Studie: Kaum bis wenig Gewalterfahrungen beim Sport im Ganztag

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KÖLN, ULM, WUPPERTAL. In einer aktuellen Befragung geben rund 70 Prozent der Mitglieder deutscher Sportvereine an, schon Gewalt erfahren zu haben. Opfer sind meistens Minderjährige. Kooperationen von Schulen und Vereinen im Ganztag scheinen dagegen nicht betroffen.

Sport ist gesund und Sportvereine sind nach wie vor die wichtigsten Träger des organisierten Sports in Deutschland, abgesehen vom schulischen Sportunterricht, der in seinen zeitlichen Umfang aber wohl kaum alle sportlichen Defizite von Kindern und Jugendlichen ausgleichen kann. Gewalterfahrungen im Vereinssport scheinen allerdings an der Tagesordnung. Das legt eine gemeinsame Studie der Deutschen Sporthochschule Köln, des Universitätsklinikums Ulm und der Bergischen Universität Wuppertal nah. Für Ihre Studie befragten die Wissenschaftler rund 4.300 Vereinsmitglieder in rund 300 Sportverbänden.

Sport besitzt ein großes Potenzial für die Förderung und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Foto: Michael Means / U.S. Air Force Photo (p. d.)

63 % der Befragten berichteten, psychische Gewalt in Form von Erniedrigungen, Bedrohungen oder Beschimpfungen bereits im Kontext des Vereinssports mindestens einmal erlebt zu haben, meistens häufiger. Psychische Gewalt stellt damit die meistgenannte Gewaltform dar. Ein Viertel der Befragten gab an, sexualisierte Belästigungen oder Grenzverletzungen ohne Körperkontakt im Vereinssport erlebt zu haben. Ein Fünftel der befragten Vereinsmitglieder berichtete gar von sexualisierter Gewalt mit Körperkontakt, beispielsweise in Form von unerwünschten sexuellen Berührungen oder sexuellen Übergriffen. Jedoch: Auch wenn Vereinsmitglieder angaben, solche negativen und missbräuchlichen Erfahrungen im Kontext des Vereins gemacht zu haben, gaben neun von zehn betroffenen Personen an, allgemein gute bis sehr gute Erfahrungen mit dem Vereinssport zu haben. Die generelle Beurteilung des Vereinssports falle somit auch beim Vorliegen von Belästigungs- oder Gewalterfahrungen überwiegend positiv aus, stellen die Studienautorinnen und -autoren fest.

Zudem zeigt die Studie, dass die betroffenen Vereinsmitglieder auch außerhalb des Sports in ähnlichem Ausmaß Gewalt erlebten. Sexualisierte Grenzverletzungen, Belästigung und Gewalt mit und ohne Körperkontakt wurden von den Vereinsmitgliedern sogar außerhalb des Sportkontextes häufiger als innerhalb erlebt.

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Innerhalb des Sports wurden als organisationale Kontexte für Vorfälle mit Abstand am häufigsten die Vereine genannt, während andere Organisationen wie Olympiastützpunkte, Sportinternate oder Kooperationen von Schulen und Vereinen im Ganztag selten bis gar nicht als Institutionen genannt wurden, wo Vorfälle stattfanden. Über die Hälfte aller genannten Fälle (52 %) bezogen sich außerdem auf den organisierten Leistungs- und Wettkampfsport, 44 % der Fälle auf den Breiten- und Freizeitsport. Mädchen und Frauen sowie Vereinsmitglieder mit nicht-heterosexueller Orientierung berichteten häufiger von negativen Erfahrungen.

„Kein Verein kann sich darauf berufen, dass es sich um Einzelfälle handelt“
Marc Allroggen vom Universitätsklinikum Ulm zieht ein Fazit: „Mit dem Vorliegen der Befunde wird sich kein Verein darauf berufen können, dass es sich um Einzelfälle handelt und nur wenige Vereine betroffen sind.“ Zudem zeigten die Daten, dass es sich nicht überwiegend um „vergangene Fälle“ handele. Im Gegenteil: Jüngere Personen (bis 30 Jahre alt) berichteten in der Befragung deutlich häufiger von Gewalterfahrungen im Sportverein als ältere Mitglieder (über 30 Jahre alt).

