Lehramts-Studierende sehen digitale Medien in der Grundschule kritischer als ihre Dozenten

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WÜRZBURG. Sollten Kinder schon in der Grundschule im Unterricht mit Tablets arbeiten? Würzburger Lehramtsstudierende stehen dem positiv gegenüber – mit einer Einschränkung.

Schon wenn Kinder eingeschult werden, sind viele von ihnen heutzutage bereits mit Smartphones und Tablets vertraut. Diese Geräte können auch im Anfangsunterricht ab der ersten Klasse zum Einsatz kommen. Sie sind dann oft mit Apps bestückt, die das Lesen- und Schreibenlernen unterstützen.

Zwei KInder betrachten Ein Bild auf einem tablet.
Bei Einsatz digitaler Medien in der Grundschule seien auch die Lehr- und Lernprozesse neu zu denken, so die Pädagoginnen. Foto: ©JMU Würzburg

Die Würzburger Grundschuldidaktikerin Sanna Pohlmann-Rother hat mit ihrem Team einen Schwerpunkt auf das Lehren und Lernen in einer Kultur der Digitalität gesetzt. „Durch Digitalisierung und Mediatisierung sind neue Möglichkeiten entstanden, die eine Reflexion und Erweiterung grundlegender Bildungsprozesse erfordern. Wir müssen auf diesem Feld neue, grundschulspezifische Ansätze schaffen, um Kindern weiterführende Bildungsprozesse in einer digitalisierten und mediatisierten Welt zu ermöglichen, denn Kinder im Grundschulalter lernen anders als etwa Schülerinnen und Schüler der Oberstufe“, sagt die Professorin. Aus einer mediendidaktischen Perspektive könnten digitale Medien Kinder beispielsweise beim Erwerb grundlegender Kompetenzen unterstützen, etwa beim Lesen- und Schreibenlernen.

Ob Kinder in der ersten Klasse mit dem Finger die Kontur von Buchstaben auf einem Tablet nachfahren, ob sie mit einem digital-individualisierten Bilderbuch beim Lesenlernen unterstützt werden oder ob sie mit einer App produktiv tätig werden und eigene kreative Produkte gestalten: „Jeder Einsatz von digitalen Medien muss didaktisch begründet sein und methodisch reflektiert erfolgen“, betont Pohlmann-Rothers Mitarbeiterin Katharina Kindermann.

Es gehe dabei nicht nur darum, nach dem Mehrwert digitaler Medien für den Unterricht zu fragen. Vielmehr seien auch Lehr- und Lernprozesse neu zu denken sowie Potenziale und Herausforderungen zu identifizieren, die sich spezifisch für die Grundschule in einem inklusiven Bildungssystem ergeben: „In der Grundschule haben wir Kinder mit unterschiedlichsten Lernvoraussetzungen und auch solche mit sonderpädagogischem Förderbedarf.“, so Kindermann. Digitale Lernsettings könnten es ermöglichen, dass Kinder sowohl individuell als auch gemeinsam an einem Lerngegenstand arbeiten.

Wie aber stehen die Studierenden zu dieser Thematik? Mit welchen mediendidaktischen Überzeugungen starten sie ins Lehramtsstudium, wie schätzen sie ihre technischen Fähigkeiten ein und wie motiviert sind sie, ihren Unterricht später mit digitalen Medien zu gestalten?

Um das herauszufinden, haben Sanna Pohlmann-Rother und Katharina Kindermann im April 2021 eine empirische Forschungsstudie durchgeführt. 344 Studierende nahmen an der Online-Befragung teil, alle waren im zweiten Fachsemester eines Lehramtsstudiums mit grundschuldidaktischer Ausrichtung. 246 studierten Lehramt für Grundschulen, 98 Lehramt für Sonderpädagogik. 89 Prozent waren Frauen; das Durchschnittsalter lag bei 21 Jahren.

Kritisch mit Blick auf den Anfangsunterricht
Bei der Befragung stand der Einsatz von Tablets im Mittelpunkt. Unter anderem kam heraus, dass die Studierenden sich als kompetent im Umgang mit diesem digitalen Endgerät einschätzen und Dem Einsatz in der Grundschule standen sie grundsätzlich positiv gegenüber.

Kritisch sehen die angehenden Lehrerinnen und Lehrer dagegen das digital gestützte Lehren und Lernen in den ersten beiden Schuljahren. „Das ist in der Tat eine sehr sensible Phase, und die Studierenden sehen das auch“, sagt Katharina Kindermann. Dennoch solle nach Meinung der Grundschulpädagogin bereits im Anfangsunterricht eine elementare Allgemeinbildung und damit auch eine digitale Grundbildung vermittelt werden, bei der es nicht nur um technische Fertigkeiten geet, sondern auch um einen kritisch-reflektierten Umgang mit digitalen Medien.

Digitale Lernsettings an der Uni entwickeln
Den Forscherinnen ist es daher wichtig, gemeinsam mit den Studierenden über didaktisch-methodische Möglichkeiten des Einsatzes digitaler Medien im Anfangsunterricht nachzudenken und innovative Konzepte zu erproben. So wollen sie es den angehenden Lehrkräften ermöglichen, bereits für die ersten beiden Schuljahre passende digitale Lernumgebungen zu gestalten.

Dabei starten die Dozentinnen nicht bei Null: In einem ihrer Seminare zum Beispiel konzipieren Studierende digitale Bilderbücher für Leseanfängerinnen und Leseanfänger. Bei den Veranstaltungen des Lehrstuhls werde außerdem Wert darauf gelegt, dass Studierende des Grundschul- und des Sonderpädagogik-Lehramts gemeinsam an der Konzeption digital-inklusiver Lernsettings arbeiteten.

