Bundesrechnungshof sieht in der 630 Millionen Euro teuren Nationalen Bildungsplattform eine „drohende Förderruine“

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BERLIN. Intransparente Zahlungen, Mitnahmeeffekte, Unwirtschaftlichkeit: Der Bundesrechnungshof geht mit dem Digitalpakt, mit dem der Bund den Ländern bei der Digitalisierung der Schulen auf die Sprünge helfen will, streng ins Gericht. Kritisiert wird insbesondere der – aus Sicht der Prüfer – gescheiterte Aufbau einer 630 Millionen Euro teuren staatlichen Nationalen Bildungsplattform. Die Rede ist von einer „drohenden Förderruine“.

Hat das Bundesbildungsministerium mit der Nationalen Bildungsplattform Millionen von Euro verbrannt? Foto: Shutterstock

Dass in den vergangenen beiden Jahren Schulen in Deutschland mit IT ausgestattet wurden, liegt am „DigitalPakt Schule“. Im Rahmen dieses Förderprogramms stellt das Bundesbildungsministerium (BMBF) den 16 Bundesländern in den Jahren 2019 bis 2024 Finanzhilfen für Investitionen in die schulische IT-Infrastruktur bereit – insgesamt 6,5 Milliarden Euro. Zusätzlich sollen die Länder einen Eigenanteil von mindestens 10 Prozent an den förderfähigen Kosten leisten. Darüber hinaus haben sie sich verpflichtet, in eigener Verantwortung weitere Beiträge zu leisten.

Zusätzliche Mittel sind darüber hinaus fest eingeplant – schließlich ist die Anschaffung der Ausstattung nur ein erster notwendiger Schritt. Weitere müssen folgen. Die Ampel-Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag auf einen „Digitalpakt 2.0“ (FDP-Diktion) festgelegt. Wörtlich heißt es dazu in dem Papier: „Der Digitalpakt wird die nachhaltige Neuanschaffung von Hardware, den Austausch veralteter Technik sowie die Gerätewartung und Administration umfassen.“

„Die Bemühungen des BMBF, bundesweit übergreifende Maßnahmen für die Digitalisierung der Schulen zu befördern, hält der Bundesrechnungshof für gescheitert“

Dem Haushaltsausschuss des Bundestags hat der Bundesrechnungshof nun aber einen Prüfbericht zum Digitalpakt vorgelegt, der zum Stolperstein werden könnte. Eine erste Fassung mit Datum vom 10. Januar 2022, die sich auf länderübergreifende Begleitprojekte bezog, blieb medial bislang unbeachtet – obwohl das Fazit darin bereits vernichtend ausfällt: „Die Bemühungen des BMBF, bundesweit übergreifende Maßnahmen und einheitliche Standards für die Digitalisierung der Schulen zu befördern, hält der Bundesrechnungshof für gescheitert. Von weiteren eigenen Strategien und Begleitprojekten zur Digitalisierung der Schulen außerhalb des ‚DigitalPakts Schule‘ muss das BMBF absehen. Es fehlt ihm hierfür nicht nur die Zuständigkeit. Seine Initiativen führen vielmehr zu Angeboten, die redundant zu denen der Länder und damit unwirtschaftlich sind.“

Jetzt hat der Bundesrechnungshof seinen Bericht auf die Ländermaßnahmen ausgeweitet – und im Fazit nochmals die Tonlage verschärft. So kritisierten die Prüfer das Behördengeflecht in den Ländern, wie der „Spiegel“ berichtet. Demnach verwalten insgesamt 38 Behörden beziehungsweise Investitionsbanken die Mittel. „Ihre Verfahren unterscheiden sich und sind überwiegend kleinteilig. Das Nachweisverfahren ist lückenhaft und wirkungslos.“ Mitnahmeeffekte werden beklagt; die Länder ließen sich Aufgaben finanzieren, die sie sonst im Alleingang erfüllen würden.

Deshalb heißt es: „Auch angesichts der Finanzlage sollte sich der Bund auf seine verfassungsmäßigen Aufgaben konzentrieren. Schulangelegenheiten gehören nicht dazu.“ Fazit: „Die beschränkten Steuerungs- und Kontrollrechte des BMBF sprechen gegen eine Fortführung der Finanzhilfen.“

Der Bundesrechnungshof konzentrierte sich in seinem Bericht vom Januar vor allem auf länderübergreifende Begleitmaßnahmen, mit denen die Digitalisierung der Schulen flankiert werden sollte – offenbar mit mauen Ergebnissen: „Mehr als fünf Jahre nach der Veröffentlichung der Länder-Strategie und mehr als zweieinhalb Jahre nach dem Start des ‚DigitalPakts Schule‘ haben die Länder nur 53 Mio. Euro, d. h. ein Fünftel der für länderübergreifende Maßnahmen vorgesehen Mittel innerhalb des ‚DigitalPakts Schule‘ verplant. Es ist nicht zu erkennen, wie die restlichen Mittel fachlich und zeitlich noch zweckentsprechend eingesetzt werden können.“

