BERLIN. Der Deutsche Philologenverband hat sich deutlich gegen eine Verkürzung der Stundentafel an Berliner Schulen ausgesprochen – die, wie Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) noch vor wenigen Tagen beteuert hat, auch gar nicht nötig sei. Fakt aber ist: In der Bundeshauptstadt sind trotz aller Bemühungen um Seiteneinsteiger und Pensionäre kurz vor Schuljahresbeginn 875 Vollzeit-Lehrerstellen unbesetzt. Wie die Lücken gestopft werden, was gestrichen wird, entscheidet laut Busse jede Schule selbst. Die GEW hatte angesichts der Situation bereits Verständnis für Einschnitte im Pflichtprogramm gezeigt.
Eine Kürzung der Stundentafel, also weniger Pflichtunterricht etwa in Deutsch, Mathematik oder Englisch, diene weder den Schülerinnen und Schülern noch ihren Lehrkräften, sondern senke die Leistungsstandards – meint Prof. Susanne Lin-Klitzing, Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbands. Zudem müssen die zu wenigen Lehrkräfte parallel mehr Klassen bedienen. „Das ist unzumutbar für alle Beteiligten. Das Berliner Bildungsniveau würde noch mehr sinken“, meint sie.
„Immer mehr Grundschüler scheitern bei VERA schon an den Mindestanforderungen. Bei den Sekundarschülern sieht es nicht besser aus“
„Wie sehr sich die Schülerleistungen auch noch einmal während der Pandemie verschlechtert haben, zeigt sich gerade jetzt bei der Auswertung der VERA-Vergleichsarbeiten. Immer mehr Grundschüler scheitern bei VERA schon an den Mindestanforderungen. Bei den Sekundarschülern sieht es nicht besser aus“, stellt Kathrin Wiencek, Vorsitzende des Philologenverbands Berlin/Brandenburg, fest.
Mehr qualifizierter Unterricht hat nach Auffassung des Verbandes einen positiven Effekt auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler. Weniger Unterrichtszeit im qualifizierten Fachunterricht hat jedoch einen entsprechend negativen Einfluss auf die Leistungsentwicklung. Die Befürchtung: Durch eine Stundentafelkürzung leiden die Berliner Schülerinnen und Schüler nicht nur kurz- und mittelfristig, sondern langfristig unter weniger Unterricht und schlechteren Lernvoraussetzungen im Vergleich zu allen anderen Schülerinnen und Schülern im Bundesgebiet.
Lin-Klitzing: „Setzt Berlin eine Stundentafelkürzung um, schafft der Stadtstaat noch schlechtere Bildungsvoraussetzungen für seine Schülerinnen und Schüler und provoziert zudem zunehmend schlechtere Voraussetzungen für eine Vergleichbarkeit mit den Abschlüssen anderer Länder. Das Gegenteil jedoch muss das erklärte Ziel der Bildungspolitik sein: Die gleichen Voraussetzungen für die Berliner Schülerinnen und Schüler wie für die Schülerinnen und Schüler anderer Bundesländer müssen geschaffen werden. Die Vergleichbarkeit muss also eher auf einem höherem Niveau abgesichert werden, als dass grundlegende Abstriche in der Stundentafel gemacht werden.“
Die Philologenchefin betont: „Es ist eine Milchmädchenrechnung, eine Stundentafelkürzung als Instrument für eine bessere Unterrichtsversorgung in Zeiten des Lehrkräftemangels einführen zu wollen. Vielmehr wird der Lehrerberuf durch eine solche Stundentafelkürzung in Berlin noch unattraktiver, da die Lehrkräfte dann mit noch mehr Klassen und noch mehr Arbeit überhäuft werden. Das Ergebnis: Weniger Unterricht für die Schüler, mehr Arbeit für die Lehrkräfte: Dem erteilen wir eine klare Absage.“
„Einfach so weitermachen geht nicht. Wenn es weniger Unterricht gibt, können am Ende nicht dieselben Leistungen abgefragt werden“
Die GEW hatte es schon vor Wochen in Anbetracht der kritischen Lage „nachvollziehbar“ genannt, wenn die Bildungsverwaltung über eine Kürzung der regulären Unterrichtsstunden nachzudenke (News4teachers berichtete). Landesvorsitzender Tom Erdmann machte dabei allerdings auf die Konsequenzen aufmerksam: Mit einer Reduzierung des Unterrichtsangebotes müsste eine Absenkung der Leistungsanforderungen und ein Umdenken bei den schulischen Inhalten einhergehen. „Einfach so weitermachen geht nicht. Wenn es weniger Unterricht gibt, können am Ende nicht dieselben Leistungen abgefragt werden“, sagte Erdmann.
