Gratis-Essen in Schulen und gebührenfreie Kitas – aber hinten bei Leistungsvergleichen: SPD streitet über Bildungsausgaben

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BERLIN. Kein anderes Bundesland gibt laut Statistik mehr Geld für die Bildung pro Schülerin bzw. Schüler aus als Berlin – und kaum ein anderes Bundesland schneidet in Schülerleistungsvergleichen so schlecht ab wie die Bundeshauptstadt. Fließen die Mittel in die falschen Kanäle? Vor diesem Hintergrund bekommt die Frage, ob die Kitas gebührenfrei, das Schulessen gratis und die Verkehrsmittel für Schüler kostenlos bleiben sollen, besonderen Zündstoff. Darüber zerreißt sich gerade die örtliche SPD.

Wird in Berlin viel Geld verbrannt? Foto: Shutterstock

In Berlin ist vieles kostenlos oder staatlich subventioniert, was Bürger andernorts Geld kostet. Die Rede ist von Gratismentalität, die sich breit gemacht habe, und von einer «Umsonst-Stadt». Der amtierende SPD-Landesvorsitzende Raed Saleh verteidigt sein Eintreten für kostenfreie Bildung in Berlin gegen die anhaltende Kritik vehement. «Wir wollen die Menschen entlasten, Stichwort Gebührenfreiheit für Kitas, Schulessen, Schulbücher», sagt der SPD-Politiker. «Die Leute wollen, dass die Stadt bezahlbar bleibt, deswegen habe ich für Diskussionen darüber kein Verständnis.»

Saleh bewirbt sich gemeinsam mit der Bezirkspolitikerin Luise Lehmann erneut um den Parteivorsitz. Am Samstag beginnt eine Mitgliederbefragung dazu, wer künftig an der Spitze des Landesverbands stehen soll. Die Wahl ist für den 25. Mai vorgesehen. Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel – Lehrer für Mathematik und Politik von Beruf – und Ex-Staatssekretärin Nicola Böcker-Giannini treten ebenfalls an. Sie haben Salehs «Kostenlos-Konzept» bereits mehrfach scharf kritisiert, Hikel zuletzt am Mittwoch in der «Welt».

«Wir haben sämtliche Gebühren abgeschafft, die früher einmal einkommensabhängig erhoben wurden», sagt er. «Wir haben es aber nicht geschafft, im gleichen Atemzug das System so auszustatten, dass auch die Qualität stimmt und die Menschen ihre Kinder überall gerne in Schule und Kita schicken.»

Hintergrund: Berlin gab pro Schüler laut einer aktuellen Erhebung des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2022 rund 14.000 Euro aus – und liegt damit bundesweit an der Spitze. Die beiden anderen Stadtstadten kamen mit deutlich weniger aus: Hamburg mit 12.300 Euro und Bremen mit 9.900 Euro. In den Flächenländern reichten die Ausgaben zwischen 8.400 Euro in Mecklenburg-Vorpommern, 8.600 in Nordrhein-Westfalen und Sachsen und 10.400 Euro in Bayern.

Seit 2010 haben sich die Bildungsausgaben in Berlin pro Schüler verdoppelt. Andererseits liegt die Bundeshauptstadt seit Jahren bei sämtlichen Schülerleistungsvergleichen mit hinten – zuletzt bei der IQB-Studie. Zwei von fünf Neuntklässlern erreicht danach die Mindeststandards im Lesen nicht; lediglich in Bremen ist der Anteil höher (fast die Hälfte).

„Die Gebührenfreiheit schafft keine Chancengleichheit. Damit kann die Entkoppelung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg also nicht gelingen“

Gerade in sozialen Brennpunkten gebe es Kitas und Schulen, die von Bildungsbürgern gemieden werden, sagt nun Hikel. «Wer die Ressourcen hat, sorgt dafür, dass sein Kind in einem anderen Kiez zur Schule oder auf eine Privatschule geht. Die Gebührenfreiheit schafft keine Chancengleichheit. Damit kann die Entkoppelung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg also nicht gelingen.»

Und: «Ich bin sicher, dass viele besserverdienende Eltern bereit wären, einen Beitrag zu leisten, damit die Qualität in Schule und Kita steigt und Erzieherinnen wegen Überlastung nicht so häufig ausfallen. Davon würden alle Kinder profitieren. Ein solches Solidarprinzip ist aus meiner Sicht mehr als notwendig – und finanzpolitisch vernünftig.» Also zurück zu einkommensgestaffelten Gebühren? Hikel: «In die Richtung sollten wir Modelle für die Zukunft denken. Sie müssten aber sozial gerecht sein und nur diejenigen finanziell heranziehen, die es sich wirklich leisten können. Und es müsste verwaltungsarm umgesetzt werden, damit die Bürokratie nicht am Ende teurer wird als die Einnahmen aus den Kita-Gebühren.»

