Der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) will nach eigenen Worten Schülern weiter den Präsenzunterricht in ihren Klassen «ermöglichen». Es gebe in Hessen zwar insgesamt stark steigende Corona-Zahlen und an dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklung nähmen natürlich auch die Schulen teil, sagt er im Gespräch in Wiesbaden. Die Schulen seien in der Regel aber nicht die Orte, wo Infektionen entstehen, sondern lediglich die Orte, wo diese festgestellt werden. Er halte daher an der Präsenz im Unterricht in den Schulen fest.
Lorz verweist auf das engmaschige Testen an den Schulen, damit gebe es quasi keine Dunkelziffer. «Die Schulen sind das größte Testzentrum dieser Republik», sagte der Minister. Über Kinder und Jugendliche gebe es den besten Überblick, was Infektionen angeht. «Die Infektionen, die wir in der Schule feststellen, sind im überwiegenden Teil im privaten Umfeld erfolgt.» Das ist allerdings eine unbelegbare Erkenntnis – können die Gesundheitsämter die erfolgten Kontakte doch längst nicht mehr nachvollziehen.
Lorz beruft sich in einem aktuellen Video der hessischen Landesregierung auf eine Studie des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung, die die Kultusministerkonferenz in Auftrag gegeben hat. Die kommt allerdings keineswegs zu dem Schluss, dass Kinder sich vorwiegend im Privaten anstecken, wie News4teachers berichtet.
«Das ist auch der Grund, warum ich mit gutem Gewissen Kinder und Jugendliche weiter in die Schule schicken kann»
Ausgeführt wird darin, dass zwar das Übertragungssrisiko in der Familie, wenn dort das Virus einmal eingeschleppt sei, größer sei als in der Schule, in der Schule aber nunmal weitaus mehr Sozialkontakte stattfänden. Zusammenfassend erklären die Autoren – «unter Vorbehalt» unsicherer Datenlage: «Die Übertragung von SARS-CoV-2 in Schulen findet statt, sowohl von Personal auf Personal, von Personal auf SchülerInnen, von SchülerInnen auf Personal als auch von SchülerInnen auf SchülerInnen.»
Schulen seien von allen öffentlichen Orten in der Corona-Pandemie mit am besten abgesichert, behauptet dagegen Lorz. «Das ist auch der Grund, warum ich mit gutem Gewissen Kinder und Jugendliche weiter in die Schule schicken kann.»
Worin dieser Schutz außer Masken besteht (die Lorz im Herbst bei steigenden Infektionszahlen ja schon einmal aus den Klassenzimmern verbannte)? Die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts für den Schulbetrieb werden in Hessen wie in den anderen Bundesländern ebenso wenig eingehalten wie die S3-Leitlinie, die das Bundesbildungsministerium mit drei Dutzend Fachgesellschaften, darunter Ärzteverbänden, entwickelt hat. Die sieht bei sehr hohem Infektionsgeschehen unter anderem Wechselunterricht vor, den Lorz ausdrücklich ablehnt.
In Hessen gebe es seit April 2021 die Möglichkeit, dass Eltern ihre Kinder vom Präsenzunterricht abmelden können, sagt der Minister. Das hänge mit der Corona-Testpflicht in den Schulen zusammen. Wenn Eltern diese ablehnen, müssten die Schülerinnen und Schüler am Schultor abgewiesen werden. Um den Kinder das zu ersparen, gebe es die Möglichkeit der Abmeldung vom Unterricht.
«Das macht mich nicht glücklich, weil die Kinder später dann wieder an das Lernen in der Klasse herangeführt werden müssen», sagt der Kultusminister. Die Abmeldequote sei mit landesweit rund 0,3 Prozent aber sehr niedrig – was einerseits daran liegen könnte, dass die Kinder keinen Anspruch auf Distanzunterricht haben, andererseits daran, dass Familien nicht gerne als Querdenker stigmatisiert werden. Lorz: «Ich möchte natürlich, dass die Schüler alle in den Präsenzunterricht gehen, weil ich weiß, wie wichtig der soziale Kontakt mit anderen Kindern ist.» Bemerkenswert in diesem Zusammenhang: Der Bundestag hat für sich die Präsenzpflicht gerade ausgesetzt, wie News4teachers berichtet.
Es gebe derzeit eine einzige geschlossene Schule in Hessen, teilt der Kultusminister mit. Das sei eine kleine Schule mit nur wenigen Klassen in Nordhessen. Ansonsten seien etwa 100 von den insgesamt mehr als 30.000 Klassen und Lerngruppen wegen hoher Corona-Infektionszahlen im Distanzunterricht. Wer sich allerdings die Inzidenzen unter Schülerinnen und Schülern in Hessen anschaut, bekommt ein anderes Bild: Frankurt am Main weist für Fünf- bis 14-Jährige eine Inzidenz von 5.911 auf, die Landeshauptstadt Wiesbaden von 5.334, Darmstadt 4.567 und Offenbach 5.392. Die Werte liegen allesamt rund dreimal so hoch wie der Bevölkerungsdurchschnitt.
«Die Situation ist schwierig, sie ist nicht schön, aber sie ist im Moment jedenfalls noch gut beherrschbar»
Von Einschränkungen seien derzeit vor allem die Schulamtsbezirke im Rhein-Main-Gebiet betroffen, räumt Lorz ein. Überall dort, wo es generell hohe Corona-Inzidenzen gebe, sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass auch in den Schulen mehr Kinder und Jugendliche morgens vor dem Unterricht positiv getestet werden. Aber dies könne eben auch an anderen Orten geschehen. «Natürlich wird es in den nächsten Wochen weiter lokal, regional und temporär zu Einschränkungen des Unterrichtsbetriebs kommen, wenn die Infektionszahlen noch weiter steigen.»
Rund 3,3 Prozent der Schülerinnen und Schüler (25.000) sind derzeit wegen einer eigenen Corona-Infektion oder als enge Kontaktperson zu einem Infizierten in Quarantäne, bei den Lehrkräften beträgt dieser Wert 2,2 Prozent (1300). «Die Situation ist schwierig, sie ist nicht schön, aber sie ist im Moment jedenfalls noch gut beherrschbar», sagt Lorz.
Eine Ausweitung der Testpflicht würde nach Einschätzung des Ministers keinen zusätzlichen Schutz bieten. Derzeit werden die Kinder und Jugendlichen dreimal pro Woche in der Schule getestet. Bei einem Ausbruch wird zur täglichen Testung übergegangen. Die Gesundheitsexperten sagten, dass ein noch häufigeres Testen keinen Sinn mache, erklärt Lorz. In dem Video, das von der Landesregierung herausgegeben wurde, beteuert er: «Wir haben die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen fest im Blick.» News4teachers / mit Material der dpa