Und die Bildungssenatorin? Gibt sich demonstrativ optimistisch. Angesichts von insgesamt über 34.000 Lehrkräften in Berlin sei die Zahl der unbesetzten Stellen „Gott sei Dank überschaubar“, obwohl die Schülerzahl durch starke Geburtenjahrgänge und Kinder aus der Ukraine auf ein Rekordniveau steigt. Andere Bundesländer würden Headhunter einsetzen und über eine Vier-Tage-Woche diskutieren. „So weit sind wir in Berlin noch nicht.“
Wenn man allerdings die 875 vakanten Stellen in ein anderes Verhältnis setzt – nämlich in das mit der Zahl der fürs neue Schuljahr ausgeschriebenen Stellen (2.645) –, und bei den Neueinstellungen zudem den Anteil der Quereinsteiger (455) ohne pädagogische Qualifikation hinzunimmt, dann wird die Dramatik der Entwicklung womöglich deutlicher: Nur noch die Hälfte der offenen Lehrerstellen lassen sich mit ausgebildeten Lehrkräften besetzten, ein Drittel gar nicht mehr. News4teachers
Was ist die GEW nur für eine Bildungsgewerkschaft. Die Kürzung der Unterrichtszeit ist also akzeptabel, wenn die Leistungsanforderungen nach unten geschraubt werden. Von Qualitätsorientierung ist hier keine Spur. Gleichzeitig wird die Immigration von immer mehr Menschen aber befürwortet, obwohl es keine Lehrkräfte gibt.
Klingt reaktionär.
Qualität und Quantität stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis. Beides zu beschneiden, endet mit großen Problemen.
40-minütige Unterrichtsstunden, maximal 6 Unterrichtsstunden am Tag und 30 in der Woche mit Schulbeginn frühstens um 8:30 Uhr würde die Leistungen der Schüler enorm erhöhen, da sie mehr freie Zeit zum Lernen hätten und ausgeschlafener im Unterricht wären.
Da gehen aber gleich wieder die Eltern auf die Barrikaden, die Schulen als Betreuungseinrichtungen sehen, weil 8:30 Uhr morgens zu spät ist, um danach noch rechtzeitig auf der Arbeit zu sein.
Am G8-Gymnasium geht das nicht, da müssen es mehr als 30 Stunden pro Woche sein. Genau das war die Begründung in NRW, zu G9 zurückzukehren und damit zu 30 Stunden pro Woche.
Und was ist denn die (nicht genannte) Alternative aus Sicht des Philogenverbandes? Wenn es keine Stundenkürzungen und keine zusätzlichen Lehrkräfte gibt, dann bleibt ja nur die zwangsweise Erhöhung des Stundendeputats für die Lehrkräfte oder die Vergrößerung der Lerngruppen. Beides bedeutet massive Mehrarbeit und faktische unbezahlte(!) Arbeitszeiterhöhung für die Lehrkräfte.
Hätte nicht gedacht, dass außer GEW und Verdi jetzt auch der Phiologenverband seinen Mitgliedern in den Rücken fällt…
Sie sind schlicht nicht informiert! Eine Erhöhung des Stundendeputats ist nur im Zusammenhang mit einer Erhöhung der Arbeitszeit aller Beamten möglich. Ansonsten müsste die Behörde gerichtsfest(!!) nachweisen, wieso die Arbeitszeit der Lehrer bisher unter den 40/41 Stunden der übrigen Beamten gelegen hat. Die letzten, die es einfach so versucht haben, waren die Niedersachsen, die dann vor Gericht (auf Klage des Philologenverbands) krachend gescheitert sind. Bei angestellten Lehrkräften steht einer Deputatserhöhung der Tarifvertrag entgegen. Der beliebigen Vergrößerung der Lerngruppen sind schlicht räumliche Grenzen gesetzt. Hier fällt der DPhV sicherlich nicht seinen Mitgliedern in den Rücken!
„Eine Erhöhung des Stundendeputats ist nur im Zusammenhang mit einer Erhöhung der Arbeitszeit aller Beamten möglich.“
Nöö. Da wird dem Beamten, also der Lehrkraft, einfach die Anweisung gegeben, seine Arbeitszeit eigentverantwortlich so umzuorganisieren, dass es wieder in die 40-Stunden-Woche passt. Wie das dann funktionieren soll, interessiert den Dienstherrn nicht.