Saleh hält das für falsch: «Es ist nicht sozial zu sagen: Wir wollen euch das Leben in der Stadt garantieren, aber wir belasten euch noch mehr», sagt er. «Die Menschen sind krisenmüde, sie können nicht mehr. Sie drehen jeden Euro zweimal um.»

Lehmann weist die Kritik ebenfalls zurück: «Gebührenfreiheit für alle ist sozial fair. Wenn man es nicht mehr für die finanzieren würde, die besser verdienen, dann gibt es keine Gemeinschaft mehr, sondern mehr Abgrenzung», sagte sie. «Dann fahren die Kinder nicht mehr alle zusammen mit dem Bus, dann werden die Kinder nicht mehr in der Schule zusammen beim Mittagessen sitzen und nicht mehr gemeinsam in die Kita gehen.»

Saleh ergänzt, die Besserverdienenden müssten über die Steuern zur Kasse gebeten werden und nicht über die Kinder. «Auch in Zeiten knapper Kassen machen uns andere Themen aber mehr Sorgen als die Gebührenfreiheit.» Lehmann sagt, es sei wichtig zu schauen, was auch noch in 20 oder 30 Jahren für Berlin gut sei. «Das ist auch eine Form von Schutz vor Krisen, die noch kommen. Denn nicht allen, denen es heute gut geht, wird es immer gut gehen», sagt sie. News4teachers / mit Material der dpa

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18 Kommentare
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Fräulein Rottenmeier
26 Tage zuvor

Sagen wir mal so, wenn eine Stadt über die finanziellen Mittel verfügt, dass ein Eigenanteil der Eltern bei Kita, Essen und Schulbüchern entfallen kann, dann ist das super. Aber so schätze ich Berlin nicht ein. Wenn aber zukünftig ein Eigenanteil erhoben wird, dann sollte dieser zweckgebunden sein und genau dahin fließen, wo er wieder den Kindern zugute kommt. Das davon auch der Mehraufwand der Bürokratie (Prüfung der Einkommensverhältnisse) bezahlt werden muss, ist aber auch klar. Insgesamt könnte die Mehreinnahmen zur Renovierung, Sanierung und allgemein zu besseren Ausstattung genommen werden….

Die Argumentation, dass es bei einer Erhebung eines Eigenanteils zu einer Spaltung der Gesellschaft kommt, halte ich für Quatsch. Die Spaltung ist doch jetzt schon da. Wer die Möglichkeit hat sein Kind in einer Kita im einem gut situierten Viertel unterzubringen, tut das jetzt schon. Da spielt es keine Rolle, ob dafür gezahlt werden muss oder nicht.
Ich persönlich halte auch nicht viel von der Umsonst-Mentalität, denn meist gilt der Spruch: Was nix kostet, ist nix wert…..

ed840
26 Tage zuvor

An Geld sollte es dort eigentlich nicht mangeln. Berlin ist laut meinen Quellen nach Durchführung des Finanzkraftausgleichs das finanzkräftigeste Bundesland und hat dann pro Kopf sogar ca. 1.500€ mehr zur Verfügung als z.B. das größte Geberland. Wenn man vergleicht wie hoch in Berlin die Quoten junger Menschen ohne Schul- oder Berufsabschluss sind oder die Punktzahlen in den Leistungsvergleichen wie z.B. IQB 2022 oder die Punktabstände zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund oder aus sozioökonomisch unterschiedlichen Schichten, scheint allein mehr Geld nicht die gewünschten Effekte zu entfalten. Kommt vermutlich auch darauf an wie effektiv das Geld investiert wird.

A.J. Wiedenhammer
26 Tage zuvor

Der Spruch gilt wohl. Aber noch schwerwiegender ist eigentlich, dass es Anreize geben muss, die Gratisleistungen nicht unbedingt in Anspruch zu nehmen. Andersherum: Es ist legitim, wenn es anzustrebende Mehrleistungen gibt. Alles andere ist Sozialismus, der offensichtlich in einer unüberschaubaren Gruppe wirtschaftlich nicht funktioniert. Gratisleistung ist ja wunderbar, aber woher soll das Geld dafür kommen? Wer soll es erwirtschaften?
(Am Fernseher sah ich mal einen Studenten (!), der meinte, der Staat könne doch problemlos einfach mehr Geld drucken… Da fällt einem echt nichts mehr ein.

Unfassbar
26 Tage zuvor

Für solche Studenten kommt Strom auch aus der Steckdose.

Britta
26 Tage zuvor

Tatsächlich wird an meiner Grundschule mehr Essen weggeworfen als zu Zeiten, zu denen es bezahlt wurde. Ich höre immer wieder Kinder, die keine Lust haben, essen zu gehen oder die es nicht schmackhaft genug finden und lieber zuhause essen. Umsonst ist in einigen Fällen umsonst.

Mr X
25 Tage zuvor
Antwortet  Britta

Vielleicht ist das Essen auch einfach schlecht?

Unfassbar
25 Tage zuvor
Antwortet  Mr X

Vermutlich. Der Fahrer möchte ja Gewinn machen und Berlin wird bestimmt keine 10€ pro Kind und Mahlzeit bezahlen.