Risikoanalysen und Schutzkonzepte sind für alle Sportvereine erforderlich
„Alle Vereine sind somit gut beraten, zielgruppenspezifische Risikoanalysen durchzuführen und eigene Schutzkonzepte zu entwickeln“, heißt es im Fazit der Studie. Dabei hätten besonders die Landessportbünde eine wichtige Orientierungs- und Beratungsfunktion für die Mitgliedsverbände in den untersuchten Bundesländern und benötigen zugleich noch mehr Ressourcen, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Rund 60 % der befragten Verbände auf der mittleren und regionalen Organisationsebene des Sportsystems in Deutschland wünschen sich mehr Unterstützung bei der Beratung zum Umgang mit Verdachtsfällen oder konkreten Vorfällen von Gewalt.

Gut sichtbare Anlaufstellen für Betroffene im Sport wichtig
Die Studie zeigte außerdem, dass Betroffene von Gewalt im Sport nur selten über ihre Erfahrungen berichteten und nur selten Unterstützung bei den Sportvereinen suchten. Vor diesem Hintergrund sei es nach Ansicht der Forscherinnen und Forscher besonders bedenklich, dass nur die Hälfte der befragten Sportverbände über nach außen sichtbare Kontaktmöglichkeiten für Betroffene verfüge, etwa auf Ihren Webseiten. Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule resümiert: „Anlaufstellen für Betroffene im Sport sind wichtig. Der organisierte Vereins- und Verbandsport sollte dringend nach geeigneten Wegen suchen, wie er proaktiv und gut sichtbar auf diejenigen zugehen kann, die Rat und Unterstützung bei Gewalterfahrungen benötigen.“

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13 Kommentare
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Ron
1 Jahr zuvor

Wie ruppig und unschön es auf dem Fußballplatz beim Tabellenspiel zugehen kann, ist hinlänglich bekannt. Da gibt es immer wieder unschöne Szenen. Oft ist das Bedrohungsgefühl dabei nicht physisch, sondern bewegt sich auf der Ebene des Verbalen oder Gestischen. Auch Mobbing oder Schmähungen erleben sicherlich viele. Wo die Schnittstelle zum Erleben von Gewalt genau verläuft, ist nicht immer ganz einfach zu beurteilen und verändert sich massiv durch allgemeine gesellschaftliche Sichtweisen. Dass Frauen und Mädchen öfter von Übergriffen berichten, ist zudem nicht automatisch ein Beweis dafür, dass es sie besonders häufig trifft, sondern kann auch als Indikator für einen unterschiedlichen Umgang mit solchen Vorkommnissen gewertet werden. Die allgemeine Deliktstatistik zeigt, dass Frauen sich insgesamt durch körperliche Gewalt sehr viel stärker bedroht fühlen, Männer aber mit weitem Abstand Opfer ebendieser werden. Ein Missverhältnis zwischen gefühlter und erlebter Gewalt, das man zumindest im Hinterkopf haben sollte. Ist zudem ein Spruch oder das unangenehme Hinterherpfeifen bereits als Gewalt und sexueller Übergriff zu werten? Wenn ja – und so kann man das sehen – wünsche ich mir eine stärkere Differenzierung der Vorkommnisse. Auch ich – Mann – bin sowohl schon sexualisiert als auch verbal und körperlich angegangen worden. Ich würde auf die Frage nach erlebter Gewalt dies aber nicht so benennen, da ich mich nicht als Opfer verortet habe.

Indra Rupp
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Das ist auch bei „Stalking“ so. Frauen bewerten eher etwas als übergriffig.
Beispiel : Frau arbeitet im E-Center, zieht um, wechselt die Filiale. In der neuen Filiale taucht eine Art „Patrick Swayze“ auf und sagt, er habe überall gesucht um sie wiederzufinden…. Boah, wie romantisch! Verkäuferin und Kunden schmelzen dahin, die Verkäuferin ist die Heldin, Hollywood will gleich einen Film darüber drehen…. und das sind genau die Filme, die Frauen toll finden! Anderes Beispiel : Genau die selbe Situation, nur ist es nicht Patrick Swayze, sondern der Obdachlose vor der Filiale, der diese Gefühle hegt. Der bekommt eine Strafanzeige wegen Belästigung, Hausverbot und wird zum Psychopathen pathologisiert… Ganz schön große Unterschiede in der Reaktion, dafür, dass zwei Menschen im Grunde genau dasselbe tun und das beruht einzig darauf, welchem Wert den „stalkenden“ Personen beigemessen wird. Von dem Obdachlosen fühlt die Verkäuferin sich bedroht, weil sie ihn für „Abschaum“ hält! Ganz sicher ist hier nicht die Verkäuferin das einzige Opfer!