Und der entscheidende Grund, warum die Arbeitszeitehröhung der Gymnasiallehrkräfte in Niedersachsen scheiterte war, das man einseitig nur den Gymnsiallehrkräften das Deputat erhöhen wollte, das man also impliziert hat, dass diese weniger als die Lehrkräfte anderer Schulformen arbeiten. Hätte man das Deputat aller Lehrkräfte unabhängig von der Schulform erhöht, wäre der Dienstherr mit der Erhöhung wahrscheinlich durchgekommen.
Das „Umorganisieren“ von Dienstzeit wird dadurch ausgehebelt und zieht nicht, dass gewissen Standards in der Referendarsausbildung gelehrt und verlangt werden (zum Bestehen der Prüfung, nicht zur Note 1) und folglich auch im Dienst zu leisten sind. So einfach ist das juristisch nicht mehr, nachdem die Zitrone in den letzten Jahrzehnten immer mehr ausgequetscht wurde.
Die Kürzung der Stundentafel und damit auch der Themen ist das beste und sinnvollste Mittel, um des Lehrermangels Herr zu werden. Man schafft doch eh nie den Lehrplan und das Lehrbuch, man wählt eh aus und lässt vieles weg.
Aber nicht bei uns am Gymnasium. Da müssen die Kinder halt mehr selbständig zu Hause durcharbeiten.
Geht ja auch nicht anders. Die Gesellschaft will gleichzeitig die Agitprop- und Event-Schule PLUS den Unterricht – da geht das eben nicht anders, da mancher Stoff eben schlicht geLERNT werden muss.
In jedem Schulgesetz steht, dass die Oberstufe auf ein Studium vorbereiten soll. Da kann man nicht beliebig Stoff weglassen.
Doch, schafft man. Lehrbuch natürlich nicht, Lehrplan sehr wohl. Die kritischen Situationen entstehen eher dadurch, dass gerade in der Sek. II viele SuS (viele, ich sage NICHT alle) sich…
a) sehr schnell überfordert fühlen nach jahrelangem Kuschelunterricht ohne Anspruch
b) sich durch die Verheerungen des Unterrichts (Corona, Personalmangel) überfordert fühlen, da Ihnen echtes Durcharbeiten, Ranklotzen fremd ist (was nicht ihre Schuld ist).
Wenn nicht jede zweite Woche (sobald sich endlich eine solide Arbeitsroutine aufgebaut hat) durch Agitprop (Demos, Solidaritätsveranstaltungen), emotionalen Kram, minutenlange Politdurchsagen übers Lautsprechersystem oder Lehrerausfall der Unterricht gestört wird – Überlastungsgefühle.
c) ganz selbstverständlich mit Nebenjobs und umfangreichen Freizeitaktivitäten die Woche zuballern…da wäre jeder im Stress. (Extreme Konsumorientierung)
Und wenn dann (um den Lehrplan zu schaffen, nicht aus Sadismus) zum Unterricht eben zwei, drei (gehaltvolle) Videos plus drei oder vier Methodenseiten dazukommen, die man eben nicht „life-hacken“ oder „youtuben“ kann … Zusammenbruch.
Ich weiß, ich weiß…die Vorstellung, dass Schüler als Hauptaufgabe Schule und Lernen haben und schlicht noch kein (Leistungs-)Recht dazu haben, die halbe Woche (Fr. – halber Mo. mit Nachwirkungen) zu feiern und konsumieren ist völlig veraltet und übel cis-hetero und so.
Ich berate SuS bei uns regelmässig zu Zeit- und Freizeit(!)managment – keine Ahnung was die Eltern so treiben.
Aber Abhilfe ist möglich mit ganz einfachen Beratungstechniken. Sofern drauf gehört wird – das kann natürlich nur der Schüler selbst entscheiden.
Ja die Probleme, die sich durch Kürzungen ergeben sind gut umrissen. Aber hier muss ich mich tatsächlich mal auf der Seite der KM stellen (ich weiß, ich fühl mich schmutzig)
Die Stunden werden ja nicht zum Spaß gestrichen. Wo sind die Lösungsvorschläge des Verbands?
