Vorbild Österreich? Über die Hälfte der Master-Studierenden unterrichten bereits (aber…)

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WIEN. Eine frühe Beschäftigung von Lehramtsstudierenden an Schulen bringt Praxiserfahrung und soll helfen, dem Lehrermangel entgegenzuwirken. Doch das ist mit Nacheilen erkauft, zeigt eine Studie der Universität Wien.

Lehramtsstudierende in Österreich bekommen sehr viel Praxis – zu viel? (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Grundsätzlich ähnelt sich die Lehrerausbildung in Deutschland und Österreich stark. Nach der universitären Ausbildung absolvieren werdende österreichische Kolleginnen und Kollegen in der Regel eine einjährige Induktionsphase, in der sie durch erfahrene Kolleginnen und Kollegen mentoriert werden. Alle Lehramtsabsolventen können bereits nach ihrem vierjährigen Bachelor zum regulären Gehalt an Schulen unterrichten. Überdies können bei Engpässen Vertragslehrer beschäftigt werden, die den Nachweis der vorgeschriebenen Einreihungsvoraussetzungen nicht erbringen, was weitere Studierende in die Schulen bringt. Aktuell arbeiten 58% der Studierenden im Master und 25% der Studierenden im Bachelor bereits an Schulen, ergab jetzt eine aktuelle Studie der Universität Wien, an der 1.635 Lehramtsstudierende in ganz Österreich teilnahmen.

Der frühe Einstieg von Studierenden in den Lehrberuf habe mehrfach negative Auswirkungen, stellt Studienleiterin Nele Kampa fest, Professorin für Schulpädagogik an der Universität Wien. Die Ausbildung leide durch die Berufsbelastung, die Prüfungsaktivität sinke und die Professionalisierung der zukünftigen Lehrkräfte nehme Schaden.

“Wie problematisch die Lage ist, zeigen bereits die ersten Überblickszahlen der Studie”, so Kampa. Die Studierenden und somit noch nicht adäquat ausgebildete Personen unterrichten im Mittel 16 Unterrichtsstunden vornehmlich in Mittel- und Volksschulen. Mit Vor- und Nachbereitungsaufgaben ergäben sich daraus durchschnittlich 33 Stunden Arbeitszeit für die Lehrtätigkeit an der Schule pro Woche. Zum Teil hätten sie dabei mehr als drei verschiedene Fächer zu unterrichten: In einigen Fächern unterrichteten weit über die Hälfte der Studierenden Unterrichtsgegenstände, die sie nicht studiert haben, wie etwa in Bewegung und Sport, Deutsch als Zweitsprache, Technisches Werken, Informatik oder Kunsterziehung. Knapp 30% der Früheinsteigerinnen und -einsteiger arbeiteten außerdem in der Funktion als Klassenlehrerin oder Klassenlehrer.

“Lehramtsstudierende, die früh an Schulen angestellt werden, befinden sich in einer in vieler Hinsicht herausfordernden und belastenden Lage”

Die im Frühjahr durchgeführte Studie habe deutlich gezeigt, wie die Ausbildung der selbst noch im Studium stehenden Lehrerinnen und Lehrer unter diesen Bedingungen leidet: Im Vergleich zu Studierenden ohne Nebenbeschäftigung verlängere sich das Studium im Schnitt um 2,5 Semester. Studierende mit anderen Nebenberufen benötigten im Schnitt nur 1,5 Semester länger für den Studienabschluss. Überdies sinke die Prüfungsaktivität der unterrichtenden Studierenden: Die an den Schulen beschäftigten Lehramtsstudierenden legten im Vergleich zu anderen Studierenden nur etwa die Hälfte der Prüfungen ab. Des Weiteren ließ sich eine Halbierung der Selbstlernzeit beobachten.

Die zusätzliche Belastung beeinflusste nicht nur den Studienfortschritt negativ, sondern auch die Freude am Studium. Im Vergleich zu Studierenden ohne oder mit anderer Nebentätigkeit berichten die Früheinsteigerinnen und -einsteiger überwiegend über weniger Freude. Eine weitere Beobachtung aus der Befragung: Früheinsteigerinnen und -einsteiger fühlen sich zwar eher auf herausfordernde Situationen in der Schule vorbereitet, haben aber gleichzeitig überhöhte Vorstellungen von ihren bereits erworbenen Kompetenzen.

Langfristig könne die Situation den Lehrermangel noch verschlimmern, wenn etwa junge Menschen sich aufgrund der Belastung in der Ausbildungszeit gegen den Beruf entschieden. Laut Nele Kampa bilde dagegen besonders die Praxis an den Schulen eine Stellschraube. “Lehramtsstudierende, die früh an Schulen angestellt werden, befinden sich in einer in vieler Hinsicht herausfordernden und belastenden Lage. Viele dieser Belastungen könnten möglicherweise durch klare Regelungen zum Einsatz in den Schulen verbessert werden, etwa durch eine Begrenzung der zu unterrichtenden Stunden oder Einschränkung von Zusatzaufgaben”, appelliert Kampa.

Dem Appell schließen sich Kampas Kollegen Manfred Prenzel und Martin Rothgangel an: “Auch bei einem akuten Mangel an Lehrkräften darf die Qualität des Unterrichts nicht vernachlässigt werden. Der Früheinstieg in den Lehrberuf verzögert nicht nur den Studienabschluss, sondern gefährdet die Entwicklung wichtiger berufsrelevanter Kompetenzen. Vor allem führt die Situation zu sehr großen persönlichen Belastungen, die Anlass geben können, Studium und Beruf aufzugeben.” (zab, pm)

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Mika
1 Jahr zuvor

Was mir hier vor allem auffällt: über alle Schulformen und teilnehmenden Studierende hinweg gemittelt wird festgestellt, dass 16 Schulstunden einer Arbeitszeit von 33 Stunden entsprechen. Und jetzt rechne man das mal hoch auf die Pflichtstundenzahl einer Vollzeitlehrkraft….

