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Klatsche für die Kultusminister – Corona-Sachverständige: „Im Bereich der Schulen hat sich wenig getan“

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BERLIN. Zwei prominente Mitglieder des Corona-Sachverständigenausschusses haben massive Kritik an den für die Bildung verantwortlichen Politikerinnen und Politiker – dem Bundesbildungsministerium sowie den 16 Kultusministern der Länder – geübt: Die Bildungssoziologin Prof. Jutta Allmendinger, Chefin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, und der Volkswirt Prof. Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, stellen in einem Interview mit dem „Spiegel“ fest, dass auf Seiten der verantwortlichen Politiker offenbar kein Interesse an Erkenntnissen besteht, die den Schulen helfen könnten, die Pandemie-Folgen zielgerichtet zu bekämpfen.

Die Kultusministerinnen und Kultusminister haben offenbar wenig Interesse daran zu erfahren, was tatsächlich in Schulen während der Corona-Pandemie passiert. Illustration: Shutterstock

Der Sachverständigenausschuss hatte im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums die Wirkungen des Infektionsschutzgesetzes begutachtet und seine Ergebnisse Anfang Juli vorgestellt (News4teachers berichtete). Die nun geäußerte Kritik zielt auf beide Ebenen der Pandemie-Folgen in Schulen – den Gesundheitsschutz sowie die Bildungseffekte. Mit Blick auf die sogenannten Aufholprogramme von Bund und Ländern stellt Allmendinger zum Beispiel fest:Schon vor Corona mussten wir feststellen, dass Kinder in Deutschland je nach Herkunft ganz unterschiedliche Chancen im Bildungssystem haben. Durch die Pandemie hat sich dieser Zusammenhang verschärft. Leider sehe ich zurzeit weder präventive noch reparierende Maßnahmen, die zielgerichtet wären – die wir aber dringend bräuchten. Wir haben nicht einmal die nötigen Daten.“

“Ein solches Monitoring gibt es bisher nicht, dabei wäre das wirklich kein Hexenwerk“

Schmidt: „Wir wüssten gern mehr darüber, wie die Konzepte in den Schulen tatsächlich wirken oder was der Wechsel- und Hybridunterricht mit den Schülerinnen und Schülern macht. Das Gleiche gilt für die Frage, wie gut die Coronamaßnahmen zur Eindämmung des Virus funktionieren, das Lüften etwa. Ein solches Monitoring gibt es bisher nicht, dabei wäre das wirklich kein Hexenwerk.“

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In Bremen und Hamburg sei mittlerweile fast jedes Klassenzimmer mit einem mobilen Luftfilter ausgestattet worden, ergänzt Allmendinger, in anderen Bundesländern seien es dagegen nur wenige Schulen, auch weil Bundesmittel nicht abgerufen wurden. „Hätten wir weitergehende Informationen – oder würden solche Datensätze jetzt aufbauen – könnte man sehen, welche Maßnahmen den Schülerinnen und Schülern besonders geholfen oder geschadet haben. Leider gibt es die Daten nicht und ich sehe auch nicht, dass sie aufgebaut werden“, sagt sie. Offensichtlich besteht gar kein Interesse daran.

Tatsächlich haben die Kultusminister nie eine systematische Begleitforschung beauftragt, um mit qualifizierten Stichproben herauszubekommen, was an Schulen seit März 2020 überhaupt geschieht. Bis November 2020 sammelte die KMK nicht einmal Daten über Ausbrüche in den Bildungseinrichtungen – später dann veröffentlichte sie die lückenhaften Angaben der Länder. Punktuelle Erhebungen in der Frühphase der Pandemie unmittelbar nach dem ersten Lockdown hatten keinerlei Aussagekraft (weil sie logischerweise nur die Auswirkungen des Lockdowns feststellen konnten – keine Infektionen eben –, wie auch das Robert-Koch-Institut feststellte). Als es dann später (Oktober 2020) doch mal eine einzige Untersuchung einer Landesregierung (Hamburg) über einen Ausbruch in einer Schule gab, wurde die Ergebnisse monatelang unter Verschluss gehalten, bis ein Bürger unter Hinweis auf das Informationsfreiheitsgesetz eine Veröffentlichung erzwang.

Ein erst im November 2020 von der KMK beauftragter Bericht zum internationalen Forschungstand wurde ebenfalls nur unter Druck veröffentlicht: Ein erster Zwischenbericht vom Januar 2021, in dem Schulschließungen als wirkungsvolles Instrument beschrieben werden, gelangte erst – unkommentiert – im August 2021 auf die Homepage der KMK, nachdem Journalistinnen und Journalisten der Untersuchung hinterherrecherchiert hatten. Der fertige Bericht schließlich trägt das Datum „Oktober“ (keine präzisere Angabe). Veröffentlicht wurde er allerdings erst – wiederum unkommentiert – Mitte Dezember. Eines der Ergebnisse: „Insgesamt zeigt sich in den Übersichtsarbeiten, dass Schulschließungen effektive Instrumente zur Eindämmung der Epidemie sind, allerdings nicht als Einzelmaßnahme.“ Konsequenzen? Keine. Weiterhin galt das Mantra der Kultusminister: „Schulen sind keine Treiber der Pandemie.“

Prof. Christian Drosten, Chef-Virologe der Berliner Charité und Mitglied im Corona-Expertenrat der Bundesregierung, machte mit der Behauptung, mit der die Politiker ihr Nicht-Handeln legitimierten, dann im Februar 2022 Schluss: „Wir haben eindeutig den Befund, dass die Übertragungen im Moment aus dem Schulbetrieb gespeist werden.“

“Wir brauchen bessere Daten, um vorbereitet in die nächsten Monate, ja Jahre zu gehen”

Allmendinger betont nun: „Da uns die vorliegenden Materialien selten erlaubten, kausale Zusammenhänge zu erkennen, hat der Sachverständigenausschuss eindringlich darauf verwiesen, dass wir bessere Daten brauchen, um vorbereitet in die nächsten Monate, ja Jahre zu gehen. Leider hat sich im Bereich der Schulen wenig getan.“ Ihre Forderung: „Bildung darf nicht wieder zu einer politischen und gesellschaftlichen Nebensache werden. Schließlich geht es auch um die sozialen Grundlagen unseres zukünftigen Zusammenlebens.“ News4teachers

Hier geht es zum vollständigen Interview im “Spiegel” (kostenpflichtig). 

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen: Wie die Kultusminister in der Corona-Krise abgetaucht sind – eine Bilanz

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