BERLIN. Die Inzidenzen unter Schülerinnen und Schülern in Deutschland explodieren. Dass die offiziellen Ansteckungszahlen unter den Fünf- bis 19-Jährigen so hoch ausfallen, hat zwei Gründe, wie auch das Robert-Koch-Institut betont: Zum einen grassiert die hochansteckende Delta-Variante des Coronavirus in den Schulen – zum anderen wird dort regelmäßig getestet, sodass die vielen Infektionen auch auffallen. In den Kitas gibt es hingegen keine Testpflicht. Deshalb laufen Ausbrüche dort weitgehend unter dem Radar, wie das Robert-Koch-Institut warnt. Mit Berlin will das erste Bundesland jetzt per Testpflicht auch für die Kleinen gegensteuern.
Die Zahl bekannter Corona-Infektionen bei Kindergarten-Kindern in Nordrhein-Westfalen hat sich binnen einer Woche mehr als verdoppelt – binnen zwei Wochen sogar versiebenfacht. Mit Stand 22. November berichtete das Familienministerium von 1096 gemeldeten Infektionen, wobei noch Nachmeldungen möglich sind. In der Vorwoche waren es erst 504, in der Woche davor sogar nur 146 Kinder. Auch die Zahl infizierter Kita-Mitarbeiter hat sich in nur einer Woche mehr als verdoppelt – und in zwei Wochen verfünffacht. Aktuell wurden 808 gemeldet, in der Vorwoche waren es 369, in der Woche davor 143. Noch ein Vergleich: Im gesamten Monat Oktober waren insgesamt 426 Kinder und 285 Beschäftigte als Corona-infiziert gemeldet worden.
Die Entwicklung ist deutlich – die genannten absoluten Zahlen sind allerdings sehr mit Vorsicht zu betrachten. Der jüngste Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts weist bundesweit für Null- bis Vierjährige eine unterdurchschnittliche Inzidenz von 175 aus – bei der nächsthöheren Altersgruppe, den Grundschülern, steht dagegen ein Rekordwert von 625. Der Unterschied liegt aber wohl nicht darin begründet, dass sich Kita-Kinder seltener infizieren. „Bei der Inzidenz der 0- bis 4-Jährigen ist zu beachten, dass im Gegensatz zu Schulkindern in keinem Bundesland eine Testpflicht für Kitakinder besteht, sodass hier von einer größeren Untererfassung ausgegangen werden muss“, so heißt es beim RKI. Altersgerechte Testkonzepte würden von den Bundesländern insbesondere in Kitas oft nur unzureichend eingeführt, heißt es in einem Bericht.
„Durch das hohe Infektionsgeschehen werden keine Kinder und Kita-Fachkräfte zurzeit in Quarantäne geschickt”
Das erklärt auch, warum sich lokale Meldungen über Ausbrüche in Kitas häufen, ohne dass dies in den Statistiken sonderlich auffiele. Im sächsischen Landkreis Leipzig – einem Corona-Hotspot – verhängt das örtliche Gesundheitsamt angesichts der Vielzahl von Corona-Fällen in Kindertagesstätten nicht mal mehr Quarantäne, wie die Nachrichtenseite von t-online.de berichtet.
Nachdem in der Kita „Waldknuffel“ in Markranstädt im Südwesten Leipzigs ein massiver Corona-Ausbruch offenkundig geworden war – wie viele Betroffene es dabei gab, blieb unklar – sei das zuständige Gesundheitsamt des Kreises, so schildere es die Kita-Leitung in einem Brief an die Eltern, zunächst nicht zu erreichen gewesen. Als jemand dann doch mal ans Telefon ging, habe es schlicht geheißen: „Durch das hohe Infektionsgeschehen werden keine Kinder und Kita-Fachkräfte zurzeit in Quarantäne geschickt und auch keine Quarantänebescheide ausgestellt.“ Auf Anfrage der Redaktion habe der Landkreis Leipzig dann mitgeteilt, aktuell seien vor Ort fast 20 Kitas von Corona-Infektionen betroffen. Das Gesundheitsamt schaffe die Bearbeitung von Infektionsfällen momentan erst zwei bis drei Tage nach Vorliegen der Testergebnisse.
