Buchmesse: Was leisten Schulbücher, um Lehrkräften beim Thema Vielfalt zu helfen?

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FRANKFURT/MAIN. „Schulbücher sind immer Spiegel der Gesellschaft, die sie umgibt. Schulbücher spiegeln den Konsens, den kleinsten gemeinsamen Nenner“, sagt Prof. Riem Spielhaus. Umso wichtiger sei es, darin die gesellschaftliche Realität abzubilden. Und die sei nun mal in der Einwanderungsgesellschaft: vielfältig. Spielhaus ist Leiterin der Abteilung „Wissen im Umbruch“ des Georg-Eckert-Instituts – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung. Im Forum Bildung auf der Frankfurter Buchmesse diskutiert sie mit Udo Beckmann, dem Bundesvorsitzendes des VBE und Martin Kloke, Redakteur beim Cornelsen Verlag, über das Thema: „Vielfalt in der Schule: Was leisten Bildungsmedien?“ Ausgehend von dem Befund, dass die Schulen vor der Herausforderung einer zunehmend heterogenen Schülerschaft stehen, stellt sich dabei die Frage, welche Hilfestellungen Bildungsmedien Lehrkräften bieten sollten.

Bildungsmedien geben wichtige Impulse für den Unterricht. Foto: Shutterstock

Was können Bildungsmedien in Sachen Vielfalt überhaupt leisten – angesichts der wachsenden Belastungen von Lehrkräften, die sich aus den zunehmenden Ansprüchen einer individuellen Förderung ergeben? „In einer immer ausdifferenzierteren Gesellschaft, die sich in einer immer heterogeneren Schülerschaft widerspiegelt, stehen Lehrerinnen und Lehrer vor der wachsenden Herausforderung, Spannungen im schulischen Alltag aufzufangen und gleichzeitig die Chancen dieser Vielfalt für ihren Bildungsauftrag zu nutzen“, antwortet VBE-Chef Udo Beckmann gegenüber News4teachers. „Bildungsmedien können hier einen wertvollen Beitrag leisten.“

Forum Bildung auf der Frankfurter Buchmesse

Die Diskussionsrunde zum Thema „Vielfalt in der Schule: Was leisten Bildungsmedien?“ mit Prof. Spielhaus, dem VBE-Bundesvorsitzenden Udo Beckmann und Cornelsen-Redakteur Dr. Martin Kloke können Sie mitverfolgen – live auf der Frankfurter Buchmesse oder gratis und ohne Voranmeldung im Livestream am Bildschirm, und zwar am Donnerstag, 21. Oktober 2021, 14.30 bis 15.15 Uhr.

Die Runde findet im Rahmen des Forum Bildung statt, einem besonderen Veranstaltungsformat: An fünf Messetagen, vom 20. bis zum 24. Oktober 2021, kommen auf einer Bühne im Ausstellungsbereich Frankfurt EDU mehr als 20 Bildungsexpertinnen und -experten sowie Prominente aus Politik und Gesellschaft in über zwei Dutzend Gesprächsrunden zu Wort. Veranstalter sind der Verband Bildungsmedien, die Frankfurter Buchmesse und LitCam, die gemeinnützige Frankfurt Book Fair Literacy Campaign. Inhaltlicher Schwerpunkt ist der Unterricht der Zukunft – sowohl in nächster Zeit nach der Corona-Krise wie auf lange Sicht.

Hier geht es zum Programm und zum Livestream. 

Ihnen komme die Aufgabe zu, dieses Bemühen zu flankieren und zu fördern. Tatsächlich täten sie das bereits. Die Medienmacherinnen und Medienmacher im Bildungsbereich bewiesen immer wieder, so Beckmann, dass sie willens und in der Lage sind, dies zu leisten. Jetzt komme es darauf an, die Digitalisierung so zu nutzen, dass damit eine stärkere Individualisierung einher gehen könne – um einen Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit zu leisten.

„Entscheidend ist, welche Rollen dabei abgebildet werden – Geschlechterrollen etwa – und ob Stereotype bedient werden“

Die Wissenschaftlerin Spielhaus bestätigt, dass das Engagement auf Seiten der Verlage sowie der Autorinnen und Autoren wächst. In den letzten zehn, 20 Jahren sei ein immer stärkeres Bemühen festzustellen, gesellschaftliche Vielfalt abzubilden und damit einen Beitrag zur Chancengleichheit zu leisten. Allerdings sei auch der Druck gestiegen, hierbei sensibel vorzugehen.

Das betreffe zum einen die Inhalte – welche Themen werden wie behandelt? –, zum anderen die Identifikationsmöglichkeiten, die zu den Themen angeboten werden. So gibt es in Schulbüchern häufig Charaktere, die die Schülerinnen und Schüler altersgerecht durch die Inhalte führen. „Entscheidend ist, welche Rollen dabei abgebildet werden – Geschlechterrollen etwa – und ob Stereotype bedient werden“, so erklärt Spielhaus. „Es sind immer noch problematische Gleichsetzungen zu finden: Deutschsein mit weißer Hautfarbe etwa, oder: Kopftuchtragende Frauen mit Türkinnen“. Immer mehr Schulbücher lassen jedoch nicht nur „Paul und Charlotte, sondern auch Elif und Anil und Mia im Rollstuhl“ zu Wort kommen.

