Schüler in Deutschland wünschen sich mehr politische Bildung: „So notwendig wie lange nicht mehr“

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BERLIN. Die Schülerinnen und Schüler in Deutschland haben genug: Sie fordern mehr Einfluss auf die eigene Bildung und „eine echte Bildungswende“. „Wir stecken tief in einer Bildungskrise, aktuell läuft einiges massiv schief und in den zentralen Bereichen einer modernen Bildungspolitik hängt Deutschland dramatisch hinterher“, heißt es im Forderungspapier, dass rund 300 Lernende im Zuge eines Kongresses in Berlin nun ausgearbeitet haben. Darin wird deutlich: Aus Sicht der jungen Menschen gibt es viel Verbesserungsbedarf, von der Finanzierung, über die Ausstattung der Schulen mit Ressourcen bis zum Unterricht selbst. Nicht nur wünschen sie sich moderne Unterrichtsformen, auch mehr politische Bildung. Die kommt anscheinend derzeit in deutschen Klassenzimmern zu kurz.

Die Schülerinnen und Schüler in Deutschland wünschen sich mehr politische Bildung – in Theorie und Praxis. Foto: Shutterstock/LStockStudio

Auf Einladung der Bundesschülerkonferenz kamen vom 20. bis 22. Oktober 2023 rund 300 Lernende aus ganz Deutschland zum Bildungskongress 2023 nach Berlin. Drei Tage lang vernetzten sie sich und tauschten sich in Workshops, Debatten und Diskussionen über ihre Vision von Schule aus. Mit dabei waren Politiker, Bildungsverbände und Jugendorganisationen, um ihre Perspektiven einzubringen. Das Ergebnis der tagelangen Diskussionen: ein überparteiliches Forderungspapier, das sich an Bund und Länder, Eltern und Lehrkräfte richtet. „Jahrzehntelang hat die Politik es verpennt, die Weichen in Richtung Zukunft zu stellen. Wir sind die Generation, die die Rechnung bezahlt. Es darf keine Ausreden mehr geben. Wir wollen eine echte Bildungswende. Jetzt. Und zwar gemeinsam“, sagt die Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz, Wiebke Maibaum.

„Steigender Rechtsextremismus ist an Schulen deutlich sichtbar“

Das Ergebnispapier umfasst sieben Forderungen: Die Schülerinnen und Schüler wollen eine effektivere Digitalisierung, pragmatische Lösungen gegen den Lehrkräftemangel, modernen Unterricht, eine starke Berufsbildung, vollumfängliche Inklusion und Chancengerechtigkeit, weniger Lernstress sowie Finanzierungsreformen, um „allen Lernenden gute Bildung zu ermöglichen“ (eine Übersicht bietet der Infokasten am Ende des Beitrags). Dabei findet sich eine Forderung in unterschiedlicher Form mehrfach im Dokument: der Wunsch nach politischer Bildung. „Die politische Aufklärungsarbeit ist momentan so notwendig wie lange nicht mehr. Steigender Rechtsextremismus ist an Schulen deutlich sichtbar“, zitiert die Tagesschau Nedjmije Bajrami, Innenkoordinatorin der Bundesschülerkonferenz. Dem zunehmenden Antisemitismus an Schulen müsse ebenfalls mit Aufklärungsarbeit begegnet werden.

Politik soll daher ab der Sekundarstufe I zum Pflichtfach werden und sich inhaltlich nicht nur mit politischen Theorien auseinandersetzen, sondern „sich auch mit aktuellen Ereignissen in gerechter Art und Weise“ befassen. Die Lernenden wünschen sich zudem die Chance, Partizipation und Demokratie praktisch zu erfahren – in der Schule sowie außerhalb. „Deshalb soll es eine flächendeckende Einführung eines drittelparitätisch besetzten Schulparlamentes oder einer Schulkonferenz geben.“ Vermutlich mit Blick auf die Fridays for Future-Demos, die immer wieder für Kritik sorgen, weil sie während der Schulzeit stattfinden, fordern die Jugendlichen darüber hinaus, dass die Teilnahme an Demonstrationen zu bildungspolitischen Themen möglich sein muss, inner- und außerhalb der Schulzeit. Schülerinnen sollten in diesen Fällen keine negativen Konsequenzen von Seiten der für Bildung und Schule zuständigen Behörden und Institutionen fürchten müssen.

