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Streit um Schulbetrieb: Eisenmann hält Leopoldina für „nicht auf der Höhe“

STUTTGART. Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann sieht die Vorschläge der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina für Einschränkungen des Schulbetriebs äußerst kritisch. «Denn das bedeutet nichts anderes als landesweite Schulschließungen – und noch nicht mal Fernunterricht», teilte die CDU-Politikerin mit. «Diesen drastischen Schritt der flächendeckenden Schulschließungen wollen wir weiterhin zwingend vermeiden, weil wir aus der Zeit im Frühjahr gelernt haben.» Eisenmann ist CDU-Spitzenkandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin des Landes Baden-Württemberg – und Koordinatorin der unionsgeführten Bildungsministerien innerhalb der Kultusministerkonferenz. Der Charité-Chefvirologe Prof. Christian Drosten nannte unterdessen die Stellungnahme der Leopoldina die «letzte Warnung der Wissenschaft.».

Kritisiert die Leopoldina: Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Foto: Kultusministerium Baden-Württemberg

Stattdessen ermögliche man in Regionen mit sehr hohen Corona-Zahlen einen Wechselbetrieb zwischen Präsenz- und Fernunterricht, erklärte Eisenmann. Tatsache ist allerdings, dass die Kultusministerin sich gegen jeden Automatismus sperrt, Schulen in den Wechselunterricht zu nehmen. Zwar wurde auf Drängen von Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) am Montag ein Inzidenzwert von 200 festgelegt – aber nur als Möglichkeit. Entschieden werden soll dann für jede einzelne Schule auf der Grundlage, ob eine Beeinträchtigung des Schulbetriebs vorliege. (News4teachers berichtete über den Streit in der grün-schwarzen Koalition über den Wechselunterricht.)

Eisenmann ist mit einem Lockdown einverstanden – in den Ferien, wenn die Schulen ohnehin geschlossen sind

Einen landesweiten Stillstand für die Bildung wolle man unbedingt vermeiden, so sagte Eisenmann nun. «Dass ausgerechnet eine wissenschaftliche Institution dies fordert, überrascht doch ein bisschen», kritisierte Eisenmann. «Zudem sind die Zahlen der geschlossenen Schulen und Schulklassen oder Gruppen in Quarantäne nach wie vor vergleichsweise gering.»

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Die Ministerin zeigte sich lediglich einverstanden mit einem Lockdown nach den Weihnachtsfeiertagen, wenn die Schulen ohnehin geschlossen sind. Doch die Leopoldina liege mit ihren Vorschlägen auch manchmal daneben: «Manche Forderungen zeigen, dass die Leopoldina bei den Corona-Maßnahmen nicht ganz auf der Höhe der Zeit zu sein scheint. Die Idee, Gruppenaktivitäten im Bereich von Sport und Kultur einzustellen, ist in Baden-Württemberg bereits seit Wochen Realität.» Dass die Zahl der Neuinfektionen in Baden-Württemberg weiter steigt, erwähnte die CDU-Politikern an dieser Stelle nicht. Der Inzidenzwert, also die Zahl der in den letzten sieben Tagen neu gemeldeten Fälle pro 100.000 Einwohner, liegt für Baden-Württemberg aktuell (Stand: 8. Dezember) im Durchschnitt bei 153,4. Insgesamt sind derzeit 2.346 Intensivbetten von betreibbaren 2.926 Betten, also 80 Prozent, belegt.

Drosten: An weiterführenden Schulen gibt es ein erhebliches Infektionsgeschehen

Zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Deutschland hat sich der Virologe Prof. Christian Drosten für eine rasche Verschärfung der staatlichen Auflagen ausgesprochen. «Es ist schon so, dass wir jetzt unbedingt etwas tun müssen», sagte der Charité-Wissenschaftler im jüngsten «Coronavirus-Update» bei NDR-Info. Die Wahrscheinlichkeit sei groß, dass die Weihnachtszeit zu einem Anstieg der Fallzahlen führe. Werde jetzt nicht nachreguliert, drohe «Ende Januar und über den gesamten Februar hinaus» ein Lockdown mit massiven Folgen für die Wirtschaft.

