Nach den Silvester-Krawallen: Beamtenbund fordert stärkeren Staat (samt Schulen)

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KÖLN. Der Staat soll in den aktuellen Krisen den Bürgerinnen und Bürgern zur Seite stehen. Zuletzt wurden Staatsbedienstete aber selbst Opfer von Angriffen. Ist ein Schlüssel für Verbesserungen mehr Personal – auch in Schulen? Der Beamtenbund hat eine klare Meinung.

«Das werden wir als Staat nicht hinnehmen»: Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Foto: Peter Jülich / BMI

Nach den Angriffen auf Einsatzkräfte in Berlin und anderen Städten an Silvester hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein zügiges Durchgreifen der Justiz gefordert. «Ein schnelles Aburteilen dieser jugendlichen Straftäter – das ist das Maß der Dinge, was wir dieser Tage brauchen», sagte Faeser bei der Jahrestagung des Beamtenbunds dbb am Montag in Köln. dbb-Chef Ulrich Silberbach forderte eine ausreichende Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden. Die Justiz sei total unterbesetzt.

Insgesamt stellte Faeser die aktuelle Bedeutung eines starken und wehrhaften Staates heraus. Silberbach forderte eindringlich mehr Personal für den öffentlichen Dienst und warnte andernfalls vor spürbaren Einschnitten bei der Leistungsfähigkeit des Staats.

«Wenn wir den Personalmangel im öffentlichen Dienst nicht stoppen, den peinlichen Digitalisierungsstau nicht auflösen, dann gibt es weniger Daseinsvorsorge»

Mit Blick auf die Silvester-Krawalle sagte Faeser: «Nur eine schnelle Strafe, die auf dem Fuß folgt, schafft Respekt.» Ähnlich hatte sie sich zuvor geäußert, nachdem es unter anderem in Berlin massive Attacken etwa auf Feuerwehrleute mit Silvesterfeuerwerk gegeben hatte. Die für die Justizbehörden zuständigen Länder rief Faeser auf, die Justiz gut auszustatten.

«Diese Angreifer kommen aus ganz verschiedenen Milieus, aber sie haben eines gemeinsam: Sie verachten unseren Staat, sie verachten unsere Demokratie», sagte Faeser. Bezogen auf die Angriffe sagte sie: «Das werden wir als Staat nicht hinnehmen.» In Städten gebe es Probleme mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund. Das müsse man benennen, ohne Ressentiments zu schüren.

Silberbach sagte: «Auch in Berlin-Neukölln erwarten die Bürgerinnen und Bürger – egal welcher Religion, Hautfarbe oder Herkunft – einen starken Staat.» Der Gewerkschafter forderte generell einen leistungsfähigen Staat angesichts der Klima- und Transformationskrisen. Faeser entgegnete, es gebe durchaus «einen starken Staat, der sich gerade in diesen vielfältigen Krisen auch bewährt hat». So hätten die Kommunalverwaltungen Enormes bei der Unterbringung der Flüchtlinge aus der Ukraine geleistet.

Silberbach mahnte: «Wenn wir den Personalmangel im öffentlichen Dienst nicht stoppen, den peinlichen Digitalisierungsstau nicht auflösen, dann gibt es weniger Daseinsvorsorge.» Die Bürgerinnen und Bürger müssten sich in naher Zukunft auf weitere erhebliche Einschränkungen einstellen, wenn keine Kehrtwende in der Personal- und Finanzpolitik erfolge.

Das hieße beispielsweise «noch mehr Betreuungs- und Unterrichtsausfälle, Verzögerungen bei der Bearbeitung von Leistungsbescheiden und Verwaltungsdienstleistungen, weiterhin Engpässe in der Notfall- und Gesundheitsversorgung, kürzere Öffnungszeiten und weniger Präsenz von Behörden und öffentlichen Einrichtungen, auch im Bereich der Sicherheit, und so weiter und so fort. Die Menschen werden das tagtäglich spüren und mit noch weniger Vertrauen in die Funktionsfähigkeit ihres Staates quittieren», warnte Silberbach. Heute fehlten im öffentlichen Dienst mehr als 360.000 Menschen, die Altersstruktur stagniere auf problematischem Niveau. «Da müssen wir massiv ran.»

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An die Politik gerichtet sagte Silberbach: «Versprechen Sie doch nichts, was Sie nicht halten können.» Als Beispiel nannte er den Ganztagsanspruch in der Grundschule. «Wer soll ihn umsetzen?» Ohne Kehrtwende für den öffentlichen Dienst und ohne konzertierte Maßnahmen drohten Kita-Schließungen, eine Vergrößerung des Lehrermangels, eine verschärfte Krise bei Kliniken und Rettungsdiensten und ein Rechtsstaat, «der personell und administrativ auf dem letzten Loch pfeift».

