Wie Grundschulkinder Strategien lernen können, Probleme eigenständig zu lösen

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COLUMBUS. Grundschülerinnen und Grundschüler, die in ihren kreativen Fähigkeiten gezielt gefördert wurden, profitieren in ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber Problemen im realen Leben, so eine aktuelle Untersuchung.

Problem gelöst! (Symbolfoto) Foto: Shuttesrtock

Für ihre Studie schulten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Angus Fletcher, Professor für Englisch an der Ohio State University, Dritt-, Viert- und Fünftklässler in der Anwendung literarischer Techniken wie Perspektivenwechsel, kontrafaktischem (Was-wäre wenn-)Denken und kausalem (Warum-)Denken, um die Kreativität im Umgang mit Schwierigkeiten zu verbessern. Die Techniken halfen den Kindern, neue, kreative und praktische Wege zur Problemlösung zu finden, so Fletcher.

Anlass zu der Untersuchung habe besonders die hohe Belastung von Kindern durch die Covid-19 Pandemie gegeben. “Angesichts der COVID-19-Katastrophe und des Gefühls, dass es viele Kinder in der Schule und im Leben schwer haben, macht man sich Sorgen um die Widerstandsfähigkeit der Kinder”.

Das Forschungsteam führte zwei separate Studien mit Schülern durch, die ein Sommerlager in einem Vorort von Columbus besuchten:

Perspektivwechsel

In einer Studie wurden 32 Schüler in zwei Gruppen aufgeteilt. In der Kontrollgruppe wurden die Kinder aufgefordert, eine besondere Eigenschaft an sich selbst zu bestimmen. Ihnen wurde gesagt, dies sei ihre besondere Fähigkeit, die ihnen bei der Lösung jedes Problems helfen könne.

In der „Kreativitätsgruppe“ führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Perspektivenwechsel mit den Schülerinnen und Schüler durch, damit sie lernten, ein Problem mit den Augen einer anderen Person zu betrachten. Konkret sollten die Kinder an einen Freund denken, der etwas Besonderes getan hat, und ihn als ihren “kreativen Freund” betrachten, der ihnen bei der Lösung jedes Problems helfen könne.

“Wenn man Menschen bittet, ihre Perspektive zu wechseln und sich vorzustellen, dass sie von einem Freund Ratschläge erhalten, erhält man viel kreativere und effektivere Problemlösungen, als wenn man nur versucht, das Problem selbst zu lösen”, so Fletcher. Und genau das habe die Studie ergeben. In einem Teil der Studie identifizierten die Lehrerinnen und Lehrer ein Problem, das für ihre Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung darstellte – zum Beispiel, dass man nicht zur Geburtstagsfeier eines Freundes gehen konnte, weil man mit seinen Eltern verreist war.

Überdies dachten die Kinder auch über ein schwieriges Problem in ihrem eigenen Leben nach. Probleme, die dabei genannt wurden, waren etwa “Mein Bruder hat eine Kommunikationsstörung”, “Mein Vater muss für zwei Monate verreisen” und “Meine Schwester schikaniert mich”.

Die Ergebnisse zeigten, dass ohne das Perspektivwechsel-Training weniger als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler in der Lage war, eine Lösung für die alterstypischen Probleme zu finden, und dass fast niemand in der Lage war, eine Lösung für seine eigenen Probleme zu finden. Hingegen konnten 94 % derjenigen Dritt-, Viert- oder Fünftklässler, die in Perspektivenwechsel geschult waren, für beide Probleme eine Lösung finden. 15 von 16 Kindern in der Kontrollgruppe hätten im Wesentlichen aufgegeben, so Fletcher. Entweder hätten sie gesagt, dass sie nicht wüssten, wie sie ihr Problem lösen könnten, oder sie zeigten eine Art magisches Denken, wie zum Beispiel, dass sie ein Superheld werden könnten.

Geschulte Lehrer bewerteten außerdem die Lösungen der Kinder nach ihrer Kreativität, d. h. danach, wie überraschend oder einzigartig die Lösungen waren. Nach der Intervention lag die durchschnittliche Kreativitätsbewertung bei 6,44 von 10 Punkten (mäßige Kreativität) im Vergleich zu 3,05 Punkten (geringe Kreativität) bei denjenigen, die keine Intervention zur Perspektivenverschiebung erhalten hatten. Für Fletcher ein Zeichen dafür, dass das Kreativitätstraining auch das Selbstwirksamkeitsgefühl der Kinder stärken konnte – die Überzeugung, dass sie eine gewisse Kontrolle und Macht über ihr eigenes Leben hätten.

Narrative Techniken zur Problemlösung

Eine zweite Längsschnittstudie, an der 28 Schüler desselben Camps teilnahmen, sollte die Auswirkungen eines fünftägigen, 10-stündigen Lernprogramms für narrative Kreativität auf Kreativität, Selbstwirksamkeit und Widerstandsfähigkeit untersuchen.

