Vorlesetag: Fast 750.000 Menschen machen mit – aber was passiert danach?

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Beim 19. Bundesweiten Vorlesetag haben am Freitag fast 750.000 Menschen mitgemacht – als Vorleser oder Zuhörer. Auch in diesem Jahr wurde Deutschlands größtes Vorlesefestival von zahlreichen Prominenten unterstützt, wie die Initiatoren mitteilten. Unter anderen lasen Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), der Journalist Mirko Drotschmann und die Schauspielerin Natalia Avelon Kindern vor. Der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann verwies darauf, dass einer aktuellen Studie zufolge jedem fünften Kind in Deutschland nie zuhause vorgelesen wird.

Vorlesen ist wichtig – klappt in Kitas und Schulen nur leider viel zu selten. Foto: Shutterstock

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger rief angesichts schwacher Lesekompetenzen vieler Grundschülerinnen und Grundschüler zum Vorlesen auf. «Indem wir Kindern vorlesen, unterstützen wir ihre schulische und persönliche Entwicklung und leisten einen wertvollen Beitrag, um Chancen- und Bildungsgerechtigkeit in Deutschland zu verwirklichen», sagte die FDP-Politikerin.

Der IQB-Bildungstrend – ein regelmäßiger deutschlandweiter Test bei Viertklässlern in Deutschland – hatte kürzlich gezeigt, dass diese zunehmend Mathe- und Deutschprobleme haben und im Zehn-Jahres-Vergleich in ihren Kompetenzen deutlich zurückgefallen sind. Beim Lesen, Zuhören und in Mathematik erreichte etwa jeder Fünfte nicht die Mindeststandards.

„Vorlesen ist nicht nur wertvolle Beziehungszeit zwischen Eltern und Kindern, sondern ein wichtiger Baustein für eine positive Bildungsbiografie“, erklärte Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) und Vorstandsmitglied der Stiftung Lesen. „Studien haben zudem erwiesen, dass Kindern, denen viel vorgelesen wird, der Zugang zum eigenen Lesen erleichtert wird. Das ist eine entscheidende Grundlage für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn. Mit Blick auf diesen Zusammenhang stimmen mich die Ergebnisse des diesjährigen Vorlesemonitors sehr nachdenklich.“

„Hier wird die Grundlage für schlechtere Bildungschancen bereits in die Wiege gelegt“

Hintergrund: Kernergebnis der Umfrage unter Eltern ist, dass jedem fünften Kind in Deutschland nie und weiteren 20 Prozent der Kinder einmal pro Woche oder seltener vorgelesen wird (News4teachers berichtete). Zwei Prozent der Kinder leben in einem Haushalt, in dem es keinerlei Kinderbücher gibt. Besonders betroffen sind Kinder aus Elternhäusern mit formal geringer Bildung. Hier gaben 31 Prozent der Eltern an, ihren Kindern nie vorzulesen.

Hierzu Beckmann: „Hier wird die Grundlage für schlechtere Bildungschancen bereits in die Wiege gelegt. Noch bedenklicher ist allerdings: Von den Kitas, deren Auftrag es unter anderem ist, derartige Ungleichheiten auszugleichen, ist dies derzeit nicht leistbar.“ Beckmann verwies auf eine Studie des VBE, der zufolge ungefähr 9.000 Kitas im letzten Jahr unter aufsichtspflichtrelevanter Personalunterdeckung arbeiten mussten (News4teachers berichtete auch darüber).

Beckmann: „Da ist individuelle Förderung nur schwer umsetzbar. In der Grundschule treffen die Kinder dann auf die nächste Bildungseinrichtung, die derartige Herkunftsunterschiede aufgrund des Personalmangels kaum auffangen kann. Aufgrund der jahrelangen Unterfinanzierung und Fehlplanung seitens der Politik laufen wir zunehmend Gefahr, eine ganze Generation Kinder in puncto guter Bildung zu verlieren.“ News4teachers / mit Material der dpa

Eltern-Umfrage: Zwei von fünf Kindern wird nur selten oder nie vorgelesen

 

 

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6 Kommentare
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Ron
1 Jahr zuvor

Den Vorlesetag sollte man als Happening sehen. Er kostet nicht viel und ist sympathisch. Wenn er so einen Anklang findet, ist das doch schön. Manche Familie wird er inspirieren, doch mal wieder in ein Buch zu schauen. Mehr kann man nicht verlangen.

Vierblättriges Kleeblatt
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Was ist denn ein „happening“?

Ron
1 Jahr zuvor

Ein besonderes Ereignis. Bitte.

Hops
1 Jahr zuvor

Der immerhin nun 19. Bundesweite Vorlesetag setzt tatsächlich wenigstens einmal im Jahr ein Achtungszeichen in Hinblick auf die oft ungünstigen Zustände die einer Verbesserung von Lesekompetenzen und sozialem Füreinander Dasein entgegenstehen. In unserer Einrichtung ist die Nachwirkung zwar nicht dauerhaft, hat jedoch einen hohen Faktor bezüglich der Motivation. Vielleicht sollte man mehr das Positive, als das ständige Wenn und Aber in den Fokus stellen.
Ich hoffe, dass die „Besserwissenden und Schulkritiker“ sich wenigstens an diesem Tag aktiv am Vorlesen beteiligt haben. Wenn nicht, nächste Möglichkeit, zum 20. Mal im November 2023.

Vierblättriges Kleeblatt
1 Jahr zuvor

Danach passiert nichts weiter. Wie immer. Den Vorlesetag und Appelle zum Vorlesen gibt es doch schon ewig.

Ich vermute sogar, dass „bildungsferne Milieus“ nicht einmal etwas vom Vorlesetag mitbekommen haben. Die lesen hier auch nicht mit. Die lesen womöglich gar nicht?!

Pälzer
1 Jahr zuvor

Bei uns hat der Bürgermeister der 6c vorgelesen: aus „Pfoten vom Tisch“ von Hape Kerkeling. Unsäglich schlecht ausgewählt, der Text war nicht kindgemäß. Vier Kinder haben tapfer gelesen und sogar versucht, die französischen Wörter auszusprechen, viele guckten in die Luft oder malten, aber nach 40 min war es ja vorbei.
Was machen genügt nicht, man muss es auch klug auswählen, und dazu braucht man pädagogische Fachkenntnis. Ist das so schwer?