BERLIN. Über Stunden berieten die 16 Kultusminister die Corona-Lage – heraus kam ein dünnes Papier. Schon vorher hatten einige Länder zwar Einschränkungen im Schulbetrieb verkündet. Grundsätzlich sind die Schulminister aber auf einem Öffnungskurs. Der VBE hält das angesichts steigender Infektionszahlen insbesondere unter Kindern und Jugendlichen für unverantwortlich.
Die Abiturientinnen und Abiturienten in Deutschland sollen ihre Prüfungen in diesem Jahr trotz Corona-Pandemie ablegen. Die Kultusministerinnen und Kultusminister lassen die Abschlussprüfungen im Schuljahr 2020/2021 durchführen, wie die Kultusministerkonferenz nach einer Mitteilung vom Donnerstagabend beschlossen hat. Insgesamt legten sich die Kultusminister grundsätzlich auf einen Öffnungskurs fest. Gleichzeitig verzichteten die Länder auf einheitliche Schritte. Mehrere Länder hatten schon angekündigt, dass die meisten Schülerinnen und Schüler nach den Osterferien mit Homeschooling unterrichtet werden.
Die Kultusminister der Länder haben sich gestern selbst zu Sprechern der Jugend ernannt. «Als Kultusministerinnen und Kultusminister sehen wir es als unsere Aufgabe, Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben und uns dafür einzusetzen, ihnen – soweit es geht – ihre Lebenswelt zurückzugeben», beschlossen die Politiker nach stundenlangen Beratungen. Die Länder wollen begleitet durch eine umfassende Test- und Impfstrategie so viel Präsenzunterricht wie möglich anbieten, «im modifizierten Regelbetrieb oder im Wechselmodell». Vor allem Abschlussklassen hätten Vorrang beim Präsenzunterricht.
«Dass es anscheinend immer noch Bundesländer gibt, die Schulen in Hochinzidenzgebieten offenhalten wollen, ist unverantwortlich»
Die Testmöglichkeiten sollten so ausgebaut werden, dass allen Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften und sonstigen an Schule Beschäftigten zweimal wöchentlich die Möglichkeit für einen Selbsttest angeboten werden kann. Auch künftig müssten die Hygieneregeln strikt eingehalten werden. Allen Beschäftigten an Schulen mit Schülerkontakt solle ein früher Impftermin angeboten werden. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die Brandenburger Ressortchefin Britta Ernst (SPD), sagte: «Die Bildungspolitik steht auch in dieser schwierigen Phase der Corona-Epidemie in der Verantwortung, Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Bildung und Unterricht zu gewährleisten.»
Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, sagte: «Obgleich auch in der Politik die einsichtigen Stimmen zuletzt lauter wurden, dass es für Schule endlich verbindliche, bundeseinheitliche, evidenz- und indikatorbasierte Regelungen braucht, liefert das Ergebnis der Kultusministerkonferenz wieder einmal das Gegenteil.» Es herrsche Wildwuchs. Der CDU-Vorsitzende und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hatte sich für eine bundesweit einheitliche Regelung ausgesprochen, wie es für die Schulen in der Pandemie nach den Osterferien weitergeht.
Beckmann: «Dass es anscheinend immer noch Bundesländer gibt, die Schulen in Hochinzidenzgebieten offenhalten wollen, ist unverantwortlich. Wir wissen: Seitdem die Schulen geöffnet sind, steigen im Alterssegment der Schülerinnen und Schüler, gerade bei Jüngeren, die Neuinfektionen rapide.» Beckmann betonte: «Man muss fast den Eindruck haben, dass mit der Gesundheit von Lehrkräften, Kindern und Jugendlichen in einigen Ländern eine Form russisches Roulette gespielt wird.» Nötig seien genaue Definitionen, wann Schulen, – ganz oder teilweise – zu schließen sind, um den Schutz aller zu gewährleisten.
