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Corona-Chaos: Grundschulen und Kitas öffnen in zehn Bundesländern nach unterschiedlichen Regeln – Lauterbach: “3. Welle beginnt jetzt!”

BERLIN. Nach zwei langen Monaten sind Hunderttausende von Kindern in zehn Bundesländern wieder in ihre Kitas und Grundschulen zurückgekehrt. Die Bundesbildungsministerin stellt sich hinter diesen Schritt – obwohl der Inzidenzwert für Deutschland trotz des Lockdowns zuvor schon wieder auf über 60 geklettert war. Grundschullehrer und Erzieher sollen zwar schneller geimpft werden; so schnell, dass sich das bei den jetzt erfolgten Öffnungen bemerkbar machen könnte, wird das aber kaum gehen. Helfen Schnelltests für Schülerinnen und Schüler?

Ist es verantwortbar, heute die Kitas und Schulen für Hunderttausende von Kindern zu öffnen? Illustration: Shutterstock

Nach rund zweimonatiger Schließung und Notbetreuung öffneten an diesem Montag in weiteren zehn Bundesländern wieder Kindertagesstätten und Grundschulen. Auch Tausende von Abschlussklassen gehen wieder in den Präsenzunterricht. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek unterstützt das: «Es ist gut, dass viele Schulen in Deutschland jetzt schrittweise wieder mit dem Präsenzunterricht beginnen», sagte sie. Präsenzunterricht sei durch nichts zu ersetzen. «Kinder, besonders jüngere, brauchen einander.»

Angesichts steigender Infektionszahlen rief die CDU-Politikerin aber dazu auf, «alle zur Verfügung stehenden Mittel zur Prävention einer Virenübertragung zu ergreifen», um den Schulbetrieb auch in den nächsten Wochen aufrecht erhalten zu können. Die jüngste Entwicklung der Infektionszahlen verdiene höchste Aufmerksamkeit, sagte Karliczek und verwies auch auf die befürchtete Ausbreitung neuer Virusvarianten. «Das muss auch beim Schulbetrieb bedacht werden. Ich bin mir aber sicher, dass die Länder dies bei ihren Öffnungsentscheidungen berücksichtigen.»

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Woher sie diese Sicherheit nimmt, ist unklar: Thüringen beispielsweise öffnete die meisten Kitas und Grundschulen in vollständiger Präsenz, ohne Maskenpflicht und Abstandsregel, obwohl der Freistaat bei den Neuinfektionen mit einem Inzidenzwert von 126 bundesweit an der Spitze liegt. Einzelne Landkreise dort wollten ihre Bildungseinrichtungen sogar bei Inzidenzwerten von über 150 öffnen – entgegen der Empfehlung der Landesregierung. Die hatte die Entscheidung den Kommunen bei Inzidenzwerten zwischen 150 und 200 freigestellt.

Karliczek hatte sich auch bereits für eine höhere Priorisierung bei der Impfung von Grundschullehrkräften und Kita-Erzieherinnen ausgesprochen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beriet darüber am Nachmittag mit seinen Länderkollegen – Spahn hat bereits erklärt, die Impfverordnung entsprechend ändern zu wollen, wie News4teachers berichtete. Und noch etwas steht in Sachen Corona-Bekämpfung auf der Agenda dieses Tages: Das sogenannte Corona-Kabinett der Bundesregierung berät über Schnelltests durch geschultes Personal für alle. Überlagert werden die anstehenden Entscheidungen dabei vom Anstieg der Infektionszahlen – und von einer nun wachsenden Kritik am Neuinfektionswert als Richtschnur politischen Handelns.

Worum also geht es an diesem Montag?

ÖFFNUNGEN VON SCHULEN UND KITAS: Nach Öffnungen in Niedersachsen und Sachsen nehmen in weiteren zehn Bundesländern Kitas und Grundschulen wieder ihren Betrieb auf oder weiten ihn aus. Unterricht soll entweder im Wechselbetrieb stattfinden mit halben Klassen, die abwechselnd zur Schule kommen, oder im Vollbetrieb mit festen Gruppen, die sich möglichst nicht begegnen sollen. In den Kitas werden wieder mehr oder alle Kinder betreut. Die Einzelheiten regelt jedes Bundesland für sich. Mit Maskenpflicht oder ohne, mit Abstandregel im Klassenzimmer oder ohne – bei den Sicherheitsregeln herrscht ein wildes Durcheinander.

SCHNELLERE IMPFUNGEN FÜR ERZIEHER UND LEHRER: Mit Blick auf die Öffnungen von Grundschulen und Kitas hatten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ministerpräsidenten Spahn beauftragt zu prüfen, ob Grundschullehrer und Kitaerzieher bei den Impfungen höher priorisiert werden können. Die Corona-Impfverordnung müsste geändert werden, damit die laut Statistischem Bundesamt rund eine Million Betroffenen aus der Gruppe drei (erhöhte Priorität) in die Gruppe zwei (hohe Priorität) aufrücken. Mehrere Länder und Spahn sind dafür. Das dauere eine gute Woche, bis Anfang März, sagte der Minister in der ARD. Der baden-württembergische Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) kündigte dort für sein Land an, dass ab diesem Montag Erzieherinnen und Erzieher, Lehrer und Lehrerinnen sowie Ärzte und Ärztinnen «und alle aus dem medizinischen Bereich» geimpft werden sollten.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz befürchtet, dass Schwerkranke aus der Gruppe drei dadurch ins Hintertreffen geraten. «Wenn jetzt Berufsgruppen noch weiter nach vorn gesetzt werden sollen, wird das Leben kosten», sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Auch die Gesundheitsexpertin der Unionsfraktion, Karin Maag, warnte in der «Süddeutschen Zeitung»: «Wir haben gut daran getan, dass wir die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission weitgehend übernommen haben.» Sonst komme man «in ganz schwierige Abwägungen».

