BERLIN. Der Philologenverband hat angesichts des Lehrkräftemangels davor gewarnt, das sogenannte Deputatsmodell zur Bemessung der Lehrerarbeitszeit abzuschaffen. Es sei eine „Illusion“, dass allein durch ein neues Arbeitszeitmodell „die Arbeitszeit der Lehrkräfte reduziert und gerechter verteilt würde“, so heißt es in einer Pressemitteilung – deshalb seien auch Hoffnungen unbegründet, dass durch eine Neuordnung Lehrkräfte in Teilzeit dazu gebracht werden könnten, ihre Arbeitszeit aufzustocken. Ein Gutachten im Auftrag der Telekom Stiftung hatte aber unlängst tatsächlich das Deputatsmodell als „aus der Zeit gefallen“ kritisiert.
Viele Lehrkräfte in Teilzeit könnten sich laut Bildungsbarometer, einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Umfrage der Robert Bosch Stiftung, vorstellen, ihre Arbeitszeit angesichts des grassierenden Lehrermangels aufzustocken (News4teachers berichtete). Allerdings knüpfen sie diese Bereitschaft an Bedingungen. Höchste Hürde den Studienautorinnen und -autoren zufolge: das sogenannte Deputatsmodell, das nur abzuhaltende Unterrichtsstunden erfasst. Es müsste aus Sicht von 73 Prozent der Befragten zu einem Arbeitszeitmodell umgewandelt werden, in dem auch Aufgaben und Arbeiten außerhalb des Unterrichts wie Teamzeiten, Fortbildungen und Elternarbeit enthalten wären.
Der Deutsche Philologenverband (DPhV) meint nun, durch diese Schlussfolgerung aus dem Schulbarometer werde insinuiert, dass durch ein neues Arbeitszeitmodell die Arbeitszeit der Lehrkräfte reduziert und gerechter verteilt würde – eine „Illusion“, so erklärt der DphV. Das Beispiel Hamburg, das als einziges Bundesland das Deputatsmodell bislang abgelöst hat, weist dem Verband zufolge (mit Bremen) die höchste Teilzeitquote an Lehrkräften auf. „Inzwischen arbeiten dort angesichts der hohen Belastungen über der Hälfte der Lehrkräfte in Teilzeit“, so kritisieren die Philologen.
„In Zeiten des Lehrkräftemangels gehen wir davon aus, dass die Umsetzung eines Arbeitszeitmodells deshalb eher weniger zu einer gerechten Verteilung und Entlastung führen wird“
Ihnen zufolge liegen die Probleme woanders. Die größten Herausforderungen aus Sicht der im Schulbarometer befragten Lehrkräfte seien, darauf weist der Verband hin, das Verhalten der Schülerinnen und Schüler inbesondere nach Corona (34 Prozent), die eigene Arbeitsbelastung (31 Prozent), der Lehrkräftemangel (21 Prozent), die Bildungspolitik und Bürokratie (18 Prozent) sowie die Eltern der Schülerinnen und Schüler (17 Prozent).
In der Umfrage gab zwar ein großer Anteil der befragten Lehrkräfte in Teilzeit auf eine diesbezügliche Frage an, sich eine Aufstockung vorstellen zu können, wenn das Deputatsmodell zugunsten eines Arbeitszeitmodells geändert würde, in welchem nicht-unterrichtsbezogene Tätigkeiten des Lehrberufs neu erfasst und konkret zeitlich definiert würden. Philologen-Bundesvorsitzende Prof. Susanne Lin-Klitzing betont aber: „Die Fragestellung unterstellt positiv, dass die Verrechnung der vielen Tätigkeiten neben dem Unterricht die Politik automatisch dazu führt, die erfassten unterrichtsbezogenen und nicht-unterrichtsbezogenen Tätigkeiten adäquat in einem Arbeitszeitmodell so zu verrechnen, dass daraus endlich ersehnte Entlastungen resultieren und man deshalb die Teilzeittätigkeit auch wieder aufstocken könne.“
Und das sei unrealistisch. Die mit dem Hamburger Arbeitszeitmodell bereits gesammelten Erfahrungen der Lehrkräfte deuteten eher auf das Gegenteil hin. Lin-Klitzing: „Trotz oder gerade wegen des umgesetzten Arbeitszeitmodells für Lehrkräfte anstelle des Deputatsmodells finden wir in Hamburg nicht den höchsten Anteil an Vollzeitbeschäftigten, sondern an Teilzeitbeschäftigten. Wir nehmen an, dass die Verrechnungsfaktoren für alle Lehrertätigkeiten in einem Arbeitszeitmodell politisch und nicht an der Wissenschaft orientiert gesetzt werden. In Zeiten des Lehrkräftemangels gehen wir weiterhin davon aus, dass die Umsetzung eines Arbeitszeitmodells deshalb eher weniger zu einer gerechten Verteilung und Entlastung führen wird. Wahrscheinlicher ist es, dass Verrechnungsfaktoren gesetzt werden, die gerade in Mangelzeiten eine höhere Unterrichtsversorgung für die Schülerinnen und Schüler erbringen sollen.“
Für die Steigerung der Attraktivität des Lehrkräfteberufs fordert der Deutsche Philologenverband deshalb unter anderem eine Verringerung der Verwaltungs- und außerunterrichtlichen Aufgaben für Lehrkräfte, die Verbesserung organisatorischer Rahmenbedingungen sowie die Gewährung und tatsächliche Umsetzung von Beförderungen. Weitere Forderungen, zum Beispiel zum Gesundheitsschutz von Lehrkräften, ergäben sich aus der vom Philologenverband in Auftrag gegebenen LaiW-Studie (Lehrerarbeit im Wandel, 2020) zu Arbeitsbelastung, Zufriedenheit und Gesundheit von Lehrkräften an Gymnasien. Darin waren unter anderem fehlende Ruhezonen, ein hohes Arbeitspensum und viel Lärm beklagt worden.
„Im Ergebnis arbeiten die Lehrkräfte in Hamburg deutlich länger als in anderen Bundesländern“
Das Deputatsmodell sei ungerecht, unflexibel, ineffizient und tendenziell überlastend. Zu diesem Schluss ist unlängst der Strategieberater und frühere Berliner Staatssekretär für Bildung Mark Rackles in einer Expertise gekommen, die er im Auftrag der Deutsche Telekom Stiftung erarbeitet hat (News4teachers berichtete). Der Studie zufolge arbeitet eine Lehrkraft derzeit durchschnittlich 50 Wochenstunden. Nur gut ein Drittel davon entfällt auf die Kernaufgabe, das Unterrichten. Neben zentralen Tätigkeiten wie Vor- und Nachbereitung, Fortbildung und Beratung, beansprucht eine Vielzahl nicht-pädagogischer Tätigkeiten wie Aufsichten und Verwaltungsaufgaben die restliche Zeit.
Im deutschen sogenannten Deputatsmodell werden allerdings nur die Unterrichtsstunden festgelegt. Alle übrigen kommen hinzu, werden aber nicht systematisch als Arbeitszeit erfasst. Zeitgemäßer wäre nach Auffassung von Rackles eine Jahresarbeitszeit, in der alle anfallenden Tätigkeiten mit Vorgaben für Zeitanteile versehen werden – auch die Aufgaben, die über den reinen Unterricht hinausgehen. In seiner Studie kritisiert er allerdings auch das Hamburger Arbeitszeitmodell. „Im Ergebnis arbeiten die Lehrkräfte in Hamburg deutlich länger als in anderen Bundesländern“, so heißt es darin. News4teachers
