Jugendliche sind reizbarer, niedergeschlagener, nervöser – und sie schlafen schlechter

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HAMBURG. Die fünfte Befragung der Hamburger COPSY-Studie wartet eigentlich mit guten Nachrichten auf: Drei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie scheinen die durch sie ausgelösten psychischen Beschwerden von Kindern und Jugendlichen langsam zurückzugehen. Allerdings rücken weitere Krisen nach.

Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist auch im dritten Jahr der Corona-Pandemie noch spürbar beeinträchtigt: Zwar sind die Belastungen nicht mehr so hoch wie während des ersten und zweiten Lockdowns, aber sie liegen durchgehend über den Werten vor der Pandemie. Das gilt für Sorgen und Ängste ebenso wie für psychosomatische Beschwerden. Immer noch leidet jedes vierte Kind unter psychischen Auffälligkeiten. Erneut sind insbesondere Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen betroffen. Während die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit abgenommen haben, rücken neue Krisen in den Vordergrund.

Ein Mädchen lehnt an einem Eisenträger in einem schwach beleuchteten Korridor.
Die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen bleibt hoch, auch wenn neben der Pandemie andere Krisen in den Fokus rücken. Foto: Eric Ward/Unsplash (U.L.)

Das sind die zusammengefassten Ergebnisse der fünften Befragung der sogenannten COPSY-Studie (Corona und Psyche). Für die Längsschnittstudie befragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) in bisher fünf Befragungswellen mehr als 1.000 11- bis 17-jährige Jugendliche, sowie 1.500 Eltern von 7- bis 17-Jährigen zu Familien- und Kindergesundheit zur Erfassung der seelischen Gesundheit, Lebensqualität, psychosomatischen Beschwerden sowie Ressourcen und Risikofaktoren von Kindern und Jugendlichen seit Beginn der Pandemie.

Lebensqualität, psychische und psychosomatische Auffälligkeiten
Gaben bei den ersten beiden Befragungen während der Lockdowns im Jahr 2020 fast 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen an, eine geminderte Lebensqualität zu haben, waren es aktuell noch rund 27 Prozent. Auch der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten nahm langsam ab bis auf etwa 23 Prozent – gegenüber einem Spitzenwert von rund 31 Prozent während des zweiten Lockdowns zum Jahreswechsel 2020/2021.

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Insgesamt habe sich die allgemeine psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen laut der Befragung bis Herbst 2022 verbessert, doch die Werte für psychische Auffälligkeiten zeigten sich noch immer deutlich über denen vor der Corona-Pandemie. Dies galt ebenso für Symptome von Ängstlichkeit sowie psychosomatische Beschwerden. Reizbarkeit, Schlafprobleme, Niedergeschlagenheit und Nervosität waren immer noch deutlich stärker ausgeprägt als vor der Pandemie. Jedes zweite Kind gab an, mindestens einmal wöchentlich von Kopf- oder Bauchschmerzen betroffen zu sein. Allein die Symptome für Depressivität waren wieder auf das Niveau vor der Pandemie gesunken.

Neue Auslöser für psychische Probleme
Die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit scheinen den Wissenschaftlern zufolge nach drei Jahren etwas abgenommen zu haben. Die Kinder und Jugendlichen machten sich mittlerweile weniger Sorgen um Corona. So gaben noch 10 Prozent an, dass sie die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen als besorgniserregend und seelisch belastend empfänden. Etwa die Hälfte der Kinder machten sich wegen anderer Krisen Sorgen. Zunehmend scheinen Ukraine-Krieg, Inflation sowie Energie- und Klimakrise die Kinder und Jugendlichen psychisch zu belasten: Zwischen 32 bis 44 Prozent von ihnen äußerten Ängste und Zukunftssorgen im Zusammenhang mit anderen aktuellen Krisen.

Besonders Kinder und Jugendliche, deren Eltern stark belastet sind, eine geringere Bildung haben, über beengten Wohnraum verfügen und/oder einen Migrationshintergrund aufweisen, gehören der Risikogruppe an. Diese Kinder und Jugendlichen hatten in allen Befragungswellen über die drei Jahre der Pandemie ein höheres Risiko für eine geringe Lebensqualität, für mehr psychische Gesundheitsprobleme, Angstsymptome und Anzeichen von Depressivität. Demgegenüber hätten Kinder und Jugendliche, die über ein gutes Familienklima und gute soziale Unterstützung berichteten, ein deutlich geringeres Risiko für eine niedrigere Lebensqualität sowie psychische und psychosomatische Auffälligkeiten.

„Auch wenn die psychischen Beschwerden langsam zurückgehen, sind sie immer noch häufiger als vor der Corona-Pandemie. Daher brauchen wir jetzt niedrigschwellige, nachhaltige und langfristige Konzepte und Strukturen, um Kinder und Jugendliche mit psychischen Belastungen aufzufangen und ihnen Hilfen anzubieten. Das ist wichtig, um für zukünftige Krisen gewappnet zu sein“, betont angesichts der Ergebnisse Studienleiterin Ulrike Ravens-Sieberer. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, den belasteten Kindern und Jugendlichen zu helfen, damit sie psychisch wieder gesunden und im späteren Erwachsenenleben keine Langzeitschäden entwickelten. „Unser besonderes Augenmerk“, so Ravens-Sieberer, „benötigen benachteiligte Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen, die überdurchschnittlich betroffen sind.“ (zab, pm)

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5 Kommentare
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Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor

Mal fix psychoanalysieren … also was haben wir alles:

psychosomatische Beschwerden – ja
Reizbarkeit – immer wieder
Schlafprobleme – durchaus auch mal
Niedergeschlagenheit – ist bekannt, ja
Nervosität – jaja, auch
mindestens einmal wöchentlich Kopf- oder Bauchschmerzen – passiert schon öfter mal
Symptome für Depressivität – naja, könnte man vielleicht so sagen
Sorgen wegen anderer Krisen – oh la la, aber hallo
Ukraine-Krieg – jep
Inflation – auch
Energiekrise – freilich
Klimakrise – seit ich denken kann
Ängste – ein Sack voll
Zukunftssorgen – Zukunft, welche Zukunft?

Ergebnis: Ich muss ein Jugendlicher sein. Danke, COPSY.

Last edited 1 Jahr zuvor by Dil Uhlenspiegel
Gelbe Tulpe
1 Jahr zuvor

Na ja, die Jugendlichen merken halt, dass man sie durch Schreiben nach Gehör, SOL und ähnliche Dinge kaum mehr richtig ausbildet und dann noch in bösartiger Absicht die Jobs wegnimmt, indem man sie in Diktaturen wie China verlagert. Da ist es kein Wunder, wenn sie schlecht schlafen.

Metalman
1 Jahr zuvor

Hmm, einer der oder der Hauptauslöser (ausufernder Medien und Spielekonsum, Social-media Sucht) wurde nicht genannt oder untersucht?

PaPo
1 Jahr zuvor
Antwortet  Metalman

Ein Anstoß:

(I.) Grund vs. Ursache
(II.) Ursache vs. Symptom

Last edited 1 Jahr zuvor by PaPo
Riesenzwerg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Metalman

Das will die Wirtschaft nicht wissen.