Trotz rasant steigender Corona-Infektionszahlen unter Schulkindern plant das nordrhein-westfälische Schulministerium keine schärferen Schutzmaßnahmen und dringt auf eine bundesweite Lockerung der Quarantäne-Regeln an Schulen. «Unsere Schutzmaßnahmen greifen», sagte FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer am Mittwoch im Schulausschuss des Landtags. Ihr «Wunsch» sei, dass künftig nur noch nachweislich mit Corona infizierte Schülerinnen und Schüler in häusliche Quarantäne gehen sollten. Sie hoffe auf einen entsprechenden Beschluss bei den laufenden Bund-Länder-Gesprächen. Die Gesundheitsminister der Länder werden nach ihren Worten bis kommenden Montag Vorschläge für bundesweit möglichst einheitliche Quarantäne-Regelungen unterbreiten.
Derzeit sollen laut Verordnung in NRW bei einem Corona-Fall «enge Kontaktpersonen» in eine zweiwöchige häusliche Quarantäne gehen. Das sind Schüler, die vor, hinter, rechts oder links von einem Infizierten gesessen haben. Geimpfte ohne Symptome sind von der Quarantäne ausgenommen. Oft wird aber von den Behörden eine 14-tägige Quarantäne für ganze Gruppen oder Klassen angeordnet – entsprechend der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Diese Praxis hatte Kritik bei manchen Eltern von Schülern sowie auch Kita-Kindern ausgelöst. Die Stadt Köln hat bereits einen Modellversuch angekündigt, bei dem nur noch positiv getestete Schüler in Quarantäne gehen sollen, wie News4teachers berichtet.
«Unsere Schulen waren sicher und sind auch weiterhin sichere Orte»
Die oppositionelle SPD hatte gefordert, bei einem Corona-Fall eine gesamte Klasse in Quarantäne zu schicken – aber nur fünf Tage lang. Gebauer sagte dazu, fünf Tage Quarantäne für alle Kinder, egal ob genesen oder geimpft, sei «familienunfreundlich» und «sträflich» für die, die auf Präsenzunterricht angewiesen seien.
Gut 30.000 Schüler in Nordrhein-Westfalen sind laut Schulministerium (Stichtag 26. August) in Quarantäne geschickt worden. Das entspricht etwa 1,6 Prozent der Schülerschaft. Unter allen Schülern wurde bei etwa 0,35 Prozent – rund 6.500 Personen – eine Corona-Infektion bestätigt. Sollten ganze Klassen in Quarantäne müssen, wie es die SPD wolle, dann säßen derzeit mehr als 160.000 Schüler in Quarantäne, so die Ministerin.
Es müssten jetzt «nicht voreilig» weitergehende Maßnahmen ergriffen werden, die das Recht auf Bildung weiter einschränkten, sagte Gebauer. Auch nach Ansicht von Experten müsse alles darangesetzt werden, den Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten. Nicht mehr der Inzidenzwert dürfe ausschlaggebend sein. Die Landesregierung habe daher einen inzidenzunabhängigen Schulunterricht beschlossen.
Gebauer verwies auf die Hygienemaßnahmen an den Schulen und die laufende Impfkampagne bei 12- bis 17-Jährigen. Mindestens bis zu den Herbstferien würden zudem nicht geimpfte Schüler weiter getestet. Auch das Luftfilter-Programm für Schulen laufe. 5500 Räume seien damit bereits ausgestattet (wohlgemerkt: bei rund 5.200 Schulen im Land, d. Red.). Es sei jedoch «unrealistisch», davon auszugehen, dass angesichts des beschlossenen Präsenzunterrichts jede einzelne Infektion an den Schulen verhindert werden können, so Gebauer.
Die steigenden Infektionszahlen mit Schuljahresbeginn vor zwei Wochen seien absehbar gewesen. Sie seien auch durch Reiserückkehrer ausgelöst worden. Daher müssten die bisherigen Schutzmaßnahmen weiter gelten. «Unsere Schulen waren sicher und sind auch weiterhin sichere Orte», sagte die FDP-Politikerin.
Die Sieben-Tage-Inzidenz in NRW war bis Mittwoch zwar auf 120,3 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner gesunken. Allerdings ist die Inzidenz in der Altersgruppe der Schulkinder weiterhin mit Abstand am höchsten und erreicht Werte teilweise weit über 300.
Die Grünen-Bildungsexpertin Sigrid Beer nannte die Lage an den Schulen dramatisch. Gebauer ignoriere mit ihrem Quarantäne-Vorschlag nur für infizierte Kinder Fakten, dass Kinder nicht den ganzen Schultag auf ihrem Stuhl säßen, sondern zur Mensa gingen oder in wechselnden Lerngruppen arbeiteten. Nur tägliches Testen in Kombination mit schnellem Freitesten durch einen PCR-Test nach fünf Tagen könne Abhilfe schaffen.
Die Impfquote in der Lehrerschaft liegt nach Angaben Gebauers in NRW laut freiwilligen Angaben bei 87,5 Prozent, bei Grund- und Förderschullehrern sogar über 90 Prozent. In der Gruppe der 12- bis 17-Jährigen habe fast jeder Vierte (24 Prozent) den vollständigen Impfschutz.
«Es ist ein Hohn, dass die Gesundheitsminister der Länder sich erst nach Beginn des Schuljahres zusammensetzen»
Am Donnerstag kommt auf Antrag der SPD der Landtag zu einer Sondersitzung zusammen, um über die Situation der Jugendlichen und Kinder in der Corona-Krise zu diskutieren. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) wird die Abgeordneten dabei über die Maßnahmen der Landesregierung wie Hygienekonzepte, Tests und Impfungen unterrichten.
Nach Ansicht des Lehrerverbandes VBE NRW sorgt die unterschiedliche regionale Auslegung der Quarantäneregelung in vielen Schulen «für berechtigten Frust». Der VBE-Landesvorsitzende Stefan Behlau sagte: «Es ist ein Hohn, dass die Gesundheitsminister der Länder sich erst nach Beginn des Schuljahres zusammensetzen, um Vorschläge zu bundesweit einheitlichen Quarantäne-Regelungen zu unterbreiten.» Bereits seit Monaten fordere der VBE einheitliche und nachvollziehbare Regelungen.
Die Bildungsgewerkschaft GEW sieht die Gesundheitsämter überfordert mit der derzeitigen Nachverfolgung der Quarantäneregeln. Der Präsenzunterricht brauche verlässliche Maßnahmen. «In diesem Chaos ist die Beibehaltung der Maskenpflicht und engmaschige Tests das Mindeste», so die GEW-Landesvorsitzende Ayla Çelik. News4teachers / mit Material der dpa
