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Schon wieder falsch! VBE zeigt auf: Kultusminister schaffen es nicht, realistischen Lehrkräftebedarf zu ermitteln

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BERLIN. Der Lehrkräftemangel in den nächsten Jahren fällt deutlich größer aus als bislang von der KMK prognostiziert. Dies hat der Verband Bildung und Erziehung (VBE) den Kultusministern bereits im Januar in Gestalt eines Gutachtens vorrechnen lassen. Die KMK hat daraufhin neue Zahlen vorgelegt, die der VBE nun abermals prüfen ließ. Ergebnis: Die Vorhersage stimmt immer noch nicht. VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann spricht von „Schönrechnerei“ und „dem Verschleppen dringend gebotener umfänglicher Maßnahmen zur Lehrkräftegewinnung und -bindung“.

Wie sieht’s mit der künftigen Lehrer-Versorgung aus? Schwer zu sagen… Foto: Shutterstock

Am 25. Januar hatte der Verband Bildung und Erziehung (VBE) eine Expertise zur Entwicklung von Lehrkräftebedarf und -angebot bis 2030 vorgelegt, deren Ergebnisse einen wesentlich höheren Lehrkräftemangel offenbarten, als die von der Kultusministerkonferenz (KMK) vorgelegten Zahlen ergeben – wie News4teachers berichtete. Am 14. März veröffentlichte die KMK dann ihre neue Berechnung „Lehrereinstellungsbedarf und -angebot in der Bundesrepublik Deutschland 2020 bis 2035“. Der VBE beauftragte daraufhin den renommierten Bildungsökonomen Professor i. R. Dr. Klaus Klemm damit, auch das neue Zahlenwerk nachzurechnen.

Ergebnis: Der von der KMK ausgewiesene Lehrkräfteeinstellungsbedarf liegt immer noch niedriger als der von Klemm berechnete.

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“Die Politik kann sich nicht mehr aus der Verantwortung stehlen und sagen, sie hätte es nicht besser gewusst”

Der Bundesvorsitzende des VBE, Udo Beckmann, kommentiert: „Es ist im mehrfachen Sinne fatal und nicht hinnehmbar, wenn sich die Politik angesichts kaum kalkulierbarer und nicht einberechneter Mehrbedarfe, wie sie aktuell etwa die Auswirkungen der Flüchtlingsbewegungen und Pandemie erfordern, seriöser Berechnungen auf Basis bekannter Parameter verschließt und den immensen Handlungsdruck hierdurch wiederholt kaschiert. Wir haben mit Veröffentlichung der ersten Berechnung im Januar gesagt: Die Politik kann sich nicht mehr aus der Verantwortung stehlen und sagen, sie hätte es nicht besser gewusst. Das gilt nochmal mehr vor dem Hintergrund der heute von uns veröffentlichten Zahlen. Stand die Uhr vor der Pandemie noch auf kurz vor zwölf, ist es jetzt bereits 5 nach zwölf!“

Kernergebnisse der Studie:

  1. Laut vorliegender Untersuchung von Prof. Klemm liegt der Einstellungsbedarf an Lehrkräften bis 2035 bei 532.600. Hierin ist der Bedarf für die drei schulpolitischen Maßnahmen, Ausbau von Ganztagsangeboten in Grundschulen, Inklusion und die Unterstützung von Kindern in herausfordernden sozialen Lagen, einbezogen. Ohne den Bedarf für diese drei Reformmaßnahmen liegt der Lehrkräfteeinstellungsbedarf bei 459.600. Die KMK weist in ihrer Modellrechnung bis 2035 einen Lehrkräfteeinstellungsbedarf von 501.400 aus. Dieser Bedarf ergibt sich auf der Grundlage von Verbesserungen bei den Bedarfsparametern, die von der KMK gegenüber ihrer vorangegangenen Berechnung (2020) angenommen werden, ohne dass offengelegt wird, wie diese Parameter lauten. Der von der KMK ausgewiesene Lehrkräfteeinstellungsbedarf liegt damit allerdings immer noch um mehr als 31.000 niedriger als der von Prof. Klemm berechnete Bedarf (532.600), wenn man die drei Reformmaßnahmen einbezieht.
  2. Die Berechnungen der KMK zum Neuangebot originär ausgebildeter Lehrkräfte bis zum Jahr 2035 (gesamt: 477.600) sind höchst unrealistisch. Weder sind die Annahmen der KMK durch jüngste Entwicklungen bei den Studierendenzahlen im Lehramtsstudium gedeckt noch durch die Zahl der Schulabsolventinnen und -absolventen in den kommenden Jahren. Die vorliegende Untersuchung von Prof. Klemm ermittelt bis zum Jahr 2035 nur ein Angebot von 374.300 Lehrkräften, also ein um mehr als 100.000 Lehrkräfte geringeres Angebot als von der KMK berechnet.
  3. Legt man den von der KMK berechneten Lehrkräfteeinstellungsbedarf bis 2035 zugrunde und stellt diesem das von Prof. Klemm berechnete tatsächliche Lehrkräfteangebot bis 2035 gegenüber, ergibt sich ein Lehrkräftemangel bis 2035 von 127.100 neu ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern. Legt man den Prof. Klemm berechneten höheren Lehrkräfteeinstellungsbedarf unter Einbezug des Bedarfs für die drei großen politisch gesetzten Reformvorhaben (Ganztag, Inklusion, Unterstützung von Kindern in herausfordernden sozialen Lagen) zugrunde, ergibt sich gar ein Lehrkräftemangel bis 2035 in Höhe von 158.700. Die KMK weist bis 2035 einen Lehrkräftemangel von lediglich 23.800 Lehrkräfte aus.