Tatsächlich herrscht mittlerweile komplettes Chaos in der Schulpolitik – jedes Bundesland macht, was es will. In Nordrhein-Westfalen wird mit Ausnahme der Abschlussklassen ab Montag Distanzunterricht für alle anderen Schüler stattfinden, wie Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) bekanntgab. Für die Schüler der Abschlussklassen soll es in Nordrhein-Westfalen auch nach den Osterferien Präsenzunterricht in den Klassenräumen geben. Für die übrigen Jahrgänge gelte der Distanzunterricht vorerst nur eine Woche lang bis zum 16. April.
RKI stellt «anhaltende Viruszirkulation mit zahlreichen Ausbrüchen in Privathaushalten, Kitas und zunehmend auch in Schulen» fest
Gebauer sagte, Mediziner hätten im Rahmen der Kultusministerkonferenz bestätigt, dass das Infektionsgeschehen bei Kinder nund Jugendlichen zunehme. «Die Schulen sind keine Treiber der Pandemie», behauptete Gebauer zugleich. Laut Lageberichten des Robert Koch-Instituts der vergangenen Wochen spielen die Schulen eine wachsende Rolle bei der Viruszirkulation in Deutschland. Auch in den Kitas infizierten sich viele Minderjährige mit der britischen Corona-Variante. Am Donnerstag schrieb das Robert Koch-Institut in seinem aktuellen Lagebericht: «Die anhaltende Viruszirkulation in der Bevölkerung (Community Transmission) mit zahlreichen Ausbrüchen in Privathaushalten, Kitas und zunehmend auch in Schulen sowie dem beruflichen Umfeld erfordert die konsequente Umsetzung kontaktreduzierender Maßnahmen und Schutzmaßnahmen sowie massive Anstrengungen zur Eindämmung von Ausbrüchen und Infektionsketten.»
Wie es zuvor bereits für NRW angekündigt wurde, führt nun auch Berlin eine Testpflicht für Schülerinnen und Schüler ein. Wechselunterricht in Lerngruppen mit halber Klassengröße soll die Regeln sein. Die Jahrgangsstufen 7 bis 9 bleiben erstmal ausgenommen und sollen ab dem 19. April folgen.
Auch in Baden-Württemberg kündigte die Landesregierung eine neue Teststrategie an. Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und auch Hausmeister dürfen ab 19. April ohne negativen Corona-Test nicht mehr am Unterricht teilnehmen oder das Gelände betreten, wenn es mehr als 100 Corona-Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner an drei aufeinanderfolgenden Tagen gibt. Wer in der Woche ab 12. April in die Schulen zurückkehrt, kann sich noch freiwillig testen lassen. Allerdings gibt es Präsenzunterricht in der Woche nach den Osterferien zunächst nur für Abschlussklassen – im Wechselbetrieb. Für Schüler der Klassen 1 bis 7 wird nur eine Notbetreuung angeboten.
In Mecklenburg-Vorpommern hat der Unterricht nach zehntägiger Osterpause bereits begonnen. Dabei kehrten in weiten Teilen des Landes die Schüler der Klassen eins bis sechs sowie der Abschlussklassen zum Präsenzunterricht in ihre Schulen zurück. Die “Notbremse” wurde hier auf einen Inzidenzwert von 150 festgelegt. Brandenburg hingegen schickt ältere Schüler oberhalb der Grundschule erst einmal wieder in den Fernunterricht. In Bayern schalten Schulen in der Regel ab einem Inzidenzwert von 100 in einer Stadt oder einem Landkreis wieder von Präsenz- auf Fernunterricht um. Hamburg wiederum tut das erst, wenn der Wert an drei aufeinanderfolgenden Tagen bei über 200 liegt. Sachsen verabschiedet sich ganz von der Kopplung an den Inzidenzwert und hält Schulen und Kitas unabhängig davon offen.
In Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz war bereits wieder Unterricht, auch im Saarland begann er am Donnerstag. Hamburg hatte keine Osterferien, und in Hessen und Schleswig-Holstein dauern die Ferien noch bis Ende kommender Woche.
