KASSEL/WETZLAR/FRANKFURT. Lesen ist eine Schlüsselqualifikation für Bildung und Teilhabe. Kindern – besonders aus bildungsfernen Familien – den Zugang zu Texten und Büchern zu erleichtern, ist das Ziel verschiedener Initiativen in Hessen.
Lesen öffnet Türen zu Wissen, Bildung, zu anderen, zur Welt. Bereits in der Kindheit entscheidet sich, wer später gerne liest. Bei vielen Kindern und Jugendlichen haben Lesefreude und -motivation allerdings deutlich abgenommen. Laut hessischem Kultusministerium fällt es Jugendlichen trotz insgesamt hohem Wissen über Lesestrategien nach wie vor schwer, diese einzusetzen. «Circa 21 Prozent der Jugendlichen haben Schwierigkeiten im sinnerfassenden Lesen, wobei Mädchen im Durchschnitt deutlich besser abschneiden als gleichaltrige Jungen», sagt Pressesprecher Philipp Bender. Der Distanzunterricht während der Corona-Pandemie dürfte die Probleme noch verstärken.
Neben der Förderung durch die Schulen gibt es daher zahlreiche Projekte und Initiativen, die zum Lesen anregen wollen. In Kassel etwa findet mit den Kinderbuchtagen ab dem 9. September erstmals ein Literaturfest für Kinder in der Stadt statt. Das Literaturhaus Nordhessen organisiert die viertägige Veranstaltung, die sich an Kinder ab vier Jahren richtet.
«Ziel des Festivals ist es, mit spannenden Geschichten und einer kindgerechten Vermittlung den Nachwuchs an Literatur heranzuführen», sagt Anna Lischper vom Organisationsteam des Literaturhauses. Wer zuhöre, nehme Sprache auf und werde im besten Fall vom Zuhörer zum Selberleser. Der Verein wolle mit der Veranstaltung die Lust der Kinder an Sprache wecken und ihre Fantasie anregen. «Hören und Lesen von Geschichten fesselt die Aufmerksamkeit und weckt Neugierde. Kinder können auf diese spielerische Weise wichtige Voraussetzungen für das Lernen erwerben», ergänzt Logopädin und Mit-Initiatorin Heike Bündgen. Das Land Hessen und die Stadt Kassel unterstützen die Veranstaltung, die im Rahmen der landesweiten Lesereihe «Leseland Hessen» stattfindet.
«Es braucht mehr Leseförderung», meint Sylvia Beiser, Leiterin der Stadtbibliothek in Wetzlar. «Dranbleiben ist wichtig. Gerade jetzt», sagt sie mit Blick auf die Folgen der Corona-Pandemie. In der mittelhessischen Stadt will die gemeinsame Initiative von Jugendamt, Stadtbibliothek und Phantastischer Bibliothek «Wetzlar liest – von Anfang an und überall» Literatur und Lesen an allen Orten und für alle Menschen präsenter machen. Dafür ist sie mit dem Deutschen Lesepreis 2020 ausgezeichnet worden.
In dem Projekt werde das Know-how der einzelnen Partner zusammengeführt, erläutert Beiser. «Das ist eine Form von Zusammenarbeit, die in vielen Kommunen stattfinden könnte.» In Wetzlar liege der Schwerpunkt derzeit noch auf der frühkindlichen Bildung. «Wir unterstützen die Kitas beispielsweise bei der Buchbeschaffung und -ausleihe und bieten unter anderem Fortbildungen für die pädagogischen Fachkräfte etwa zu Bilderbüchern und dem Umgang mit Medien an.» Künftig sollten aber auch Erwachsene stärker in den Fokus genommen werden.
«Wir möchten alle Kinder erreichen, auch die aus bildungsfernen Familien, und machen deshalb niedrigschwellige Angebote», sagt Katja Freitag, Leiterin der Stadtbibliothek Baunatal. Dazu ist die Einrichtung eng vernetzt mit den Kitas und Schulen in der nordhessischen Stadt. Für ihr Leseförder-Konzept wurde die Bücherei kürzlich mit dem Hessischen Bibliothekenpreis ausgezeichnet.
«Mindestens einmal im Jahr kommen alle Kitagruppen und Schulklassen bis zum Jahrgang neun zu einer Führung», erläutert Jutta Kraut, mit der Freitag die Bücherei gemeinsam leitet. Dabei wird kein trockener Vortrag gehalten, sondern eine Entdeckungsreise geboten. «Wir führen die Kinder und Jugendlichen spielerisch und interaktiv an Literatur und Medien heran. Da werden die Kitakinder beispielsweise zu Piraten auf Schatzsuche», erläutert Freitag. Außerdem gebe es regelmäßig offene Vorlesestunden mit drei ehrenamtlichen Vorlesepaten. «Wir versuchen, zum Lesen zu animieren und die Medienkompetenz zu stärken. Es ist kein Geheimnis, dass sie sinkt. Sie ist aber die Voraussetzung für einen erfolgreichen Lebensweg schlechthin», betont Kraut.
Um wiederum die Bibliotheken bei ihrer Arbeit zu unterstützen, haben das Hessische Literaturforum im Mousonturm und die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen das Projekt «Ich bin eine Leseratte» ins Leben gerufen. «Jedes Jahr können sich dabei interessierte Büchereien aus Hessen und Thüringen für das Ferienprojekt bewerben», erklärt Helene Sindl vom Hessischen Literaturforum im Mousonturm. Jeweils 15, vorwiegend aus dem ländlichen Raum, würden ausgewählt und mit sechs ausgesuchten Büchern für Kinder der Klassen drei bis sechs sowie Broschüren zur spielerischen Vertiefung ausgestattet. «Ziel ist, dass die Kinder auch nach den Ferien wiederkommen», erläutert Sindl. Besonders in Pandemiezeiten sei das ein schwieriges Unterfangen. (dpa)
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