„Seniorpartner in School“: Wenn ältere Ehrenamtler Streitigkeiten unter Schülern schlichten…

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LÜNEBURG. Ein Streit unter Grundschülern ist meist schnell vergessen. Manchmal steckt aber mehr dahinter. Dann kommen die «Seniorpartner in School» ins Spiel. Die ehrenamtlichen Mediatoren, zumeist im Rentenalter, schlichten in Schulen – und entlasten damit Lehrkräfte.

„Anlaufstelle bei Konflikten“: Senioren helfen ehrenamtlich in Grundschulen (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Greta und Jona waren schon oft im «Raum der guten Lösungen». «Ich finde das gut», sagt die neun Jahre alte Schülerin der Klasse 3b der Grundschule Lüneburg-Häcklingen. Ohne Einfluss von Lehrern oder Eltern und ohne Bewertung suchen die Kinder bei Streitigkeiten den Rat der zwei Mediatoren – eine Frau und ein Mann. «Die Freiwilligkeit ist unheimlich wichtig», sagt Jens-Peter Hecht, der in diesem Jahr nach einer mehrwöchigen Ausbildung zum «Seniorpartner in School» (SIS) zum Team stieß. Zweimal in der Woche bieten die meist älteren Freiwilligen ihre Schlichtungshilfen an, sie verpflichten sich, zwei Jahre dabeizubleiben.

Viele Kinder kämen aufgebracht oder enttäuscht zu ihnen. «Wir haben dann einige Grundsätze. Man lässt sich ausreden, dann kommt der andere dran», erzählt der 76 Jahre alte Hecht. Oft führe allein das dazu, dass sich die Situation beruhige. Es gebe auch Fälle, in denen Betroffene zwar zu ihnen kämen, aber gar nicht reden wollten. «Dann fragen wir, ob derjenige nicht einmal allein kommen möchte», berichtet die Ehrenamtliche Andrea Bockelmann. Allein öffneten sie sich eher, könnten zumindest etwas runterkommen von ihren aufgebrachten Gefühlen.

Wenn Kinder Probleme von zu Hause mitbringen – sei es durch eine Scheidung, wegen beengter Verhältnisse im Corona-Lockdown oder einfach wegen Erfolgsdrucks – hören die Konfliktlöser zu. In sechs Schulen sind die SIS in Lüneburg unterwegs. In einigen Stadtteilen müssen sich Heranwachsende mit mehreren Familienmitgliedern die Zimmer daheim teilen. Auch die aus der Ukraine Geflüchteten bringen Probleme mit in die Schule, die fehlenden Deutschkenntnisse können sie bei den Senioren mit sogenannten Gefühlskarten überbrücken. Sie zeigen dann auf eine der von gut bis schlecht gelaunten Zeichentrickfiguren und beschreiben ihre Stimmungslage.

Spielerisch versuchen die Mediatoren die zerstrittenen Kleinen wieder zusammenzubringen. Oft mit Hilfsmitteln wie Stöcken ähnlich den Schlagzeugsticks. Mit geschlossenen Augen und offenen Händen balancieren zwei Streithähne voreinander die Stöcke und drücken dem Gegenüber ihre Gefühle ohne Worte aus. «Danach können die Kinder ganz toll beschreiben, was sie gefühlt haben», sagt Bockelmann. Ganz wichtig: Sie kommen dabei aus ihrem Denkkarussell heraus.

SIS-Regionalleiterin Barbara Plötner-Raulf ist selbst Mutter, musste ihre Erziehungsregeln für die Konfliktarbeit aber ändern: «Hier hilft es nicht, zu sagen, so wird das gemacht.» Stattdessen musste sie lernen, Kindern zu helfen, Probleme selbstbestimmt anzugehen und Konflikte eigenständig zu lösen. Einfühlsame Fragen seien immer das beste. Was könntest du denn anbieten? – ist eine davon, wenn sich zwei Streithähne allmählich aufeinander zubewegen.

«Die Kinder haben eine Anlaufstelle bei Konflikten, ohne dass es Lehrer machen müssen», erklärt Schulleiterin Barbara Hinzmann. «Das ist sehr entlastend.» Lehrer oder Eltern erfahren nichts von dem Besprochenen. An ihrer Grundschule gibt es das Lösungszimmer nun schon seit drei Jahren – meist bleibt es bei einem Gespräch.

Einige der Ehrenamtlichen seien nach Corona abgesprungen, nun sollen wieder neue ausgebildet werden. Weil ein Trainer für einen Kurs 15.000 Euro kostet, sind nicht nur die Lüneburger auf Spenden angewiesen. Der Bundesverband gründete sich 2001 in Berlin mit dem Ziel der Gewaltprävention. Inzwischen gibt es 14 Landesverbände und etwa 1400 Ehrenamtliche an circa 350 vor allem Grundschulen. «Der Altersdurchschnitt der Senioren liegt bei 70 Jahren», sagt Ute Matschull-Mesfin aus dem Bundesvorstand. Sie blieben in der Regel fünf bis sieben Jahre.

Nicht immer gibt es eine Lösung für Konflikte, manchmal geht es tiefer und Sozialpädagogen müssen übernehmen. Die Ehrenamtlichen mussten auch akzeptieren, dass es Grenzen gibt, erzählen sie. Aber immerhin seien die Kinder freiwillig gekommen und hätten von ihren Problemen erzählt.

«Man lernt auch für sich selber viel», meint Peter Hesse. «Wenn ich diese Ausbildung 45 Jahre früher gemacht hätte, hätte ich mir viel Ärger erspart», sagt der pensionierte Polizeibeamte. Zur Ausbildung gehört einer der wichtigsten Punkte: keine Ratschläge oder Tipps zu geben, sondern die Schüler behutsam mit Fragen dahin zu führen, dass sie ihr Problem selbst lösen. Dafür nehmen sie sich viel Zeit. «Ich bin froh, Kindern zu helfen, dass Konflikte nicht in Faustschlägen enden», betont Hesse. Gespräche statt Bonbons zum Anlocken – die Senioren ermuntern sie zu reden, eine Streitkultur zu erlernen. Von Britta Körber, dpa

Hier gibt es weitere Informationen.

Demokratie- und Wertebildung? So wichtig (aber derzeit an den Schulen kaum leistbar) – VBE-Vize Fleischmann im Interview

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2 Kommentare
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Maggi
9 Monate zuvor

Und wieder einmal soll das Ehrenamt den Hintern des Staates retten, wie schon bei der Tafel. Es wird Zeit, dass man endlich Geld in den Bildungssektor reinpumpt und zwar dauerhaft. Lehrer*innen würden auch die Gewaltpräventionaausbildung oder Beratungslehrerausbildung machen, dürfen es aber nicht, da ja dann vom Deputat Stunden erlassen werden und das zu viel kostet.

No idealism
9 Monate zuvor

Niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, geht freiwillig (länger) in die Schule, um dort zu arbeiten. Vielleicht verkrachte Existenzen oder welche, die glauben, sich halbtags einen schlanken Fuß machen zu können per Quer- oder Seiteneinstieg. Wer im System ist, will nur noch raus!