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Werden künftig schon Drittklässler den späteren Schulformen zugeordnet? GEW: “Völlig falsches Zeichen”

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MAGDEBURG. In Sachsen-Anhalt gilt, was in den meisten anderen Bundesländern auch gilt: dass nämlich Eltern dem Votum der Lehrer beim Wechsel ihrer Kinder von der Grundschule auf eine weiterführende Schule nicht folgen müssen. Das Verfahren soll nun modifiziert werden – auf Drängen der CDU von Ministerpräsident Reiner Haseloff. Die GEW spricht von einem „politischen Kuhhandel, bei dem es nur Verlierer gibt“.

Lässt sich schon bei Neunjährigen treffsicher vorhersagen, auf welche weiterführende Schule sie gehören? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Bei einer Klausurtagung im Frühjahr hatte die CDU-Fraktion des Landtags von Sachsen-Anhalt beschlossen, sich für eine verbindliche Schullaufbahn-Empfehlung einsetzen zu wollen, wie Fraktionsvorsitzender Guido Heuer seinerzeit erklärte. Das Projekt stehe zwar nicht im Koalitionsvertrag von CDU, SPD und FDP, sei aber eine „Herzensangelegenheit“, so Heuer. „Wir wollen das Niveau der Sekundarstufe deutlich stärken.“ Das Handwerk suche dringend Nachwuchs. Am häufigsten würden handwerkliche Berufe von Jugendlichen ergriffen, die nach der 10. Klasse von der Schule abgingen, begründete der Fraktionschef den Vorstoß.

Das Ergebnis der daraufhin folgenden Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP sieht nun so aus: Eine verbindliche Empfehlung soll es zwar auch künftig nicht geben, in der dritten Klasse soll mit den Eltern aber eine verpflichtende „Lernberatung“ stattfinden. Die angepasste Empfehlung soll dann im ersten Halbjahr in der vierten Klasse auf den schulischen Leistungen in Deutsch, Mathe und Sachunterricht beruhen. Dort soll der Notendurchschnitt nicht über 2,33 liegen. „Dabei ist die Note Vier in einem der genannten Fächer ein Ausschlusskriterium“, heißt es im Beschluss der Koalition.

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„Das immer frühere Sortieren der Schülerinnen und Schüler für weiterführende Schulen ist international gesehen eine echte Besonderheit“

Kinder, die keine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen, können dort an einem dreitägigen Probeunterricht und einem einheitlichen Leistungstest in den Kernfächern teilnehmen. Ziel sei es, Eltern und Kindern mit dem Verfahren zu helfen – und die Sekundarschulen zu stärken, sagte CDU-Landeschef Sven Schulze. Die Sekundarschule ist die Schulform in Sachsen-Anhalt, die nach der Jahrgangsstufe 10 endet und auf den Erwerb von Hauptschul- oder Realschulabschluss ausgerichtet ist.

Das von der CDU-Politikerin Eva Feußner geführte Bildungsministerium plant auf dieser Grundlage, so berichtet nun die GEW, den Übergang von der Grundschule zu den weiterführenden Schulen neu zu regeln. Danach soll es im 2. Halbjahr von Klasse 3 eine thematische Elternversammlung geben, auf der die Wege nach Klasse 4 besprochen werden. Zusätzlich finden zu diesem Zeitpunkt Lernentwicklungsgespräche statt, in dem die Eltern individuell im Hinblick auf die weitere Schullaufbahn beraten werden. Auf Wunsch der Eltern soll die Schule hier bereits eine umfassende Einschätzung der Leistungen der Kinder geben.

Ab dem kommenden Schuljahr sollen dann Viertklässler, die keine gymnasiale Empfehlung erhalten, noch vor dem Erstellen der Schullaufbahnempfehlung an einem schriftlichen Test in Deutsch und Mathematik teilnehmen. Zusätzlich findet ein mündliches Eignungsgespräch an einem regionalen Gymnasium statt. Die Erziehungsberechtigten werden über das Ergebnis informiert – und treffen dann letztlich die Entscheidung über die Schullaufbahn. Offensichtlich war es die SPD, die durchgesetzt hat, auch weiterhin den Elternwillen als letzte Instanz gelten zu lassen.

Die GEW spricht nun von einem „politischen Kuhhandel, bei dem es nur Verlierer gibt“. Es handele sich allein um eine politische Entscheidung, die alle pädagogischen Erkenntnisse über die Entwicklung von Kindern außen vorlasse. „Das immer frühere Sortieren der Schülerinnen und Schüler für weiterführende Schulen ist ein völlig falsches Zeichen und international gesehen eine echte Besonderheit. Die Schüler*innen sollen jetzt bereits in Klasse 3 den weiterführenden Schulformen zugeordnet und damit stigmatisiert werden. Denn nicht anders empfinden Kinder diese frühe Einteilung in ‚Gut‘ und ‚Schlecht’“, so schreibt die Bildungsgewerkschaft in einer Pressemitteilung.

Weiter heißt es: „Die Kinder liegen in ihrer Entwicklung zum Zeitpunkt der Einschulung rund eineinhalb Jahre auseinander und sollen jetzt offensichtlich in knapp drei Jahren so fit gemacht werden, dass Lehrkräfte eindeutig über die weitere Schullaufbahn urteilen können. Die neue Regelung trifft auf ein Schulsystem, in dem Unterrichtsausfall an der Tagesordnung ist, Klassen aufgeteilt oder zusammengelegt werden, Förderschullehrkräfte abgezogen wurden und multiprofessionelle Teams in vielen Fällen nur auf dem Papier existieren.“

„Aus unserer Sicht wächst damit auch der psychische Druck auf die Schüler*innen und ihre Eltern enorm, weil sie schon in Klasse 3 mit der Vorentscheidung konfrontiert werden“

Damit werde die Bildungsungerechtigkeit weiter verschärft. „Die Chance auf einen bildungs- und chancengerechten Start wird damit einmal mehr vertan. Aus unserer Sicht wächst damit auch der psychische Druck auf die Schüler*innen und ihre Eltern enorm, weil sie schon in Klasse 3 mit der Vorentscheidung konfrontiert werden, sich zwischen dem Gymnasium mit einer Unterrichtsversorgung von durchschnittlich immerhin 98 Prozent und einer Sekundarschule mit einer Versorgung von oft unter 90 Prozent entscheiden müssen. Chancengleichheit sieht anders aus.“ Für die Lehrkräfte an Grundschulen und zum Teil auch Gymnasien, die bereits jetzt über dem Limit arbeiten, bedeuteten diese Verfahren eine weitere Arbeitsverdichtung und in Zeiten des Lehrkräftemangels eine weitere Belastung.

Ingo Doßmann, Mitglied im Landesvorstand der GEW, merkt an, „dass Grundschullehrkräfte bereits jetzt verantwortungsvoll und kompetent Schüler*innen und Eltern zum Halbjahr Klasse 4 beraten. Eine darüber hinaus geplante Beratungstätigkeit sprengt den Rahmen des Notwendigen völlig.“ Eva Gerth, Landesvorsitzende der GEW, ergänzt: „Aus den Fehlern der Vergangenheit hat man im Bildungsministerium offenbar nichts gelernt. Die Schulform Sekundarschule wird nicht durch die Zwangszuführung von Schüler*innen attraktiv. Sie wird für viele Eltern dann zur echten Alternative, wenn sie endlich materiell und personell gut ausgestattet wird. Einmal mehr setzen die dafür Verantwortlichen ein völlig falsches Zeichen.“ News4teachers / mit Material der dpa

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