Damit endlich Licht ins Dunkelfeld kommt, wird es in Berlin ab kommender Woche eine Testpflicht für Kita-Kinder geben. Kitas sollen nach einem Beschluss des Berliner Senats verpflichtet werden, den Sorgeberechtigten zwei Schnelltests pro Woche auszuhändigen, die sie zu Hause anwenden können. Dass das tatsächlich passiert ist, müssen die Eltern künftig schriftlich in einem Standardformular angeben. «Dieses verbindliche Testsystem soll spätestens zum 01.12.2021 in den Einrichtungen umgesetzt werden», teilte die Bildungsverwaltung am Dienstag mit.
In einem zweiten Schritt sollen Lolli-Schnelltests zum Einsatz kommen, die als leichter zu handhaben und als kindgerechter gelten. Sobald ausreichend solche Tests zur Verfügung stehen, ist geplant, den Einsatz dreimal pro Woche verpflichtend zu machen. Dafür nannte die Bildungsverwaltung noch kein Datum.
Auch in Sachsen kocht der Streit hoch. Wegen der hohen Corona-Zahlen müssen sich Schülerinnen und Schüler im Freistaat derzeit dreimal pro Woche testen – aus Sicht von Kita-Personal sollte diese Testpflicht auch für Kindertagesstätten gelten. «Es ist unsinnig, dass es eine eindeutige Testpflicht für Grundschulen gibt, aber nicht für Kitas und Horte», sagt die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Uschi Kruse. Sie gehe zwar davon aus, dass der ein oder andere Träger Corona-Tests eingeführt habe, um auch Eltern zu beruhigen. Einen Überblick habe sie jedoch nicht. «Ich würde mir dafür einheitliche Regelungen wünschen», meint Kruse.
“Die Kinder zeigen oft keine Symptome, wenn sie Corona haben und verteilen das Virus dann unabsichtlich in der Kita”
Ähnlich sieht es auch Ivette Plaettner. Die Erzieherin und Betriebsrätin in einer Kita in Oßling (Landkreis Bautzen) hat gerade im Internet eine Petition gestartet für eine Testpflicht an Kitas. «Überall müssen sich Menschen testen, auch in ihrer Freizeit», sagte sie. Nur für Kita-Kinder gelte das nicht. Folglich fehle es an Sicherheit für das Personal. Selbst im Fall einer Corona-Infektion der Eltern würden die Kleinen nach Ende der Quarantäne nicht getestet. «Dabei haben die Kinder oft keine Symptome, wenn sie Corona haben und verteilen das Virus dann unabsichtlich in der Kita», sagte Plaettner. Es brauche aus ihrer Sicht nicht unbedingt eine dreifache Testung pro Woche, aber «anlassbezogene Tests» seien in jedem Fall wichtig.
Bislang plant der Freistaat gar keine Testpflicht, wie eine Sprecherin des Kultusministeriums auf Anfrage mitteilte. Wie viele Kitas wegen Infektionsfällen derzeit geschlossen seien, könne der Freistaat nicht beantworten. «Dafür sind die Träger der Kitas zuständig», sagte die Sprecherin. Auch über die Erzieherinnen und Erzieher könne der Freistaat daher keine Auskunft geben. Zumindest in der Kita in Oßling ist die Ausfallquote beim Personal coronabedingt zurzeit hoch, wie Erzieherin Plaettner sagt. Vergangene Woche sei die Hälfte der Angestellten ausgefallen.
Auch bei Kindern könnten schwere Krankheitsverläufe, Todesfälle und Langzeitfolgen nach einer Covid-19-Erkrankung auftreten, wie das Robert-Koch-Institut betont. Das Ausmaß der gesundheitlichen Folgen könne aber noch nicht eindeutig bewertet werden. «Solange diese wichtige Frage nicht geklärt ist, sollten Kinder der Gefahr einer Infektion nicht unnötig ausgesetzt werden», schreiben die Experten. News4teachers / mit Material der dpa
