan Wassmuth: «Ich würde momentan selten Vorschläge von der Hand weisen.» Es seien besondere Zeiten: «Es gibt momentan keine verrückten Vorschläge», sagte er.
Die Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) will sich nach Angaben einer Sprecherin der KMK-Vorsitzenden und rheinland-pfälzischen Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) bei ihren Beratungen am Freitag mit dem Thema befassen. Hubig selbst lehnt den Vorschlag aber auch ab. «Wenn man schaut, wo derzeit die Infektionen entstehen und weitergegeben werden, dann sind das nicht die Schulen», sagte Hubig in Mainz. «Deshalb ist es fraglich, ob verlängerte Ferien überhaupt die Infektionen eindämmen könnten.»
Dazu stellten sich eine ganze Reihe weiterer Fragen, die den Ablauf des Schuljahres, Abschlussprüfungen und Schulorganisation beträfen. «Vor allem aber würde das auch unsere Eltern wieder vor neue Herausforderungen stellen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf», sagte Hubig. «Deshalb sehe ich persönlich den Vorschlag kritisch, gehe aber offen in den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen der KMK.»
Ganz neu ist die Idee einer Ferienverlängerung nicht. Schon im August hatten namhafte Virologen, darunter Christian Drosten, Jonas Schmidt-Chanasit und Helmholtz-Forscherin Melanie Brinkmann in einer Stellungnahme geschrieben: «Sollte es gegen Jahresende zu einem kritischen Anstieg der Neuinfektionen mit regelmäßiger Beteiligung von Bildungseinrichtungen kommen, sollte eine Ausdehnung der Weihnachtsferien diskutiert werden, um die Zeiten mit höchster Infektionsaktivität zu verringern.» News4teachers / mit Material der dpa
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