Hans Malz
1 Jahr zuvor
Antwortet  Mika

Ich komme da auf gerundetet 56 Stunden in der Woche. Und wer jetzt argumentiert, dass die Studenten ja noch andere Dinge zu tun haben, dem kann ich mal meine zusätzliche Aufgaben aufzählen. Sehr interessant.

Hans Malz
1 Jahr zuvor

“Früheinsteiger fühlen sich zwar eher auf herausfordernde Situationen in der Schule vorbereitet, haben aber gleichzeitig überhöhte Vorstellungen von ihren bereits erworbenen Kompetenzen.”
So sieht das die Uni. Ich glaube eher, die haben eine realistischere Vorstellung von ihren Kompetenzen und nehmen den theoretischen Quatsch der Professoren nicht mehr unkrititsch hin. Der erste Teil des zitierten Satzes ist für mich übrigens viel wertvoller als die “Kompetenzen”.

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor
Antwortet  Hans Malz

“Die zusätzliche Belastung [= Arbeit im realen Schulalltag] beeinflusste nicht nur den Studienfortschritt negativ, sondern auch die Freude am Studium.”

Die Freude am theoretischen Studium wird also gemindert, wenn man früh in die Schulhausatmosphäre eindringt. Hoffentlich verglüht der Lehrkörper nicht frühzeitig durch die Reibungswärme, sonst wäre es aber auch sternschnuppe.

Zum Glück ist das in einem ganz anderen Land, weit weg von hier.

Torsten
1 Jahr zuvor
Antwortet  Hans Malz

Vollkommen richtig!

Fakten sind Hate
1 Jahr zuvor

Ich erinnere mich noch gut an mein Studium. Die Vorlesungen waren derart verteilt über den Tag, dass Arbeiten maximal in den Abendstunden möglich war. Selbst die zwei “Freistunden” zwischen den Seminaren hätten nicht ausgereicht, um zur Schule und wieder zurück zu kommen.
Aus heutiger sich würde ich noch gergänzen, dass eine Absprache zwischen Uni und Schule garnicht möglich ist. Das klappt ja noch nichtmals unter den einzelnen Fakultäten. Man ist heute teilweise froh, wenn man ein Seminar (insbesondere Erziehungswissenschaften) überhaupt gebucht bekommt.

Unfassbar
1 Jahr zuvor
Antwortet  Fakten sind Hate

Augen auf bei der Fächerwahl. In MINT sind niedrige zweistellige Hörerzahlen in Mastervorlesungen möglich.

Fakten sind Hate
1 Jahr zuvor
Antwortet  Unfassbar

Physik 1 um 2008 herum an der TU Dortmund. Etwa 60 Anfänger.

2012 herum mussten bereits eine zweite parallele Vorlesung eingeführt werden

Mathematik Analysis 1 sah ähnlich aus.

Nur bringt das alles nichts, wenn man heute(!) an der TU Dortmund kein Seminar in den Bilsungswissenschaften bekommt. Das Studium verzögert sich.

MB aus NRW
1 Jahr zuvor
Antwortet  Fakten sind Hate

Analysis 1 (TU Dortmund, ich meine 2006 oder 2007 – kenne wir uns vielleicht?) war anfangs völlig überfüllt, nach 3,4 Wochen war mindestens 1/3 schon nicht mehr da, Ana2 und Ana3 dann mit weit weniger als der Hälfte von Ana1 (Bestehensquote Klausur samt Nachklausur ca. 20-25% meine ich)…so geht es auch

Für die Schule “gebracht” hat das so ungefähr…nichts…aber das ist der Uni doch egal…

MB aus NRW
1 Jahr zuvor
Antwortet  Fakten sind Hate

Master war aber schon entspannt. In Mathe war genug “gesiebt”, das war plötzlich alles locker machbar, in meinem zweiten Fach nur ein paar lockere Seminare, Erziehungswissenschaften wie im gesamten Stzdium ein einziger Witz. Man musste halt “reinkommen”, aber da irgendwas morgens um 8 und der Platz war sicher…

Ich war noch HiWi, im Fachschaftsrat und habe noch nebenbei gearbeitet, trotzdem noch Zeit für Sport gehabt…und freie Abende mit der Freundin…man war das eine entspannte Zeit…so im Vegleich zu jetzt…

Mara
1 Jahr zuvor

Nun müsste man noch kritsch berichten, warum die Studierenden so viel nebenbei arbeiten. Das tun sie größtenteils doch nicht aus Spaß. Ich denke, finanzielle Notlagen sind es. Und darüber könnte man sich erst recht aufregen.
In Deutschland ist diese Situation übrigens auch nicht unbekannt.

Fakten sind Hate
1 Jahr zuvor
Antwortet  Mara

In Dortmund kostete ein Studentenzimmer (etwa. 15qm) ca. 90 Euro. Dieses Zimmer geht heute für 350Euro weg.

MB aus NRW
1 Jahr zuvor
Antwortet  Fakten sind Hate

Ja, das ist krass…kann ich bestätigen!

Hornveilchen
1 Jahr zuvor

Das kann ja nur eine Notlösung sein, denn das sind ja alles unqualifizierte “Unterrichtet”. Was unterscheidet sie von Seiteneinsteiger ohne Ausbildung?

André
1 Jahr zuvor

Auf welche Studie wird denn hier Bezug genommen? Kann die Quelle ggf. verlinkt werden?