Unfassbar
25 Tage zuvor
Antwortet  Unfassbar

UPS, der Caterer ist natürlich gemeint. Der Fahrer des Essens zur Schule wird kaum mehr als Mindestlohn bekommen.

Kompetenzfan
26 Tage zuvor

„Gerade in sozialen Brennpunkten gebe es Kitas und Schulen, die von Bildungsbürgern gemieden werden, sagt nun Hikel.“
Aber genau das dürfte doch wohl nichts mit den Gebühren zu tun haben. Was soll sich da ändern, wenn man Gebühren wieder einführt? Die „sozialen Brennpunkte“ entstehen durch die Bevölkerungsstruktur. Man hatte z.B. mal ganze neu gebaute Hochhaussiedlungen mit besonders armen Leuten gefüllt (darunter auch viele „Abrissmieter“), das haben auch SPD-geführte Landesregierungen gemacht. Jetzt will diese Fehler niemand begangen haben.

Wasserzeichen
26 Tage zuvor

Mit dem Spruch, jedes Kind sei gleich viel wert, ist das andere Gerechtigkeitsprinzip ausgehebelt worden, nach dem starke Schultern mehr tragen können als schwache Schultern. Es findet sich eben immer das passende Argument.

Ist nicht auch jeder Lehrer gleich viel wert? Warum verdienen sie aber je nach Anstellungsart stark unterschiedlich? Die SPD hat die Verbeamtung wieder eingeführt und dann die im Stich gelassen, die am längsten nicht verbeamtet arbeiten. Das sollten wir nicht vergessen!

Dejott
25 Tage zuvor
Antwortet  Wasserzeichen

Hat die CDU in Sachsen auch gemacht. Werde ich denen auch nicht vergessen.

Hornveilchen
26 Tage zuvor

Mich würde mal interessieren, ob zu diesen Kosten pro Kind im Bildungshaushalt auch die Kosten für die Lehrer gehören? Vermutlich schon.

Canishine
26 Tage zuvor
Antwortet  Hornveilchen

Ja, das ist so.

Kohlrabi
24 Tage zuvor
Antwortet  Canishine

Dann ist das ja aber eine Milchmädchenrechnung, um nicht zu sagen, eine Täuschung der Öffentlichkeit. Gelder für die Lehrer (z.B. Mehrkosten durch die Verbeamtung) sind ja keine Gelder, die unmittelbar bei den Kindern ankommen.

Dejott
25 Tage zuvor

Kostenfreie Bildung ist für mich der richtige Weg. Aber dummerweise kein Allheilmittel. Dazu gibt es viel zu viele andere Stellschrauben, durch die der schulische Erfolg der Kinder von den Elternhäusern abhängt. Da müsste man halt ran. Und natürlich an die Schule selbst. Das würde alles viel Geld kosten. Und von der deutschen Schule eine Flexibilität verlangen, die sie nicht hat.

Lisa
25 Tage zuvor

Die Segregation in Berlin liegt am Wohnungsmarkt. Man sucht sich schon genau aus, in welches Kiez man zieht, wenn man sich das leisten kann. Und nicht nur wegen der Schule, auch wegen anderem .

F.H.
24 Tage zuvor

Gebührenfreiheit sind letztlich Geldgeschenke auf Kosten der Steuerzahler, die möglichst viele Wählerstimmen bringen sollen.
Die Qualität der Bildung zu verbessern bedeutet hingegen, von lieb gewordenen, aber falschen Bildungsideologien Abschied zu nehmen. Und das fällt Parteien und Regierungen viel schwerer als der Griff ins Steuersäckel, zumal sie folgenschwere Irrtümer zugeben müssten.
Dass Wähler auch das Eingeständnis von Fehlern honorieren könnten, ist in der Politik unvorstellbar. Man sagt zwar gern „Der Wähler ist schlauer als gedacht“ und dreht ihm gern Komplimente an, doch am eigenen Verhalten ändert das wenig. Wenn alle Stricke reißen, wird eben mit moralischer Überlegenheit argumentiert wie „humane Schule“, „kindgerechte Schule“ oder „Bildungsgerechtigkeit“. Ausgewiesene schlechte Schülerleistungen durch Leistungsvergleiche können bei solch höherwertigen Moralvorstellungen doch nur noch als minderwertige Kriterien für gutes Bildungswesen gelten.

Teacher Andi
23 Tage zuvor

Zu viel Förderung und kostenlose Verpflegung kann auch nach hinten losgehen, die Eltern nehmen immer weniger Verantwortung wahr und fordern immer mehr. Man sollte allmählich wieder erkennen, dass auch die Eltern eine Verantwortung für ihr Kind haben was Erziehung, Bildung und Verpfelgung anbelangt. Diese Nulltarif Haltung hat sich so richtig eingeschlichen. Für die Kids ist diese „Bedien-mich-Mentalität“ eher kontraproduktiv, da sie sich fortan immer auf staatliche Hilfe verlassen.