Startchancen-Programm: Welche Leistungen Schulen damit einkaufen können

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BERLIN. 20 Milliarden Euro extra für 4.000 Schulen im Land, um Bildungsdefizite auszugleichen – im Bundestag lobt die Ampel ihr Startchancen-Programm über den grünen Klee und bekommt Kritik von der Opposition. Das ist erwartbar. Spannender: Das Bundesbildungsministerium hat ein «Orientierungspapier» herausgegeben, das erklärt, wie Schulen das ihnen direkt bereitgestellte Geld verwenden können. 

Was darf’s denn sein? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Vor den Augen zahlreicher Schülerinnen und Schüler auf den Besucher-Tribünen hat der Bundestag am Donnerstag über das Startchancen-Programm der Ampel für Schulen in sozial schwierigen Lagen debattiert. SPD, Grüne und FDP hatten einen Antrag vorgelegt, in dem sie die eigene Regierung auffordern, das Programm zügig umzusetzen.

Das Förderprogramm ist zwischen Bund und Ländern bereits fest vereinbart und soll zum kommenden Schuljahr starten: Über zehn Jahre lang sollen etwa 4.000 Schulen im Land – das ist etwa jede zehnte – mit insgesamt 20 Milliarden Euro speziell gefördert werden. Bund und Länder tragen die Kosten gemeinsam. Das Geld ist für Baumaßnahmen, zusätzliches Personal wie Sozialarbeiter und auch zur freien Verwendung der Schulen gedacht. Welche Schulen profitieren werden, ist noch offen. Das ist Sache der Bundesländer.

Die Mittel zur freien Verfügung für die Schulen werden «Chancen-Budgets» genannt. In einem Orientierungspapier legt das Bundesbildungsministerium dar, wofür das Geld ausgegeben werden darf (siehe auch Kasten unten). Nämlich:

  • erstens, zur Stärkung von Basiskompetenzen, zur Förderung der sozio-emotionalen Kompetenzen und zur Persönlichkeitsbildung der Schülerinnen und Schüler. «Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in den Fächern Deutsch und Mathematik verfehlen, soll an den Startchancen-Schulen halbiert werden. Dazu bedienen sich Startchancen-Schulen geeigneter Programme und Maßnahmen zur Verbesserung, deren Wirksamkeit erwiesen ist. Sie setzen eine gezielte individuelle Diagnostik ein, die eine passgenaue und adaptive Förderung aller Schülerinnen und Schüler ermöglicht», so heißt es in dem Papier.
  • Zweitens: «Auf der Ebene der Schulen unterstützt das Programm vor allem die Professionalisierung aller Personengruppen, die an den Startchancen-Schulen pädagogisch tätig sind. Es geht um ihre Befähigung zu verbesserten Lehr- und Lernprozessen und zur persönlichkeitsförderlichen Begleitung der Schülerinnen und Schülern. Dazu arbeiten Startchancen-Schulen datenorientiert und in systematischen Entwicklungszyklen, die eine Evaluation wesentlicher Maßnahmen vorsehen. Die Chancenbudgets können hierbei auch für unterstützende Dienstleistungen bzw. Beratungs- und Unterstützungsangebote eingesetzt werden.»
  • Drittens: «Das Startchancen-Programm kann nur wirksam werden, wenn alle
    systemischen Akteure, also v.a. Schulträger, Schulaufsicht, Kommunen, Kernverwaltung
    der Ministerien, Landesinstitute und Qualitätsagenturen und Schulentwicklungsbegleitung, abgestimmt und in gemeinsamer Ausrichtung an der Zielerreichung arbeiten. Dementsprechend bedarf es auch solcher Maßnahmen, die der Stärkung, Professionalisierung und Synchronisierung des Verwaltungs-, Unterstützungs- und Beratungssystems dienen.»

Rednerinnen und Redner der Ampel-Parteien griffen in der Debatte zu Superlativen: Es handele sich um das größte Bildungsprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik. «Es ist Zeit, dass sich was dreht», sagte der Vorsitzendes Bundestagsbildungsausschusses, Kai Gehring (Grüne). Aus Brennpunktschulen würden Zukunftslabore entwickelt. Die FDP-Bildungspolitikerin Ria Schröder sprach von einer Kampfansage an den Bildungsnotstand. Man nehme von Bundesseite so viel Geld für Bildung in die Hand wie noch nie, sagte SPD-Fraktionsvize Sönke Rix.

«Wir fördern genau die Schulen, die unsere Hilfe am dringendsten benötigen: Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler»

Ähnlich äußerte sich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in einem Video: Beim Startchancen-Programm gehe es um «das größte und langfristigste Bildungsprogramm in der Geschichte unseres des Landes». Schulen würden zudem nicht nach dem Prinzip Gießkanne gefördert, sagte die FDP-Politikerin. «Wir fördern genau die Schulen, die unsere Hilfe am dringendsten benötigen: Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler.»

Die Opposition rief die Ampel dazu auf, in der Wortwahl etwas tiefer zu stapeln. «Sonst wecken sie nur Erwartungen, die sie nicht erfüllen können», sagte die stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Nadine Schön (CDU). Union und Linke kritisierten das Programm als zu spät und zu klein, da nur ein Zehntel der Schülerinnen und Schüler damit erreicht würde.