Forderung nach mehr Bundesmitteln zur Demokratieförderung

Verbesserungsbedarf sehen die Jugendlichen auch bei den Bildungsfinanzen. Eine Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen in Bildungsfragen sei unabdingbar. Spezifisch wünschen sie sich unter anderem mehr Bundesmittel für demokratiefördernde Projekte in Schulen sowie „zur Förderung und Unterhaltung von Gedenkstätten […], damit diese mehr Ressourcen in Bildungsarbeit investieren können“. Bildung sei ein grundlegender Pfeiler einer starken demokratischen Gesellschaft, sie dürfe nicht an der Ressourcenfrage scheitern. „Daher ist eine Investition in Bildung zwangsläufig eine Investition in einen starken demokratischen Staat.“ News4teachers (ach)

Die Forderungen der Bundesschülerkonferenz im Überblick
  1. Effektive Digitalisierung: Der Ausbau der digitalen Infrastruktur an Schulen muss drastisch beschleunigt werden. Mehr Tempo geht nur mit weniger Bürokratie. Vor allem regionale Ungleichheiten und Standortunterschiede müssen behoben werden. Zeitgleich muss digitale Kompetenz gleichwohl von Lehrkräften, Lernenden, aber auch Eltern erlernt werden.
  2. Konsequent gegen Lehrkräftemangel: Guter Unterricht braucht ausreichend Lehrkräfte. Die Bundesländer sollten nicht um Personal konkurrieren, sondern gemeinsam an einer pragmatischen Lösung arbeiten: Neben Übergangslösungen muss dazu der Beruf attraktiver gestaltet, das Lehramtsstudium reformiert und die Entlastung von Verwaltungsaufgaben umgesetzt werden.
  3. Unterricht grundlegend neu denken: Schulen brauchen die notwendige Freiheit, moderne Unterrichtsmethoden einzusetzen. Hier fordern wir vor allem weniger Frontalunterricht, andere Unterrichtszeiten und politische Bildung, die Demokratie stärkt und erlebbar macht.
  4. Schule für alle – Inklusion und Chancengerechtigkeit: Barrierefreie Zugänge, inklusiver Unterricht und Chancen unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund: Bildungspolitik muss unterschiedliche Voraussetzungen ausgleichen. Heute mehr denn je muss Bildung für jeden ermöglicht werden – klar ausgerichtet gegen jegliche Form der Diskriminierung und des politischen Extremismus.
  5. Lernen fürs echte Leben: Berufsbildung ist ein zentraler Bestandteil lebensvorbereitender Schule. Das gelingt insbesondere durch aktive Informationsveranstaltungen, hochqualitative Praktika und integrierte Berufsberatung. Dafür braucht es viel stärkere Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und Respekt vor allen Abschlüssen sowie Berufswegen.
  6. Stärkerer Fokus auf mentale Gesundheit: Durch Pandemie und weitere Krisen sind Lernende hoher psychischer Belastung ausgesetzt. Schule darf vor diesem Hintergrund kein weiterer Belastungsfaktor werden – sondern sollte bei der Bewältigung unterstützen. Die Schulpsychologie muss weiter institutionalisiert und mit neuen Stellen ausgestattet werden. Auch hier muss der Fachkräftemangel angegangen werden.
  7. Gemeinsam für die Zukunft der Bildung: Wir fordern Bund und Länder auf, Bildung als parteiübergreifende Gemeinschaftsaufgabe zu betrachten, neue Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln und ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, um allen Lernenden Deutschlands den Zugang zu bester Bildung zu ermöglichen. Die Politik muss das Versprechen vom Aufstieg durch Bildung verwirklichen und bundesweit gerechte Voraussetzungen schaffen.

Rechtsextremismus auf dem Vormarsch: Wie ist es um die Demokratie-Bildung an den Schulen bestellt?

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13 Kommentare
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Unfassbar
6 Monate zuvor

Wir formulieren es mal konkreter:
Es gibt einige Schüler, überwiegend großstädtisch, bürgerlich und gymnasial geprägt, die mehr richtige und gute politische Bildung fordern. Inwiefern die Bundesschülerkonferenz für alle Schüler aller Schulen und Schulformen sprechen, sei einmal dahingestellt. Über die Umsetzbarkeit macht sich die Konferenz keine Gedanken. Bezüglich andere Unterrichtszeiten hätte ich aber auch nichts gegen die Abschaffung des Ganztagsbetriebs. Gegen Lernstress hilft die richtige Wahl der Schulform und ein Vergleich der heutigen Anforderungen mit denen der Eltern oder noch besser Großeltern.