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Scharf geht der Bundesrechnungshof dabei mit der Rolle des Bundesbildungsministeriums ins Gericht: „Das BMBF hat ohne eigene Zuständigkeit versucht, strukturbildend und übergreifend die Digitalisierung an den Schulen zu fördern. Es hat dabei versäumt, mit den Ländern den Bedarf und die gemeinsamen Voraussetzungen für übergreifende IT-Infrastrukturen zu klären. Hierdurch ist es schon bei der Vorbereitung des ‚DigitalPakts Schule‘ nicht gelungen, technische Synergien, z. B. über gemeinsame Cloud Strukturen, zu realisieren. Da alle Länder im Rahmen ihrer Möglichkeit bemüht sind, ihren Aufgaben gerecht zu werden, geht der Bundesrechnungshof davon aus, dass sich keines der BMBF eigenen Projekte durchsetzen wird.“

Weiter heißt es: „Die Bemühungen des BMBF, bundesweit übergreifende Maßnahmen und einheitliche Standards für die Digitalisierung der Schulen zu befördern, hält der Bundesrechnungshof für gescheitert. Von weiteren eigenen Strategien und Begleitprojekten zur Digitalisierung der Schulen außerhalb des ‚DigitalPakts Schule‘ muss das BMBF absehen. Es fehlt ihm hierfür nicht nur die Zuständigkeit. Seine Initiativen führen vielmehr zu Angeboten, die redundant zu denen der Länder und damit unwirtschaftlich sind.“

In der Kritik steht dabei vor allem die „Nationale Bildungsplattform“, eine Weiterentwicklung der „Bundesschulcloud“, die das Bundesbildungsministerium vom Hasso-Plattner-Institut (HPI), hinter der die Hasso-Plattner-Foundation des SAP-Gründers steckt, entwickeln ließ – ein Flop aus Sicht des Bundesrechnungshofs: „Die vom BMBF angebotene ‚Bundes‘-Schulcloud nahmen die Länder mehrheitlich nicht an.“

Dabei haben die Rechnungsprüfer dubiose Zahlungsströme im Zusammenhang mit der mittlerweile auf den Namen „dBildungscloud“ umgetauften ehemaligen HPI-Cloud festgestellt. „In seiner Stellungnahme zu diesem Bericht hat das BMBF nicht erwähnt, dass das für den ‚DigitalPakt Schule‘ zuständige Referat eine Zuwendung über 10 Mio. Euro an die Entwicklungsgruppe der ‚dBildungscloud“ bewilligte. Im Rahmen dieses Projekts soll die ‚dBildungscloud‘ zu einer ‚Datendrehscheibe‘ mit Import- und Exportfunktionen zu anderen Lernmanagementsystemen erweitert werden. Sie soll hierdurch in das Konzept des Nationalen Bildungsraums, zu der die Nationale Bildungsplattform gehört, aufgehen. Die ‚dBildungscloud‘ wird seit dem 1. August 2021 mit weiteren 34 Mio. Euro aus Mitteln des ‚DigitalPakt Schule‘ gefördert. Diesen Entwicklungszusammenhang hat das BMBF nicht transparent gemacht. Seine konkreten Absichten bleiben unklar.“

„Die Prüfung zeigte, dass die Förderlinie der länderübergreifenden Maßnahmen innerhalb des ‚DigitalPakts Schule‘ strategisch und operationell fehlschlug“

Warum lässt das Bundesbildungsministerium eine bundesstaatliche Schulplattform für viel Geld neu entwickeln, ohne dafür auf existierende Lösungen – ob landeseigene oder marktreife von etablierten Unternehmen – zurückzugreifen? Das fragt sich offenbar nun auch der Bundesrechnungshof (News4teachers machte Zweifel an dem Projekt schon im Dezember 2020 öffentlich). So heißt es: „Mit der Nationalen Bildungsplattform, für die 630 Mio. Euro aufgewandt werden sollen, deutet sich ein erneutes Scheitern des BMBF bei einem bundesweiten Infrastrukturprojekt an. Es setzt sich hiermit nicht nur über die Entwicklungen der Länder hinweg, sondern überrollt auch die länderübergreifenden Maßnahmen im ‚DigitalPakt Schule‘. Der Bundesrechnungshof sieht hierin eine eklatante Verletzung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und der Vorgaben des Haushaltsrechts. Aufgrund fehlender Betriebskonzepte und Vereinbarungen mit den Ländern droht eine Förderruine.“

Wink mit dem Zaunpfahl: „Der Haushaltsauschuss hätte die Möglichkeit, die Mittel hierfür zu sperren, solange das BMBF keine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung vorlegt.“