Man könnte sagen, bei schwerem Stalking, Übergriffe, ect ist die Sache klar und natürlich sind die Übergänge fließend. Bei solch leichten Beispielen aber kann man sagen, dass das einfach Teil des menschlichen Miteinander ist und da wir sehr verschieden sind, kann das nicht immer nahtlos alles passen.

Im Grunde ist auch die Frage „Wie geht es Ihnen? “ übergriffig, denn diese Frage ist im Grunde persönlich und oft unangenehm und man muss lügen, weil man kein Fass aufmachen will. Im Internet finden sich dann auch Frauen, die eine freundschaftliche Berührung am Arm durch eine Kollegin übergriffig finden und meinen, man sollte diese Kollegin dann vor allen anderen zur Schnecke machen, nach dem Motto „Ich bin Opfer, ich habe Recht!“

Tatsache ist, wenn wir keine Täter sein wollen (und das wollen die meisten auch nicht), dann müssten wir vorsichtshalber annehmen, dass alle Menschen um uns herum Autisten sind. Niemand darf angesprochen, angeguckt oder gar berührt werden und diese Hollywoodfilme gibt es schon mal garnicht mehr. Damit wären wir ganz sicher nicht glücklich!

Natürlich hat man ein Recht sich bedroht zu fühlen und es soll auch nicht als Freifahrtschein verstanden werden, dass man sich da nicht so „anstellen“ soll. Männer können mit Sprüchen und Anmache schon ganz schön belästigend sein. Frauen, wenn sie betrunken sind, mitunter noch mehr! Man kann da aber schlecht die Grenze ausmachen, weil da jeder anders empfindet. Man sollte deshalb vorsichtig damit sein, andere als Täter zu beurteilen und dies wiederum als Freifahrtschein für Demütigungen diesem gegenüber zu betrachten.

Mir kommt dieses Opfergehabe von Frauen teilweise sehr zickig und selbstgefälligkeit vor!

Dagegen kann es gerade bei Teamsport außerordentlich zu Mobbing kommen. Trainer haben oft wenig pädagogisches Verständnis. Die Schwächeren in der Gruppe sind die Buhmänner. Sie lieben den Sport aber gehen dort mit Bauchschmerzen hin. Ihre Leistungen fallen ab, weil sie immer den Blick der gehässigen Anderen im Nacken haben. Kein Wunder, dass das vor allem Menschen trifft, die auch sonst im Leben Außenseiter sind oder auch in der Familie schlecht behandelt werden. Es ist, als hätten sie dadurch ein Etikett anhaften. Bei Missbrauch ist es genauso. Kinder, die schon Missbrauch erfahren haben, sind anfälliger, noch einmal so etwas zu erleben. Frauen, die keine Wertschätzung vom Vater bekommen haben, geraten immer wieder an problematische Männer. DAS sind meiner Meinung nach Opfer – und nicht jemand, der von einer Kollegin am Arm berührt wird oder ein Kompliment von jemanden unter dem eigenen „Stand“ zu hören bekommt.

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Indra Rupp

„Die Schwächeren in der Gruppe sind die Buhmänner.“
Aber wird nicht immer gesagt, dass Sport (besonders Teamsport) die Sozialkompetenz fördert? Sie rütteln ja an Grundüberzeugungen, die auch der Ganztagsschule zugrunde liegen.

Teacher Andi
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Das „immer“ würde ich ausklammern, aus genannten Gründen. Und die Schwachen sind nicht nur im Sport oft die Buhmänner, das lässt sich auf alle gesellschaftlichen Phänomene anwenden.

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Und wie ist das dann mit der „inklusiven einen Schule für alle“? Da ist dieses Problem plötzlich verschwunden? Oder redet man einfach nicht mehr davon?

Indra Rupp
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Ich kenne es vom Voltigieren so, dass alle über die Schwächeren lästern, die die Gesamtpunktzahl auf einem Turnier runter drücken und der Trainer, der kein Pädagoge ist, macht mit. Aber es spielt auch eine Rolle, wer als cool angesehen wird und wer eher nicht so in die Gruppendynamik passt. Eigentlich hängt das Klima entscheidend vom Gruppenleiter ab.