Rainer Zufall
6 Monate zuvor
Antwortet  Unfassbar

Voll die Träumer!
Wissen die denn nicht, das sich Arbeits- bzw. Fachkräftemangel und Pflege- bzw. Rentenkatastrophe einfach aussitzen lassen?

Diese Traumtänzer sollten endlich mal in der Realität ankommen und sich an der konkreten, zukunftsgerichteten Politik von heutzutage ein Vorbild nehmen!

Dil Uhlenspiegel
6 Monate zuvor

„Keine Erhöhung der Klassenstärken
Eine Erhöhung der Maximalgröße in Klassen ist eine Maßnahme, die viele negative Folgen mit sich zieht. Gerade aus pädagogischer Sicht ist diese Maßnahme nicht vertretbar, da viele Lernende individuelle Betreuung brauchen. Zudem würden Lehrkräfte weiter belastet und der Leistungsdruck auf Lernende vergrößert werden.“ [https://bundesschuelerkonferenz.com/wp-content/uploads/2023/10/GemeinsamFuerZukunftBildung_FORDERUNGSPAPIER_-BUNDESSCHUeLERKONFERENZ_BILDUNGSKONGRESS2023.pdf – Seite 6]

Sieh mal an, SuS vs. die Hattie-Studie … interessant.

Rainer Zufall
6 Monate zuvor

Lobenswert, aber keine Hektik!
Spätestens nach dem Studium ist die Bildungspolitik erst mal egal. Dann geht es um Zukunftsthemen wie Genderverbote, Ignorieren der Klima-/ Bildungs-/ Rentenkatastrophen, stumpfen Populismus gegen Migration und den Kampf gegen (nicht weißen) Antisemitismus.

Es stehen goldene Zeiten bevor…

KARIN
6 Monate zuvor

Meine früheren Schüler aus der Berufsschule, wünschten sich das bestimmt nicht!
Eher mehr Sportunterricht, würde ich meinen!

Andrea1968
6 Monate zuvor
Antwortet  KARIN

Bzw überhaupt Sportunterricht. Und wer mehr vom realen Leben lernen möchte, kann sich als Lernender gerne an einer Vollzeitschule einer beruflicher Schule z.B. Wirtschaftsgymnasium oder kaufmännisches Berufskolleg (Baden-Wü.) anmelden.

Herr Becker
6 Monate zuvor

Sucht jemand Argumente dafür, Minderjährige nicht wählen zu lassen? Der Text oben liefert genug davon.

Dejott
6 Monate zuvor
Antwortet  Herr Becker

In dieser Hinsicht sollten auch viele Erwachsene nicht wählen dürfen.

Unfassbar
6 Monate zuvor
Antwortet  Dejott

Wenn das Jugendstrafrecht bis weit nach dem Erstwahlrecht angewandt werden kann, ist die Aussage von Herrn Becker nicht ganz verkehrt.

Every....
6 Monate zuvor
Antwortet  Herr Becker

Dummes Zeug!

Rüdiger Vehrenkamp
6 Monate zuvor

Was ich von meinen Kindern so mitbekomme, herrscht ordentlich Diskussionsbedarf in Sachen Nahostkonflikt, Ampelregierung und Weltgeschehen. Nur fehlt in der Schule die Zeit dazu. Wie soll es machbar sein, mit einer Stunde Gemeinschaftskunde pro Woche (Klasse 10, Realschule BW)? In Religion und Ethik werden manche der Themen noch angerissen, doch in erster Linie ziehen die Lehrkräfte „ihren Schuh“ bzw. den Schuh des Bildungsplans durch.

Die derzeitige Stundenregelungen für Fächer wie Gemeinschaftskunde und Geschichte gehen am Bedarf meilenweit vorbei. Das empfinden meine Kinder so, das empfinde ich als Elternteil so.

Konfutse
6 Monate zuvor

Und ich als Lehrerin empfinde es ebenso.

Lisa
6 Monate zuvor

Wenn ich Lernende lese, bin ich offen gesagt, schon raus bzw kann die Richtung der Schüler schon einschätzen.
Meine Schüler hätten lieber mehr Frontalunterricht statt weniger. Die einen, weil sie chillen wollen. Die anderen, weil es für sie die “ Unterrichtsform ist, bei der man was lernt“ , das meinen auch deren Eltern.