Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will bis Anfang der Woche über die Ausrüstung von Schulen und Kitas mit Luftreinigern entscheiden. Wie die dpa aus Regierungskreisen erfuhr, hat Kretschmann die beteiligten Ministerien schon in der Kabinettssitzung am vergangenen Dienstag dringend aufgefordert, endlich eine Kosten-Nutzen-Rechnung für mobile Raumluftfilter vorzulegen. Es könne nicht sein, dass “man” nach eineinhalb Jahren Corona-Krise noch nicht genau wisse, ob die Filteranlagen das Infektionsrisiko deutlich senken oder nicht.
“Man” weiß das eigentlich: Zwei große Studien – eine vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik an der Universität der Bundeswehr München, eine zweite von der Goethe Universität Frankfurt –, die tatsächlich die Wirkung von Luftfiltern und offenen Fenstern in aufwändigen Versuchsanordnungen verglichen, kommen unabhängig voneinander zum Ergebnis: Es wird dringend empfohlen, Luftfilter in Schulen einzusetzen. Eine aktuelle Studie der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) des US-Gesundheitministeriums bestätigt den Befund: HEPA-Filter (die in hochwertigen Geräten genutzt werden) können demnach die Ausbreitung von Coronaviren um bis zu 65 Prozent reduzieren. In Kombination mit Masken wird eine Reduktion von 90 Prozent erreicht.
Mittlerweile haben Kultus- und Sozialministerium ihre Einschätzung abgeliefert. Nach dpa-Informationen heißt es in dem Papier, dass die Filter ein Baustein für mehr Sicherheit in Klassenzimmern und Kita-Räumen sind. Die Ministerien bringen dem Vernehmen nach die Möglichkeit ins Spiel, vor allem die unteren Klassen mit Raumfiltern auszurüsten, weil für Kinder unter 12 Jahren noch keine Impfungen zugelassen sind. Die Ständige Impfkommission hat bisher aber auch keine generelle Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche ab 12 ausgesprochen.
Mobile Luftfilter reduzieren den Lüftungsbedarf in Klassen- und Gruppenräumen auf ein normales Maß – im Winter keine Kleinigkeit
Der politische Druck wächst, weil die gefährliche Delta-Variante des Coronavirus wieder dazu führen könnte, dass Schulen und Kitas im Herbst geschlossen werden müssen. Länder wie Berlin oder Bayern sind da schon weiter als Baden-Württemberg – sie haben jeweils in nennenswerter Zahl die Geräte angeschafft.
Der Freistaat hat sogar das Ziel ausgerufen, dass es bis zum Herbst in allen Klassenzimmern und Kita-Gruppenräumen einen Luftreiniger geben soll. Die Staatsregierung will den Kommunen dafür 50 Prozent der Anschaffungskosten erstatten, kündigte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vergangene Woche an. Das Umweltbundesamt hatte allerdings erklärt, dass mobile Luftfilter nur eine Ergänzung zum aktiven Lüften sein könnten. Das ist allerdings eine Selbstverständlichkeit: Die Geräte verfügen über keine Verbindung nach außen. Schon der steigende CO2-Gehalt in der Atemluft macht Lüften notwendig. Aber: Mobile Luftfilter holen eben möglicherweise Corona-belastete Aerosole aus der Atemluft, wodurch sich der Lüftungsbedarf in Klassen- und Gruppenräumen auf ein normales Maß reduziert. Im bevorstehenden Winter bei Minusgraden ist das im Bildungsbetrieb keine Kleinigkeit.
Politische Brisanz erhält das Thema zusätzlich dadurch, dass zwei Wochen nach Ende der Sommerferien in Bayern und Baden-Württemberg Bundestagswahl ist – und zahlreiche Behörden und Ministerien bundesweit längst mit den Geräten ausgestattet sind. Die Politik hat an dieser Stelle ein Glaubwürdigkeitsproblem. Entsprechend scharf fällt die Kritik der Landtagsopposition im Ländle aus. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch: «Der Ministerpräsident zögert noch immer bei einer flächendeckenden Lüfter-Ausstattung der Klassenzimmer, hat aber sein Staatsministerium damit großzügig ausstatten lassen.» Das Land dürfe sich angesichts der Delta-Variante nicht erneut sehenden Auges in Schulschließungen hineinmanövrieren. «Es braucht Luftfilter in allen Klassenzimmern des Landes.»
Aktuell hat sich auch noch Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in die Diskussion eingeschaltet – sie fordert einen Luftfilter für jeden Klassenraum in Deutschland, wie News4teachers berichtet.
Kretschmann und Kultusministerin Theresa Schopper (ebenfalls Grüne) hatten sich zuletzt äußerst skeptisch über die Wirkung der mobilen Filtergeräte geäußert, die zwischen 3000 und 4000 Euro pro Stück kosten. Allerdings hatte die grüne Landtagsfraktion schon Schoppers Vorgängerin Susanne Eisenmann (CDU) dazu gedrängt, die Anschaffung der Filter voranzutreiben. Damals hatte das Land den Schulen über die Schulträger schon ein Budget von 40 Millionen Euro zur Verfügung gestellt habe, das auch für die Beschaffung mobiler Luftreiniger eingesetzt werden könne. Allerdings konnten mit dem Geld auch digitale Endgeräte beschafft werden – ein Zusammenhang, der sich nicht jedem erschließt.
«Wir brauchen das Maximum an Schutz in Kitas und Schulen, da gehören Luftfilter dazu.»
Auch die Lehrerverbände und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi dringen auf die Anschaffung der mobilen Filteranlagen. GEW-Landeschefin Monika Stein forderte das Land auf, die Kommunen finanziell zu unterstützen, sonst drohe ein Flickenteppich, da manche Städte und Gemeinden das wegen der Corona-Krise nicht allein stemmen könnten. Zudem dürften die Kindertagesstätten nicht vergessen werden, weil Kleinkinder nicht geimpft werden können und keine Masken tragen. Für Verdi im Südwesten warnte Sprecher Andreas Henke: «Wir laufen völlig naiv auf den Herbst zu.» Bei schlechtem Wetter müssten die Kinder wieder in ihre Gruppenräume. «Wir brauchen das Maximum an Schutz, da gehören Luftfilter dazu.»
In Baden-Württemberg kommen Landesregierung und Kommunen an diesem Montagabend zur Gemeinsamen Finanzkommission zusammen. Dabei soll es dem Vernehmen nach neben Corona-Hilfen für gebeutelte Städte und Gemeinden auch um die Luftfilter gehen. Im Südwesten gibt es mehr als 67 000 Klassenzimmer. Die SPD schätzt die Kosten für die Ausrüstung auf etwa 120 Millionen Euro. Hinzu kämen noch die etwa 9.300 Kitas im Land. News4teachers / mit Material der dpa
Warum keine Luftfilter für Kitas und Schulen? Wenn die Argumente ausgehen…