Allerdings bekommen auch die Länder eine Klatsche ab. So heißt es in dem Bericht: „Der Bundesrechnungshof hält länderübergreifende IT-Infrastrukturen und die Verständigung der Länder auf gemeinsame Standards und Angebote für eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen des ‚DigitalPakts Schule‘. Die Prüfung zeigte jedoch, dass die Förderlinie der länderübergreifenden Maßnahmen innerhalb des ‚DigitalPakts Schule‘ strategisch und operationell fehlschlug. Die Verantwortung, Voraussetzungen und Lösungen für übergreifende IT Bildungsinfrastrukturen zu schaffen, liegt bei den Ländern. Fehlt es ihrerseits an der Bereitschaft, ihre eigenen Aufgaben wahrzunehmen, kann das BMBF dies mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht kompensieren. Seine Versuche bleiben letztlich willkürlich und sind zum Scheitern verurteilt. Die Länder müssen ihren Paktverpflichtungen nachkommen und in ihrem Kreis die Voraussetzungen für tragfähige länderübergreifende Lösungen vereinbaren, die sie selbst auch tragen.“ News4teachers

„Die bundeseinheitliche Schulcloud ist eine Utopie“: Studie der Telekom Stiftung fährt Karliczek (und der SPD) in die Parade

 

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Mephistoles
1 Jahr zuvor

„Seine Versuche bleiben letztlich willkürlich und sind zum Scheitern verurteilt.“
Klingt vertraut. Digital-Pakt, so geht das heute also.

Last edited 1 Jahr zuvor by Mephistoles
Carsten60
1 Jahr zuvor

Mich wundert das nicht, es scheint typisch zu sein. Dass es bei der Digitalisierung der Schulen ganz wesentlich auch ums Geschäft geht, wurde zu selten gesagt. Ein typischer Fall von Privatisierung von Steuergeldern, etwa wie bei der Rüstungstechnik. Stattdessen haben Lobbyisten das Hohelied von pädagogischen Vorteilen gesungen, immer mit dem Argument, wir müssten doch endlich im 21. Jahrhundert ankommen.

Walter
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Fast alles, was der Staat macht, könnte effizienter und billiger von privaten Unternehmen übernommen werden. (05.09.2008)
Wirtschaftswoche

Realist
1 Jahr zuvor
Antwortet  Walter

Seit 2008 ist viel Zeit vergangen:

Weltfinanzkrise, mit hunderten Milliarden Steuergeldern gerettet Banken, Entfesselte Kapitalmärkte, die Wohnen zum Luxusgut gemacht haben, Zusammengebrochene Lieferketten, die wiederum dazu geführt haben, dass Unternehmen, die sich auf den weltweit billigsten Lieferaten verlassen haben, dutzende Milliarden via Kurzarbeitergeld zugeschustert bekommen haben, Zwangsrettung von Unternehmen welche sich auf einen (den billigsten) Gaslieferanten verlassen haben via „Gasumlage“…

Ja, private Unternehmen sind wirklich „effizienter“, wenn es um die Privatisierung von Gewinnen und die Sozialisierung von Verlusten geht, und „billiger“ sind sie auch, es wird konsequent die „billigste“ Vorleistung eingekauft und diese dann mit ordentlichem Aufschlag wieder verkauft und wenn dieses geniale Geschäftsmodell („Billig einkaufen, (über-)teuer(t) verkaufen“) nicht mehr funktioniert, zahlt der Staat oder der Kunde direkt. Wo kämen wir denn hin, wenn das Unternehmen selbst für seine Entscheidungen einstehen müsste… ist doch bestimmt „Sozialismus“ oder so…

Walter
1 Jahr zuvor
Antwortet  Realist

Weltwirtschaftskrise seit 2007 und was hält Sie genau nochmal in Deutschland fest?

meiglöckchen
1 Jahr zuvor

Man hatte wohl übersehen, dass sich viele Schulen bereits vor der Pandemie auf den Weg zur Digitalisierung gemacht hatten, als der Bundesregierung eingefallen ist, dass da „irgend etwas“ voran kommen müsse. In der Schulpraxis bedeutete das, an bestehende Verträge mit Plattformanbietern gebunden zu sein. Diese waren nicht deshalb kündbar, nur weil plötzlich ein staatlich subventioniertes privatwirtschaftliches (!!!) Hasso-Plathner-Institut auf der Matte stand, um Dinge zu entwickeln, die es bereits gab (Schul-Plattformen, länderinitiierte Bildungsclouds). Damit wurde – neben der Geldverbrennung -auch gegen staatliches Wettbewerbsverbot verstoßen.
Es fehlt in der Bundesregierung offensichtlich nicht nur Digitalkompetenz, sondern auch staatsrechtliche Kompetenz, nach der bekanntlich der Bund nur bauliche und infrastrukturelle Erfordernisse subventionieren kann, nicht jedoch Ausstattung (Schulträger) oder methodisch-didaktische Vorgaben (Ländersache).
So wenig Expertise lädt zum Missbrauch ein! Gut, dass der Bundesrechnungshof dem ein Ende setzt.

Schattenläufer
1 Jahr zuvor

630 Millionen für eine Förderruine.
Da tut man doch mal was und dann nur Genörgel.
Dafür haben wir ansonsten für Schulen als KMk ja keinen Pfennig oder Cent ausgegeben.
Ab und An muss man sich ja auch was gönnen.

Carsten60
1 Jahr zuvor

Zu der Förderruine hier ein ähnlicher Kommentar:
https://condorcet.ch/2022/08/digitalpakt-schule-heisse-luft-und-hohe-kosten/