SCHNELLTESTS FÜR ALLE: Unter anderem damit befasst sich in seiner Montagsberatung das sogenannte Corona-Kabinett, ein Sondergremium von Merkel und wenigen Ministern. Spahn hatte angekündigt, dass ab 1. März alle Bürger kostenlos von geschultem Personal auf das Coronavirus getestet werden können. Das soll in Testzentren, Praxen oder Apotheken möglich sein. Details zur Umsetzung sind aber bisher nicht bekannt. Eine entsprechende Anpassung der Corona-Testverordnung muss noch beschlossen werden.

Das hat möglicherweise auch Auswirkungen auf Kitas und Schulen: “Wir haben ja die Ankündigung des Bundes, dass ab dem 1. März kostenlose Testmöglichkeiten in Apotheken und Hausarztpraxen zur Verfügung stehen. Wenn das so ist, dann möge man bitte auch darauf achten, dass das auch für Schülerinnen und Schüler gilt”, erkärte Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD). “Wenn es außerdem eine Zertifizierung von Selbsttests gibt, eine Zulassung also, dann kann man auch damit ein Angebot machen für alle Schulbesucher, um die Sicherheit zu erhöhen. Da kann sich jeder sicher sein, dass wir uns da mit hohem Nachdruck hinter klemmen. Dann sollen auch Schüler Testmöglichkeiten erhalten. Das wäre ein weiterer Baustein zur sicheren Schule und mehr Normalität.”

INFEKTIONSZAHLEN: Die Sorge vor einer dritten Corona-Welle wächst. Die Kurve der Neuinfektionen zeigte am Sonntag den vierten Tag in Folge nach oben – trotz des seit Mitte Dezember geltenden Lockdowns. Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete 60,2 neue Ansteckungen pro 100.000 Einwohner und Woche. Rechnerisch stecken inzwischen 100 Infizierte 110 Menschen an (R-Wert 1,1). Das könnte darauf hindeuten, dass sich die ansteckenderen Virusvarianten rascher ausbreiten. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach twitterte: “Die dritte Welle beginnt jetzt.”

ÖFFNUNGSSTRATEGIE: Die Länderchefs und Merkel hatten bei ihrer letzten Beratung am 10. Februar vereinbart, dass eine Strategie für weitere Lockerungen erarbeitet werden soll und dass sie am 3. März weiter beraten. Der Stufenplan – wie er von Lehrerverbänden seit Monaten insbesondere für den Kita- und Schulbetrieb gefordert wird – soll sich aber nicht nur an den Neuinfektionen orientieren, wie der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Michael Müller (SPD), der «Stuttgarter Zeitung» und den «Stuttgarter Nachrichten» sagte. «Auch ein R-Wert deutlich unter 1 und eine sinkende Auslastung der Intensivmedizin werden wichtige Kriterien für nächste Lockerungsschritte sein.» Der Berliner Bürgermeister kündigte für die neue Woche einen Vorschlag an: Wenn Bundesländer «stabil über mehrere Wochen» unter den Inzidenzen 35 oder 50 blieben, «können weitere Schritte in der Kultur und der Gastronomie folgen».

Spahn sagte in der ARD: «Es macht Sinn, (…) Stufen zu definieren, ab wann der nächste Schritt gegangen werden kann. Aber die Wahrheit ist: Eine Inzidenz von unter 10, die ist jedenfalls in den allermeisten Regionen in Deutschland gerade ziemlich weit weg.» Er erwähnte damit eine Ansteckungsrate, wie sie manche Virologen als Zielwert fordern, die einige Ministerpräsidenten aber für zu ambitioniert erachten.

Der Chef des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen, Ferdinand Gerlach, kritisierte die Orientierung an den Inzidenzen, weil sie auch von der Testfrequenz abhingen. Es sei besser, «repräsentative Kohorten» zu beobachten und zu testen, sagte er dem Nachrichtenportal «ThePioneer». «Wenn wir wissen, wie groß das Infektionsrisiko am Arbeitsplatz, in der Schule, beim Einkaufen, im Kino, im Museum oder im öffentlichen Verkehr ist, können wir gezielter reagieren und müssen nicht eine ganze Volkswirtschaft herunterfahren», erklärte der Spahn-Berater.

Die Kultusministerien der Bundesländer erheben bis heute nicht systematisch, wieviele Infektionen in Kitas und Schulen stattfinden. Die Kultusministerkonferenz hatte von Mitte November bis Mitte Dezember zwar Daten aus Schulen veröffentlicht, die waren aber unvollständig. Seitdem ist die Erhebung ausgesetzt, “weil sich die meisten Klassen aktuell nicht im Präsenzunterricht befinden”, wie es bei der KMK heißt. Dabei gab es zahlreiche Ausnahmen. In Niedersachsen, wo beispielsweise die Grundschulen bereits im Januar für den Präsenzunterricht geöffnet waren, wurden Hunderte von Infektionen unter Schülern und Lehrern registriert, wie News4teachers berichtete. Reihentestungen, die ein vollständiges Bild ergeben hätten, fanden aber nicht statt. News4teachers / mit Material der dpa

„Kein unbeschwerter Wiedereinstieg in den Präsenzunterricht“ – Lehrerverbände halten das Risiko für (zu) groß

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