“Wenn Kinder ein Problem nicht lösen konnten, trainierten wir sie zunächst, sich zurückzuziehen und darüber nachzudenken, was sie eigentlich erreichen wollen”, so Fletcher. „Wenn wir zurücktreten und fragen: „Warum ist das wichtig?“, wird uns oft bewusster, was wir genau erreichen wollen und wir stellen oft fest, dass es andere Lösungswege gibt.“

Am Ende des Programms wurden den Schülerinnen und Schülern altersübliche Probleme ähnlich wie in der ersten Studie vorgelegt. Außerdem befassten sich die Kinder auch hier wiederum mit einem ihrer eigenen Probleme. Um die Belastbarkeit der Kinder zu testen, stellten die Forscherinnen und Forscher sie, als sie ihre Lösungsvorschläge präsentierten, vor eine neue, unerwartete Herausforderung: Sie sagten den Kindern, dass es nicht funktionieren würde.

Ergebnis: Alle Schülerinnen und Schüler, die an dem fünftägigen Lehrprogramm teilgenommen hatten, waren in der Lage, eine zweite Lösung sowohl für die alterstypischen als auch für die persönlichen Probleme zu finden. “Durch dieses Training ließen sich die Kinder nicht davon irritieren, dass ihre erste Lösung nicht funktionierte. Sie entwickelten einen zweiten Plan”, so Fletcher.

Nicht zuletzt erhielt die zweite Problemlösung von den bewertenden Lehrkräften im Durchschnitt eine höhere Kreativitätsnote (7,5), was auf eine mittlere bis hohe Kreativität hindeutet, im Vergleich zu 5,45 für die erste Lösung. Die zweiten Lösungen schnitten auch beim Nutzen besser ab, also bei der Wahrscheinlichkeit, dass sie in der realen Welt erfolgreich sein würden.

“Wir befinden uns in einem Moment in unserer Gesellschaft, in dem unsere Kinder Hilfe brauchen. Wir haben festgestellt, dass Kinder vor diesem Training dazu neigten, bei Problemen einfach aufzugeben. Das kann dazu führen, dass sie wütend werden oder sich dafür schämen, dass sie ihre Probleme nicht lösen können, oder sie suchen nach Erwachsenen, die ihnen Lösungen anbieten.”

Ein narratives Training könne Kindern beibringen, dass es Wege gibt, Probleme im wirklichen Leben anzugehen, für die es keine einfachen Antworten gibt. Für Englischprofessor Fletcher eine durchaus hoffnungsvolle Botschaft. Durch Literatur und Theater, könnten Kinder sehr gut in ihrer Kreativität geschult werden. Anstatt die Schüler nur aufzufordern, Kunstwerke zu analysieren, können Lehrerinnen und Lehrer Schülerinnen und Schüler etwa dazu bringen, sich in verschiedene Charaktere hineinzuversetzen, neue Perspektiven zu erkunden und sich mit dem Warum und Was-wäre-wenn auseinanderzusetzen.

Allerdings weist Angus Fletcher auch auf eine Herausforderung hin, denn, so der Forscher: “Die Fähigkeit, diese Art des Denkens anzuwenden, kann nicht durch standardisierte Tests bewertet werden. Sie ist aber dennoch sehr wichtig und kann Kindern helfen, ihre Kreativität zu nutzen und auszubauen, um Herausforderungen in der realen Welt zu lösen.” (zab, pm)

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Lisa
2 Jahre zuvor

Finde es sehr schade, dass auf Kreatives Schreiben in den Lehrplänen hierzulande keinen Wert gelegt wird.

Nachdenker
2 Jahre zuvor
Antwortet  Lisa

So stimmt das dann doch nicht. In den Deutsch-Lehrplänen vieler Bundesländer hat das kreative Schreiben einen festen Platz. In Abiturprüfungen (Hamburg, Deutsch und Englisch) gibt es inzwischen die Möglichkeit, eine Aufgabe zu wählen, die einen kreativen Anteil hat (vergangene Prüfungen im Internet abrufbar). Erlebniserzählungen sind immer geschrieben worden. In den Deutschbüchern gibt es viele kreative Aufgaben (Erzählungsfortsetzungen, Leerstellen auserzählen etc.). Darüber hinaus setzen viele Kollegen kreative Aufgaben etwa zum Einstieg in literarische Unterreichtssequenzen ein. Der Deutsch- und anderer Sprachunterricht kann natürlich keine reine Schreibschule sein, aber mir scheint, dass die massive “Verkopfung” der Siebziger- und Achtzigerjahre längst überwunden ist.

Caro
2 Jahre zuvor

Ein allererster Schritt könnte sein, den Kindern nicht von vornherein alle Probleme aus dem Weg zu räumen und sie sich einmal anstrengen lassen.
Dazu gehört halt nun mal auch, dass man sich ärgert, nochmal beginnen oder ganz neu denken muss – und dass vielleicht auch ein paar Tränen fließen.
Und dass man das alles aushalten kann.
Kinder und Eltern.

Rainer Zufall
2 Jahre zuvor

Bemerkenswert! Ich arbeite an einer Förderschule, da kommen wir oft in Bedrängnis, den Kindern einen festen Rahmen zu geben oder sich kreativ auszuprobieren.
Diese Studie spricht für letzteres..
(Hätte so gerne ein Theaterangebot für unsere Schule…)