Beckmann: „Auch wenn die KMK in ihrer jüngsten Modellrechnung in puncto Lehrkräftebedarf bis 2035 offenbar zu realistischeren Ergebnissen gelangt als in der Vorgängerprognose, ist die Art und Weise, wie das demgegenüber gestellte Lehrkräfteangebot bis 2035 berechnet oder eben gerade nicht berechnet wird, nach wie vor erschreckend. Die Aussagekraft der KMK-Prognose als Grundlage für dringend benötigte Maßnahmen zur Lehrkräftegewinnung und -bindung löst sich damit abermals in Luft auf.“

„Nur wenn man sich die Situation nicht länger schönrechnet, wird man bereit sein, die notwendigen Investitionen vorzunehmen“

Die KMK müsse sich endlich auf seriöse, verbindliche und methodisch abgestimmte Standards bei der Erstellung zukünftiger Bedarfs- und Angebotsprognosen durch die Länder verständigen, die die notwendige Grundlage für eine belastbare Gesamtprognose für Deutschland darstellen. „Noch viel wichtiger aber ist die zügige Umsetzung notwendiger Maßnahmen zur Beseitigung des Lehrkräftemangels“, so erklärt der VBE-Chef. Und er betont: „Nur wenn man sich die Situation nicht länger schönrechnet, wird man bereit sein, die notwendigen Investitionen vorzunehmen.“

Als Reaktion auf den Lehrkräftemangel hat die KMK beschlossen, Vorschläge von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission erarbeiten zu lassen. News4teachers

Im Wortlaut

Der VBE hat gegenüber den Kultusministern einen Forderungskatalog vorgelegt. Darin heißt es:

  • „Wir brauchen eine bundesweite Fachkräfteoffensive, jetzt! Diese muss im Sinne des im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verankerten Kooperationsgebotes in einer Verantwortungsgemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen umgesetzt und voll ausfinanziert werden.
  • Planung und Durchführung der Lehramtsausbildung müssen dringend verbessert werden. Es braucht eine Erhöhung der Studienplätze bei gleichzeitig deutlicher Verbesserung der Studienbedingungen und der Studienbegleitung, auch um eine Reduzierung der Abbruchquoten zu erzielen.
  • Die Attraktivität des Berufsbildes muss spürbar gesteigert werden. Es braucht die gleiche Bezahlung unabhängig von Schulform und -stufe und eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen an Schule.
  • Die Politik muss sich ehrlich machen, ob und wie ernst sie es meint mit den schulpolitischen Maßnahmen Ganztag, Inklusion, Integration und der Unterstützung von Kindern in herausfordernden sozialen Lagen. Um diese Maßnahmen bedarfsgerecht umzusetzen, braucht es etwa ein Zwei-Pädagogen-System, was den Lehrkräftebedarf massiv erhöht. Hier muss die Politik endlich Antworten liefern, wie sie dies bewältigen will.
  • Der Lehrkräftemangel kann und muss durch den Aufbau und die Integration von multiprofessionellen Teams abgemildert werden! Verwaltungsaufgaben für Lehrkräfte müssen auf ein zwingend erforderliches Minimum reduziert beziehungsweise durch entsprechende Fachkräfte durchführt werden.  Schulpsychologinnen, Schulsozialarbeiter, Schulgesundheits- und IT-Fachkräfte können nicht nur Lehrkräfte entlasten, sondern auch an Schule existente Aufgaben fachgerecht ausführen, für die Lehrkräfte nicht originär ausgebildet sind.
  • Schulabsolventinnen und Schulabsolventen müssen über eine bundesweite Lehrkräftegewinnungskampagne gezielt angesprochen werden, um den zwingend notwendigen schnellen Zuwachs an Studierenden zu erzielen.
  • Kurz- und mittelfristig notwendige Maßnahmen zur Abmilderung des Lehrkräftemangels, wie die Integration von Seiteneinsteigenden oder Pensionisten, müssen stetig evaluiert werden. Zudem muss für Seiteneinsteigende eine mindestens sechsmonatige Vorqualifizierung grundsätzlich sichergestellt sein.
  • Bedarfs- und Angebotsprognosen der politisch Verantwortlichen müssen valide, ehrlich, aktuell und vollumfänglich transparent erfolgen! Es braucht eine methodische Abstimmung zwischen den politisch Verantwortlichen. Zudem benötigt es endlich fortlaufend fächerspezifischer Erhebungen, insbesondere für Mangelfächer, die die Bedarfe von Schulen in Relation zu tatsächlichen und zu realisierenden Hochschulkapazitäten stellen. Die Qualität der Lehre darf dabei nicht ausgehöhlt werden.
  • Das Ausmaß des Lehrkräftemangels verschleiernde und die Qualität der Bildung schwächende Taktiken, wie etwa die Erhöhung von Klassenteilern oder die Doppelberechnung von Lehrkräften bei Campuszusammenlegungen, müssen aufhören.
  • Es braucht weitere, kreative und die Bedürfnisse junger Menschen adressierende Maßnahmen, wie etwa wirksame Anreizsysteme, um (neue) Lehrpersonen für den Dienst in abgelegenen ländlichen Regionen zu gewinnen.“

Lehrkräftemangel: KMK zeigt sich ratlos – und will jetzt erst einmal Bildungsforscher befragen

 

 

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