Die AfD befand, das Programm «triefe vor Ideologie» und wolle gleichmachen, was man nicht gleichmachen könne. Heißt also: Benachteiligten Schülerinnen und Schülern ist nach Ansicht der Partei, die der Bundesverfassungsschutz als «rechtsextremer Verdachtsfall» einstuft, ohnehin nicht zu helfen. News4teachers / mit Material der dpa

Einkaufsliste

Folgende konkrete Maßnahmen können laut «Orientierungspapier» des Bundesbildungsministeriums von den 4.000 Schulen des Startchancen-Programms eingekauft werden (unter anderem):

  • Angebote zur individuellen Förderung insbesondere im Bereich von Basiskompetenzen aus wissenschaftlich evaluierten Programmen wie BiSS-Transfer („Bildung in Sprache und Schrift“) und QuaMath („Unterricht und Fortbildungs-Qualität in Mathematik entwickeln“) sowie den entsprechenden Teilprojekten von LemaS („Leistung macht Schule“) und Inhaltsclustern von SchuMaS („Schule macht stark“),
  • Nutzung von Materialien und digitalen Tools zur Unterstützung der individuellen Diagnostik und Erhebung des individuellen Lernstandverlaufs (u.a. durch BiSS-Transfer empfohlene diagnostische Tools),
  • Nutzung von Materialien und digitalen Tools zur Unterstützung der adaptiven Förderung (z.B. Lese-Apps),
  • Tutoring-Programme (z.B. „Lesen mit dem Turbo-Team“),
  • Qualifizierung und Begleitung von ehrenamtlichen Patinnen und Paten zum Vorlesen (auch im Rahmen von Leseclubs) und zur Lernbegleitung,
  • Gesundheitsförderung (Ernährung, Bewegung, Suchtprävention, Medienkonsum),
  • soziale Kompetenztrainings, Trainings für gewaltfreie Kommunikation,
  • Maßnahmen zur potentialorientierten Talent- und Begabungsförderung, Identifikation von Talenten (zum Beispiel Arbeitsgemeinschaften, Wettbewerbe, Stipendien sowie bspw. evidenzbasierte Maßnahmen aus LemaS),
  • Nutzung von Angeboten der MINT-Bildung (z.B. Hackerschool, Junge Tüftler*innen),
  • Angebote und Projekte der Demokratiebildung,
  • Exkursionen/Fahrten/Besuche außerschulischer Lernorte,
  • Ferienangebote/Lernferien/Akademien,
  • Präventionsprogramme (z.B. apeiros zur Absentismusprävention),
  • Peer-Projekte für Lernbegleitung,
  • Umsetzung von Konzepten der Spracherziehung und -bildung, die die Vorteile von Mehrsprachigkeit nutzen und Nachteile ausgleichen.
  • Maßnahmen zur Berufsorientierung.

Hier geht es zum vollständigen «Orientierungspapier». 

Startchancen-Programm von Bund und Ländern läuft an – Kultusministerin: „Meilenstein“

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Dil Uhlenspiegel
19 Tage zuvor

Fensterkit, Wolldecken, warme Socken

Hans Malz
19 Tage zuvor

Ich lese da nur: Diagnostik, Fortbildung, Verwaltung.
Kann man jetzt auch zusätzliche Leute auf Honorarbasis anstellen? Mehr Man(oder auch Women oder wer weiß was)power?
Solche „Orientierungspapiere“ oder „Impulspapiere“ sind in der Regel heiße Luft, die von hochbezahlen Leuten produziert wird.

Alx
19 Tage zuvor

Ich finde das Paket immer noch extrem ungerecht.
20 Milliarden für gerade einmal 10 Prozent der Schulen.
Das entspricht dem Preis von 4 Digitalpakten!
Die restlichen 90% schauen wieder mal in die Röhre. Pech gehabt.

Bubble mit Tee
18 Tage zuvor
Antwortet  Redaktion

Der Vergleich hinkt etwas. Man müsste eher davon ausgehen, dass die unterste Einkommensschicht (die unteren 10%) gefördert werden und die anderen (untersten 20-30%) leer ausgehen. Denen geht es dennoch nicht gut und sie hätten Hilfen verdient.
Ich arbeite an einer Schule im sozialen Brennpunkt in Salzgitter und nur, weil wir uns als Schule von den anderen Schulen etwas abheben, heißt das nicht, dass wir in einer Topliga mitspielen…

Alx
18 Tage zuvor
Antwortet  Bubble mit Tee

Es ist überall was zu tun.
Auch die Leistungsträger entstehen nicht aus dem Vakuum heraus.

Lisa
18 Tage zuvor
Antwortet  Redaktion

Wenn das Bürgergeld ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre, würden alle was bekommen. Und man würde sehr viel Bürokratie einsparen. Ich fürchte hier auch, dass es an der Bürokratie hängen bleiben wird. Wir haben Kontakte zu Dänemark, die Dänen wundern sich immer wieder darüber, wie das Bemühen um soziale Gerechtigkeit in Deutschland alles verzögert und zum Teil verhindert.
Ich erinnere an die Tablets in Berlin. Die Bedürftigkeitspruefung der Schüler dauerte so lange, dass sie irgendwo lagerten und dort schlussendlich gestohlen wurden.
Anstatt: Jeder Schüler ein Tablet. Jeder Schüler Mittagessen etc.

Lisa
17 Tage zuvor
Antwortet  Redaktion

In Berlin liegen die schlechte Leistungen nicht an der Gebührenfreiheit, sondern an der Segregation, die durch die Wohnungsmarktpolitik ( oder viel mehr durch das Fehlen einer durchdachten solchen ) entstanden ist.

Butterblume
19 Tage zuvor

Toilettensanierung, Luftfilter, Verwaltungs-und Reinigungskräfte