Auf inhaltlicher Ebene habe sich in Sachen Vielfalt in den Wissenschaften viel getan, was sich in den Schulbüchern (noch) nicht immer abbilde. Beispiel Geschichte: Hier werde zunehmend, abweichend von der tradierten Fokussierung auf Deutschland und Europa, eine globale Perspektive eingenommen, die unterschiedliche Narrative beinhalte und etwa Themenkomplexe wie den Kolonialismus auch aus der Perspektive der unterdrückten Völker beschreibe. Natürlich biete ein Schulbuch nur begrenzten Platz und sei nicht beliebig erweiterbar, räumt Spielhaus ein. „Geschichtsunterricht kann aber thematisieren, dass es unterschiedliche Narrative gibt“, sagt sie.

Spielhaus und ihre Kollegin Dr. Imke Rath haben unlängst untersucht, wie es um die Darstellung von Sinti und Roma in aktuellen deutschen Lehrplänen und Schulbüchern bestellt ist. Die Ergebnisse waren ernüchternd. Wenn überhaupt von Sinti und Roma die Rede ist, dann meist nur als Verfolgte im Nationalsozialismus. „Kaum ein Schulbuch stellt Sinti und Roma im Kontext gesellschaftlicher Diversität dar oder macht Schüler*innen mit ihrer Geschichte jenseits von Verfolgung und Vernichtung vertraut. In Lehrplänen und Schulbüchern dominiert also eine problembezogene Thematisierung von Sinti und Roma, wie sie auch im Kontext anderer nationaler Minderheiten zu finden ist. Eine Fehlstelle in deutschen Schulbüchern bleibt demnach die Darstellung von Sinti*zze und Rom*nja im Alltag, in üblichen Berufen und Zusammenhängen ohne Problemkontext“, so heißt es im Fazit der Studie.

Und weiter: „Selten kommen Sinti*zze und Rom*nja selbst zu Wort und lassen dadurch Individualität erkennen. Zwischen Sinti und Roma wird kaum und dann meist nur in Bezug auf die Benennung differenziert, somit ist die interne Diversität ebenfalls nahezu unsichtbar, obwohl Sinti*zze und Rom*nja in Geschichte, Identität(en) und heutigen Lebenssituationen gravierende Unterschiede aufweisen.“

„All diese Perspektiven sind nichtig, wenn Politik den Schulen die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen verweigert“

Genau darum gehe es, so Spielhaus im Gespräch: Vielfalt und Individualität als gesellschaftliche Prinzipien anzuerkennen, Schülerinnen und Schülern damit eigene Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen – sie in die Lage zu versetzen, Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus und Antiislamismus entgegenzutreten, und auch: eigene Stereotype zu hinterfragen. „Bildungsmedien haben ein ganz großes Potenzial“, sagt die Professorin. „Viele Kinder kommen mit ihnen in Kontakt, und Lehrkräften geben sie Antrieb und Impulse.“

Gleichwohl stößt das Bemühen Beckmann zufolge an Grenzen, wenn nicht gleichzeitig auch die Rahmenbedingungen für die Arbeit von Lehrkräften verbessert würden. „All diese Perspektiven sind nichtig, wenn Politik Schulen, Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen verweigert und es nicht gelingt, pädagogisch gut qualifiziertes Personal bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen“, sagt er. News4teachers

Wie sieht der Unterricht der Zukunft aus? Das Forum Bildung auf der Frankfurter Buchmesse wirft Schlaglichter auf zentrale Fragen

 

 

 

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Einer
2 Jahre zuvor

Was onteressiert mich die Vermittlung von Vielfalt.
Ich muss Coronatest durchführen, Impfzertifikate prüfen, gefälschte Zertifikate ahnden (hatte schpn zwei), mit Maskenmuffeln diskutieren und alle zwei Minuten ermahnen, Tische und PCs und Tastaturen desinfizieren, lüften und nebenbei noch Unterrichtsinhalte vermitteln.
Da kann mir Vielfalt mal an der Hupe schmatzen.

Lera
2 Jahre zuvor

Echter Fortschritt: Die gewinnorientierten Schulbuchverlage
springen auf jeden Trendzug auf, gleichzeitig kriegen sie es kaum gebacken, mal ein wirklich einsetzbares Lehrwerk mit genügend differenziertem Übungsmaterial rauszugeben.

Spart euch einfach die Schlagworte, dafür mehr Substanz.

Und ihr könnt von mir aus alle nur noch Ali und Salome nennen: Toleranter wird dadurch keiner.