Als nächstes wollen Sanna Pohlmann-Rother und Katharina Kindermann herausfinden, wie sich die Überzeugungen der Studierenden im Verlauf des Studiums verändern. Sie planen darum eine erneute Befragung im Herbst 2023 – und hoffen darauf, dass dann wieder möglichst viele Studierende mitmachen, die sich schon an der ersten Umfrage beteiligt haben.

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Lakon
1 Jahr zuvor

Man muss die Kinder schon am Anfang „anfüttern“. Sie werden sich dann nicht mehr vorstellen können, dass man auch ohne Tablet lernen könnte, und sich von jedem Unterrichtsangebot mit Buch, Heft und Tafel angewidert oder gelangweilt abwenden. Dann ist es geschafft, der alternativlose Übergang zum digitalen Lernen.

Uwe
1 Jahr zuvor
Antwortet  Lakon

Erinnert so ein bischen an die Warnungen die es gab als billigere Bücher (Rotationsdruck) zu einer angeblichen Lesewut der Jugend geführt hat die die Sitten verdirbt.

Carsten60
1 Jahr zuvor

Was nicht gesagt wird: die genannte Würzburger Didaktikerin hat „Digitale Medien in der Grundschule“ ausdrücklich als wissenschaftlichen Schwerpunkt, und ihre Studenten haben das eben nicht, sondern folgen erstmal ihrem „gesunden Menschenverstand“. Man soll nicht vergessen, wer alles so seine Karriere auf bestimmten Dingen aufbaut.

Einer
1 Jahr zuvor

Als IT-Lehrer und Vater habe ich eine ganz klare Einstellung zu Tablets im Unterricht der Grundschule: Sie haben dort nichts zu suchen.
In der Grundschule sollen die Kinder lesen, schreiben und rechnen lernen. Wobei lesen als wichtigste Schlüsselkompetenz bezeichnet werden muss. Wer nicht lesen kann, kann in keinem anderen Fach irgendwelche Leistungen vollbringen. Und mit lesen meine ich nicht Buchstaben entziffern. Sondern den Sinn und Aufbau langer Texte erkennen und verstehen. Funktionale Analphabeten können nicht lesen.
Das digitale Lesen verläuft anders. Selbst Vielleser lesen oberflächlicher an digitalen Geräten.
Beim Schreiben ist es genauso. Einen Füller zu halten muss erlernt und geübt werden. Die Buchstaben zu schreiben und zu Wörtern miteinander zu verbinden schult das Gehirn.

lehrer002
1 Jahr zuvor
Antwortet  Einer

Das sehe ich ähnlich! Informatikunterricht gehört primär in die weiterführenden Schulen. In der Grundschule Lesen, Schreiben, Rechnen, Sachunterricht, Erstkontakt mit Fremdsprachen und musisch-sportliche Bildung Vorrang. Gerade in 1/2 ist die Förderung der Motorik bedeutend und das geht eben nicht am Tablet…

Ich muss da mal was loswerden
1 Jahr zuvor
Antwortet  lehrer002

Es heißt ja auch „Grund“schule nicht ohne Grund, weil man dort „grund“legende Fähigkeiten erlernen soll. Ich habe nichts gegen den punktuellen, sinnvollen Einsatz von Tablets bei den Kids, aber „grund“sätzlich braucht man das in der Grundschule nicht. Die Kids haben die Dinger zu Hause oft genug in der Hand.

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Einer

Zu Ihrem letzten Absatz:
Beim Tippen vs. Handschreiben bin ich bei Ihnen. Beim digitalen vs. Analogen Handschreiben bin ich mir derzeit noch unsicher. Dem immensen Ablenkungspotenzial der Tablets gerade bei den bildungsfernen Schichten bin ich mir bewusst, mir geht es um die Verdrahtung von neuem Wissen im Gehirn, wenn man digital oder analog mit der Hand schreibt.

Ron
1 Jahr zuvor

Ich stehe digitalen Mappen, Arbeitsheften und Smartboard-Lernprogrammen sehr skeptisch gegenüber, da sie das Erlernen massiv kanalisieren und Ergebnisse vorbestimmen. Der Lernweg ist zudem oft in seiner Kompetenzorientierung eindimensional. Während im klassischen Sachkundeunterricht neben dem eigentlichen Thema auch das Schreiben, Beschreiben, also der Ausdruck, das strukturierte und organisierte Denken sowie die Rechtschreibung und das Schriftbild gefestigt werden, geht es bei Lernprogrammen oft nur um den richtigen oder als richtig vorgedachten Klick.

Palim
1 Jahr zuvor

Wieder einmal frage ich mich, warum man Studierende im 2. Semester befragt.

Fragt man auch Lehrlinge im 1. Lehrjahr, ob neue Möglichkeiten im Handwerk etwas taugen?

Michael Felten
1 Jahr zuvor

Die vorsichtige Skepsis (gegenüber digitalen Medien in der Grundschule), die im Artikel anklingt, müsste eigentlich viel vehementer ausfallen:

http://www.aufwach-s-en.de/wp-content/uploads/2017/07/Teuchert-Noodt_2016_umg_4_16_Kinder.pdf

https://www.fr.de/wissen/schule-smartphone-tablet-digitales-lernen-interview-12255862.html

Weitere Hinweise:

http://www.eltern-lehrer-fragen.de/schule-digital.html