Vor kurzem, bei der Bundesversammlung des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) am 16. Dezember, hatte Silberbach ausdrücklich die Situation der Schulen beklagt. «Der Lehrkräftemangel ist nicht vom Himmel gefallen. Der dbb und die Bildungsgewerkschaften unter seinem Dach warnen davor schon eine gefühlte Ewigkeit. Umso frustrierender ist es für die Kolleginnen und Kollegen, dass hier so wenig passiert ist. Zumal mit der Corona-Pandemie und der Aufnahme geflüchteter Kinder aus der Ukraine die Belastung in den letzten Jahren nochmal erheblich gestiegen ist», erklärte er.

«Wenn die Kultusministerkonferenz das nicht leisten kann, müssen die Ministerpräsidenten eingreifen und den Kampf gegen den Lehrkräftemangel zur ‚Chefsache‘ machen»

«Die Bundesländer pochen auf ihre Zuständigkeit für das Thema. Aber wenn der Bildungsföderalismus funktionieren soll, müssen sie ihrer Verantwortung auch gerecht werden. Wenn die Kultusministerkonferenz das nicht leisten kann, müssen die Ministerpräsidenten eingreifen und den Kampf gegen den Lehrkräftemangel zur ‚Chefsache‘ machen. Sonst gefährdet das den Bildungserfolg einer ganzen Generation», so der dbb-Chef. «Das haben die Lehrerinnen und Lehrer sowie Leitungen aller Schulformen, die tagtäglich alles für unsere Kinder geben, obwohl sie oft nur den Mangel verwalten, einfach verdient.»

Die Bildungsinstitutionen würden darüber hinaus unter dem Fachkräftemangel im gesamten öffentlichen Dienst leiden. Silberbach: «Das geht beim Neubau von Schulen los und zieht sich bis zu den Aufsichtsbehörden. Es ist erschreckend, wenn letztere nach einer aktuellen Medien-Recherche chronisch unterbesetzt sind und etwa Meldungen zur Verletzungen der Aufsichtspflicht in Kitas – die ebenfalls wiederum Ausdruck des wachsenden Personalmangels sind – nicht mehr wie gewohnt nachgegangen werden kann.»

Mit Blick auf anstehende Tarifverhandlungen für die Beschäftigten von Bund und Kommunen (siehe Beitrag unten) zeigte sich Faeser nun optimistisch. Die Tarifrunde werde nicht einfach, aber sie sei «sehr zuversichtlich» hinsichtlich eines ausgewogenen Tarifergebnisses. Dieses solle auf Beamtinnen und Beamte übertragen werden. Faeser kündigte an, sich darüber hinaus für eine auskömmlichere Besoldung von Beamtinnen und Beamten einsetzen zu wollen. Ein Gesetzentwurf für eine verfassungsgemäße Alimentation solle bald in die Ressortabstimmung.

„Die größte Gefahr für die #Demokratie, für den Zusammenhalt unseres Gemeinwesens und auch für unsere #Wirtschaft und unseren Wohlstand ist ein kaputt gesparter, nicht funktionsfähiger öffentlicher Dienst“, mahnt dbb Chef Ulrich Silberbach auf #dbbjt23.https://t.co/c7mNTIkOmM

— dbb beamtenbund und tarifunion (@dbb_news) January 9, 2023

Auch einen Gesetzentwurf zur Änderung des Disziplinarrechts will Faeser vorantreiben. «Wir müssen Extremisten schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernen», sagte sie. «Deshalb ändern wir das Disziplinarrecht jetzt und sorgen dafür, dass die Behörden selbst handeln können und sich nicht wie bisher per Disziplinarklage an das Verwaltungsgericht wenden müssen.»

Zugleich will Faeser mehr Menschen mit Migrationsgeschichte für den öffentlichen Dienst gewinnen. Der Staat wolle aktiver auf sie zugehen und Bewerbungsverfahren anders aufstellen. News4teachers / mit Material der dpa

Tarifverhandlungen

Am 24. Januar startet die erste Runde der anstehenden Tarifverhandlungen für die Angestellten bei Bund und Kommunen. Der dbb fordert:

  • Erhöhung der Tabellenentgelte um 10,5 Prozent, mindestens jedoch 500 Euro
  • Erhöhung der Entgelte der Auszubildenden, Studierenden, Praktikantinnen und Praktikanten um 200 Euro sowie eine verbindliche Zusage zur unbefristeten Übernahme der Azubis
  • Laufzeit 12 Monate

Weiterhin erwartet der dbb:

  • Zeitgleiche und systemgerechte Übertragung des Volumens auf den Bereich der Beamtinnen und Beamten sowie Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger des Bundes sowie
  • eine Reduzierung der 41-Stunden-Woche im Bereich der Bundesbeamtinnen und -beamten
  • Verlängerung des Tarifvertrags zur Gewährung von Altersteilzeit.