Carsten60
1 Jahr zuvor

Naja, das scheint wie bei Eisbergen zu sein, das meiste sieht man gar nicht:
https://www.tagesschau.de/sport/sportschau/sportschau-story-61197.html
Ich nehme mal an, der Sport wird in unserer Gesellschaft sozusagen „heilig“ gesprochen und von jeder Kritik abgeschirmt. Und irgendwann knallt’s plötzlich. Dann treten die Funktionäre zurück, aber ob sich was ändert?

Teacher Andi
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Es spricht sich mittlerweile auch bei den überzeugtesten Machos herum, dass Frauen eben doch Fußball spielen können. Dieser „Machtbeweis“ durch Belästigung ist nur ein erbärmliches Unterfangen der „holden Männlichkeit“, die verzweifelt versucht, ihre Schwächen zu kompensieren. Es dauert halt, bis da der Verstand eingesetzt wird und die Einsicht ankommt, dass es eben nicht männlich ist, wenn man Frauen belästigt.

Teacher Andi
1 Jahr zuvor

Eine wahrhaft seltsame Studie, die jetzt so gut wie gar nicht aussagekräftig ist. Das Erleben von „psychischer Gewalt“ im Sport, wie ist das definiert? Für manche ist es wohl schon psychische Gewalt, wenn man sagt „stell dich nicht so an“. Im Sport spart man sich oft Höflichkeits- und Achtsamkeitsfloskeln, da man zuweilen schnell reagieren muss. Spontane Befehle sind keine Beschimpfungen, auch wenn das heute immer mehr so empfinden.
Wenn ich als Sportlehrer Hilfestellung geben muss, dann ist das für Viele schon grenzwertig, aber ich packe eben zu, bevor sich ein Schüler verletzt. Könnte man jetzt als sexuelle Belästigung auslegen, so weit sind wir schon. Wenn man die Umkleiden kontrolliert und da steht noch ein Trödler in Unterhosen da, dann ist da sicher keine böse Absicht seitens des Sportlehrers.
Diese Studie könnte man auch in anderen Bereichen anwenden: Großraumbüros, große Feste wie Oktoberfest, Clubs, Internate, und alles, wo größere Gruppen von Menschen beisammen sind. Die Ergebnisse wären ähnlich, und ähnlich überzogen.
Und was soll der Zusatz, dass die betroffenen Vereinsmitglieder auch außerhalb des Sport Gewalt erfahren haben? Was hat dann der Verein damit zu tun? Die ganze Studie scheint mir ziemlich verwässert. Auch kann man den Schulsport nicht mit Vereinssport vergleichen, die Voraussetzungen sind viel zu unterschiedlich.
Letztendlich liegt es innerhalb der Vereine an den Trainern, wie sie die Mitglieder auf ihre Sozialkompetenz hin einstellen. Und da bietet der Verein eher eine gute Möglichkeit des Zusammenwirkens, raus aus der Isolation, Abbau von Vorurteilen usw Eine solche Studie wirft unberechtigterweise ein ungutes Licht auf das Sporttreiben, ohne die Vereine hätten wir ein trauriges Dasein, und leider geht es immer mehr in die Richtung kommerzielle Fitnesszentren, und damit in die Isolierung.

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Das Gegenteil ist auch möglich. Ein Bekannter hat mir von einem Fußballverein in ich glaube Köln erzählt, aus dem jeder ethnisch deutsche Fußballinteressierte rausgedrängt wird. So kann man Parallelgesellschaften auch fördern.

Teacher Andi
1 Jahr zuvor
Antwortet  Georg

Wie gesagt, das hängt vom Trainer und vom Vereinsvorstand ab, da gibt es halt auch schwarze Schafe, wie in allen anderen Einrichtungen. Werteerziehung muss überall stattfinden.

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Teacher Andi

In dem Verein werden durchaus Werte vermittelt. Sie sind nur nicht mit der westlichen Kultur vereinbar. Inwiefern diese in dem Kölner Stadtteil noch die Mehrheit stellt, steht wieder auf einem ganz anderen Blatt.

potschemutschka
1 Jahr zuvor
Antwortet  Teacher Andi

…kommerzielle Fitnesszentren oder Ganztagsschule 24/7… Schulen sind ja sicher. Wieder eine „Studie“ mehr, die das von unseren KuMis Gewünschte bestätigt. Fazit: Um das abzudecken werden Sportvereine aufgelöst und die Trainer arbeiten an den Schulen. Problem gelöst. Oder doch nicht?