„Flächendeckend testen, Unterricht und Prüfungen ermöglichen“ (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08.04.2021)
1. Kinder und Jugendliche tragen eine große Last in der Pandemie. Diverse Studien zeigen mittlerweile, dass die junge Generation in besonderem Maße Einschränkungen in ihrer Bildungsbiographie und in ihrer sozialen Entwicklung durch die Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens hinzunehmen hat. Als Kultusministerinnen und Kultusminister sehen wir es als unsere Aufgabe, Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben und uns dafür einzusetzen, ihnen – soweit es geht – ihre Lebenswelt zurückzugeben. Schule als Ort des Lernens und des sozialen Miteinanders ist neben der Familie hierfür ein unersetzlicher Bestandteil der Lebenskontexte junger Menschen. Die Kultusministerkonferenz setzt sich daher dafür ein, Schulen so weit wie möglich prioritär offen zu halten.
2. Den Ländern ist bewusst, dass auch der Lernort Schule sich nicht vom Pandemiegeschehen abkoppeln kann. Die Länder wollen gleichwohl begleitet durch eine umfassende Test- und Impfstrategie so viel Präsenzunterricht wie möglich anbieten – sei es im modifizierten Regelbetrieb oder im Wechselmodell. Mit der Aufnahme des Präsenzunterrichts in den weiterführenden Schulen sind insbesondere die Schülerinnen und Schüler bzw. die Jahrgangsstufen zu priorisieren, die im Schuljahr 2021/2022 ihren Schulabschluss anstreben.
3. Die seit einigen Wochen in großem Umfang in den Ländern angebotenen Testmöglichkeiten sind dabei ein wichtiger Baustein der Corona-Strategie und tragen in erheblichem Maße zum Infektionsschutz und zur Eindämmung der Pandemie bei. Sie sollen so ausgebaut werden, dass allen Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften und sonstigen an Schule Beschäftigten zweimal wöchentlich die Möglichkeit für einen Selbsttest angeboten werden kann. Darüber hinaus müssen auch künftig die Hygieneregeln strikt eingehalten werden. Die Kultusministerinnen und Kultusminister setzen sich weiterhin dafür ein, dass allen Beschäftigten an Schulen, die im unmittelbaren Kontakt zu Schülerinnen und Schülern stehen, ein frühestmöglicher Impftermin angeboten wird. Mit einer flächendeckenden Teststrategie und durch die stetige Zunahme der Anzahl der geimpften Lehrkräfte auch an weiterführenden Schulen werden weitere Rahmenbedingungen für Präsenz- oder Wechselunterricht bis zu den Sommerferien geschaffen.
4. Besonders im Fokus stehen die vor uns liegenden Abschlussprüfungen. Die Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen konnten sich trotz der aktuellen Pandemiesituation gut auf das Abitur, die Fachhochschulreife, die Prüfungen für den Ersten und den Mittleren Schulabschluss sowie ihre Berufsabschlussprüfungen vorbereiten. Schulen und Bildungsverwaltung haben in den vergangenen Wochen dafür gesorgt, alle notwendigen Vorbereitungen zu treffen, um die Abschlussprüfungen nach den geltenden Hygiene- und Abstandsregelungen zu ermöglichen. Die Sicherheit der Schülerinnen und Schüler sowie der Aufsichtspersonen steht dabei immer im Fokus. Die Kultusministerinnen und Kultusminister werden daher die Abschlussprüfungen im Schuljahr 2020/2021 durchführen lassen.
5. Für die Länder hat die Kompensation pandemiebedingter Lernrückstände hohe Priorität. Entsprechend begrüßen die Länder das gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung geplante Förderprogramm zum Abbau pandemiebedingter Lernrückstände bei Schülerinnen und Schülern, das die in den Ländern bestehenden und geplanten Programme ergänzt und stärkt. Zugleich fordern die Länder die Bundesregierung auf, die hierzu bundesseitig notwendige Finanzierung sicherzustellen.
Quelle: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2021/Beschluss_2021-04-08.pdf