Nach Silvester-Krawallen: Deutscher Lehrerverband fordert Höchstquoten für Migrantenkinder an Schulen

 

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6 Kommentare
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Ron
1 Jahr zuvor

Dass unsere Polizei, Gerichte aber auch Verwaltung personell ausbluten, ist ein schleichender Prozess, der schon länger stattfindet. Insofern ist es gut, wenn Politiker hier jetzt endlich mal aktiv werden. Nur mehr Personal wird aber nicht die Lösung sein. Was wir brauchen ist eine Entschlackung von Abläufen, klarere Zugriffsrechte und auch Strafen, die Menschen beeindrucken, die nicht aus dem bürgerlichen Milieu kommen. Den Ruf nach Sozialarbeitern und Schule mag ich mittlerweile nicht mehr hören. Ich denke nicht, dass die Silvesterchaoten sich davon besonders beeindruckend lassen. Hier mal ein Beispiel, was da wirklich abging. Ich möchte da jetzt keinen Arbeitsauftrag für die Schule draus entwickelt wissen:

https://t.me/crazynewsmx/15590

Georg
1 Jahr zuvor

Interessant, dass der Staat nach sieben Jahren und nicht schon 2015/16 auf die Idee kommt, sich mal Respekt zu verschaffen.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Georg

Na ja, es ist eine Frage des Wählerwillens und des gesellschaftlichen Klimas. Als ob ein „Staat der sich Respekt verschafft“ überhaupt erwünscht oder möglich wäre … da braucht man jetzt auch nicht mehr „so“ anzufangen.

447
1 Jahr zuvor

Ja, äh, ich verstehe wieder mal Bahnhof.
Und ich frage mich, was das soll bzw. wo das jetzt herkommt. Ganz ähnlich wie bei den merkwürdigen Forderungen von Herrn Meidinger neulich.

„Forderungen“,“Erklärungen“ usw. sind null justiziabel und die Frau Innenministerin hat ihre Prioritäten schon lange klar gemacht.

Weder in der politischen Führungsschicht noch in den gesellschaftlichen Eliten noch in der normalen Wählerschaft gibt es den Willen oder die Forderung, gegen die entsprechende Klientel aktiv vorzugehen.

Ich verstehe irgendwie nicht, was diese „Erklärungen“ in letzter Zeit bezwecken sollen:

A) Für die klare Mehrheit der Wähler ist es nicht relevant, da sie diese Ereignisse für wichtiger eingeschätzte Ziele (mehr Buntheit, Maximierung von Einwanderung zur Erhöhung der Vielfalt) billigend in Kauf nehmen bzw. aktiv befürworten.

B) Für die Minderheit der Wähler, die solche Ereignisse gerne aktiv bekämpft sehen würden ist es auch nicht relevant, da man ja eh weiß, dass nichts substantiell geschehen wird (siehe A).

Vielleicht kann mich wer aufklären – sind irgendwo gerade wichtige Wahlen abstehend, passiert in der Politik gerade was anderes oder wichtigeres?

Ich habe über die Feiertage Mal Zeitungspause gemacht und bin daher nicht aktuell informiert.

Last edited 1 Jahr zuvor by 447
Schattenläufer
1 Jahr zuvor

Was mir auffällt ist die unterschiedliche Art wie der Staat agiert.

Bei den Silvesterkrawallen wurde die Polizei eher zögerlich eingesetzt.

In Lützerat zeigt der Staat viel mehr Elan. Wenn es um wirtschaftliche Interessen geht, scheint unser Staat bedeutend motivierter zu sein, als wenn es um den Schutz von Helfern und Bürgern geht.

Randalierer werden eher mit Samthandschuhen behandelt. Wenige Verhaftungen die nach einem Tag wieder draußen waren. Verständnis und Entschuldigungen aus allen (linken) Richtungen.
Aber wehe man kommt der RWE in die Queere. Dann werden Hundertschafften aus ganz Deutschland zusammen gezogen. Das sind eben Klima-Terroristen.

Carsten60
1 Jahr zuvor

Politische Rhetorik von Politikern, aber tatsächliche Hilflosigkeit der Behörden:
https://www.t-online.de/region/berlin/id_100105206/krawalle-an-silvester-so-macht-sich-der-staat-laecherlich.html