Drosten ist einer der Experten, der an einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina mitgewirkt hat. Darin wird empfohlen, die Feiertage und den Jahreswechsel für einen «harten Lockdown» zu nutzen. Vom 24. Dezember bis mindestens 10. Januar sollte «in ganz Deutschland das öffentliche Leben weitgehend ruhen». Bereits ab 14. Dezember müssten Kontakte auf ein «absolutes Mindestmaß» reduziert werden. Drosten sagte, während des Lockdowns im Frühjahr seien die Kontakte in Deutschland um 63 Prozent reduziert worden, derzeit seien es aber nur 43 Prozent. «Das reicht einfach nicht aus.»

Das Papier der Leopoldina sollte vielleicht verstanden werden als «deutliche und letzte Warnung der Wissenschaft», sagte Drosten. Entscheide sich die Politik anders, habe sie sich nicht mehr für die Wissenschaft entschieden. Neben anderen sind auch der Chef des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, und der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Otmar Wiestler, unter der Stellungnahme aufgeführt. Aus Expertensicht sind die Neuinfektionszahlen trotz des seit Anfang November geltenden Teil-Lockdowns weiter zu hoch.

Familien, die weit voneinander entfernt lebten, sollten sich Drosten zufolge in diesem Jahr vielleicht nicht unbedingt über die Feiertage besuchen. Er bekräftigte außerdem, dass Schnelltests nur eine Momentaufnahme seien: «Wenn man solche Antigen-Tests benutzen will für Familienbesuche, dann muss man im Prinzip sich jeden Morgen testen damit.» Seit einiger Zeit rät Drosten dazu, sich vor Besuchen, etwa bei den Großeltern, vorsorglich in Quarantäne zu begeben.

Leopoldina fordert sofortiges Aussetzen der Schulpflicht – und längere Weihnachtsferien

An Schulen sollte dem Virologen zufolge nach dem Jahreswechsel nicht alles so weiterlaufen wie zuvor. Dort müsse organisatorisch etwas passieren. Bei den an der Stellungnahme beteiligten Wissenschaftlern sei der Eindruck einer ernsten Schulsituation entstanden, sagte Drosten. Es gebe dort ein «erhebliches Infektionsgeschehen». Daten aus England zeigten, dass insbesondere in den Jahrgängen oberhalb der Grundschule mehr Infektionen aufträten als in der normalen Bevölkerung. «Wenn man es irgendwo weiterlaufen lassen will, dann ist es im Grundschul- und Kindergartenalter», sagte Drosten. Er wolle aber «alles andere als ein Prediger für Schulschließungen» sein.

Die Leopoldina fordert das sofortige Aussetzen der Schulpflicht und die bundesweite Verlängerung der Weihnachtsferien bis mindestens 10. Januar. (News4teachers berichtet ausführlich über die aktuellen Empfehlungen der Leopoldina für den Schulbetrieb.) Darüber hinaus empfiehlt die Nationalakedemie mit Blick auf den Schulbeginn im Januar, für alle Jahrgangsstufen Mund-Nasen-Schutz im Unterricht verpflichtend zu machen. Zudem sollten ländereinheitliche Regeln für Wechselunterricht in weiterführenden Schulen entwickelt werden, die ab einem bestimmten Infektionswert greifen sollten, um die Abstandsregel im Unterricht einführen zu können. Drosten regte im Podcast eine entsprechende Teilung von Klassen an – jene Maßnahme also, die Eisenmann in der Fläche blockiert. News4teachers / mit Material der dpa

Hier geht es zum aktuellen NDR-Podcast von Christian Drosten.

Kekulé: An weiterführenden Schulen gibt es schwerste Ausbrüche – „Jugendliche Schüler sind ganz starke Treiber der Pandemie“

 

 

 

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