Es ist nicht Aufgabe des Philologenverbands, Lösungen zu präsentieren. Aber er hätte zumindest langfristige Ansätze: Macht endlich der Lehrerberuf wieder attraktiv, behandelt die Lehrkräfte entsprechend!
Der schleswig-holsteinische PhV hat z.B. seine 23-23-Kampagne (max. 23 Deputatsstunden-max.23 Kinder pro Klasse). Dazu: Entlastet die Lehrkräfte von unterrichtsfernen Aufgaben!
Entlasst nicht die angestellten Lehrkräfte über die Sommerferien hinweg (LG an Herrn Kretschmann!). Bezahlt der Ausbildung entsprechend (Wir haben zuletzt eine Lohnerhöhung von ca. 1% pro Jahr bekommen. Bei der momentanen Inflation!) usw. usw.
Nebenbei hätten solche Maßnahmen sogar einen kurzfristigen Effekt: Viele Teilzeit-Lehrkräfte würden vermutlich wieder mehr Stunden unterrichten.
Hach, wie ich mich freue. Die Philologenchefin fordert und betont und rechnet. Das hilft dem pädagogischen Personal aktuell und akut ganz ungemein.
Ihre Lösung wäre also: Hurra, streicht die Stunden für die Kinder, wer braucht schon Bildung?
„Immer mehr Grundschüler scheitern bei VERA schon an den Mindestanforderungen.“
Aber uns wird erzählt, dass die Schulreformen nach PISA mit kompetenzorientierten Bildungsstandards eine ganz großartige Verbesserung gebracht haben. Die 6-jährige Grundschule in Berlin gilt den progressiven Bildungspolitikern ohnehin als Vorzeigeprojekt, weil sie doch das „längere gemeinsame Lernen“ realisiert, einfach traumhaft. Nur in der Realität will das nicht so recht funktionieren. Warum das so ist, will natürlich niemand näher untersuchen, wir leben ja im „postfaktischen“ Zeitalter.
Wie hoch sind denn die Leistungserwartungen in Berlin?
Das habe ich mich gefragt, als ich vor ca. 2 Jahren mit einer mir persönlich bekannten Grundschulkollegin aus Berlin telefoniert habe.
Es bestand eine große Diskrepanz zwischen dem, was sie mir geschildert hat (Grundschule in einem Stadtteil in Berlin, gutes Einzugsgebiet) und dem, was ich von Bayern her kenne. Die Anforderungen an Leistung scheinen in Berlin deutlich geringer zu sein; auch die Art und die Häufigkeit wie eine Leistung ermittelt wird. Das hat aber jetzt nur anekdotische Evidenz.
Das Wort Leistung kommt bei der rot-rot-grünen Politik in Berlin nicht vor. Im Koalitionsvertrag steht einiges zur Schule, aber nicht das Wort Leistung. Man ist auch ganz stolz auf die 6-jährige Grundschule (und die neuen Gemeinschaftsschulen ohne Noten und ohne Sitzenbleiben). Spötter sagen, die kommt nach 6 Jahren etwa dahin, wo die bayerische nach 4 Jahren ist. Wie die Praxis aber wirklich ist, kann ich nicht sagen, die VerA 3 – Ergebnisse, soweit veröffentlicht, sehen ziemlich mies, teilweise katastrophal aus. Das, was angeblich allen in Bayern im Nacken sitzt (das „Grundschulabitur“), das fehlt eben. Gute Schüler können nach Klasse 4 auf grundständige Gymnasien gehen (bei Eltern beliebt), aber die sind bei der Regierung und den zugehörigen Parteien gar nicht beliebt. Das gilt als unsoziale bildungsbürgerliche Segregation. Aber diese Regelung wurde in West-Berlin 1951 eingeführt, und niemand traut sich bisher, die abzuschaffen. Dass in der Mehrheit der Bundesländer (auch in Bremen und Hamburg) ALLE Gymnasien grundständig ab Klasse 5 sind, ficht diese Leute auch nicht an. Am Berliner Wesen soll halt die deutsche Schule genesen, das ist die Einstellung, mit freundlicher Unterstützung durch die GEW.
Die Stundentafel kann ruhig gekürzt werden. Man kann zwischen obligatorischen und fakulativen Angeboten unterscheiden. Außer bei Deutsch und Mathematik kann überall gekürzt werden. Die Lehrer machen es ja auch so. Es gibt dutzende Unterrichtsthemen und sie wählen aus, welche sie davon „schaffen“. Den Rest schaffen sie eben nicht. Da kräht kein Hahn danach.