Neue Ressourcenverteilung: Sozialindex für Schulen soll die Bildungsgerechtigkeit erhöhen

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HANNOVER. In mehreren Bundesländern gibt es ihn bereits, in Niedersachsen soll zum neuen Schuljahr ein bestimmter Index angewendet werden, um die Bildungsgerechtigkeit zu erhöhen. Was steckt hinter den Plänen?

Künftig sollen Ressourcen mehr dorthin fließen, wo sie besonders benötigt werden. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Mit einem Sozialindex will Niedersachsens rot-grüne Landesregierung die Chancengleichheit an Schulen erhöhen. Über die Pläne wurde nun im Landtag beraten. Die soziale Herkunft von Kindern und Jugendlichen bestimme noch immer zu stark über den Bildungserfolg, sagte Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne). «Genau hier soll in Zukunft der Sozialindex in Niedersachsen ansetzen, um zusätzliche Ressourcen gezielt dort einzusetzen, wo der Unterstützungsbedarf besonders hoch ist und die soziale Schere an besonders herausgeforderten Schulen nachhaltig zu reduzieren.»

Wenn an Schulen Kinder und Jugendliche mehr Förderbedarf haben als an anderen Schulen, sollen dort verstärkt Lehrer oder weiteres Personal eingesetzt werden. Um herauszufinden, wo dieser Bedarf besonders groß ist, soll ein Sozialindex eingeführt werden. Dieser könnte beispielsweise aus verschiedenen Indikatoren bestehen. Man will also eine bessere Einschätzung gewinnen, an welchen Schulen mehr Unterstützung notwendig ist.

Herkunft oft Einfluss auf Bildungschancen

Dieser Index soll zum neuen Schuljahr in Niedersachsen greifen. Kultusministerin Hamburg zeigte sich jüngst zuversichtlich, dass der Zeitpunkt gehalten werden kann. Die familiäre Herkunft eines Kindes hat nach wie vor einen großen Einfluss auf Bildungschancen. Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Stefan Störmer, sagte kürzlich, Studien würden zeigen, dass der Bildungserfolg stark vom sozio-ökonomischen Hintergrund des Elternhauses abhänge.

Was hat es mit dem Startchancenprogramm auf sich?

Das Programm wird von Bund und Ländern gemeinsam aufgelegt und finanziert, um bundesweit rund 4000 allgemeinbildende und berufliche Schulen zu fördern, die einen hohen Anteil sozioökonomisch benachteiligter Schüler haben. In Niedersachsen rechnet man mit rund 390 Schulen. Das neue milliardenteure Programm soll den starken Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg aufbrechen. Es soll dazu beitragen, dass das Bildungssystem in Deutschland besser und leistungsfähiger wird.

Nach den Worten des Bildungsforschers Dirk Zorn von der Bertelsmann Stiftung müssen die Länder bei dem Programm einen Sozialindex für die Schulen einführen, um die Schulen mit dem größten Unterstützungsbedarf auswählen zu können. Daher hängen beide Themen eng zusammen.

Sozialindex kommt in mehreren Bundesländern bereits zum Einsatz

In Hamburg und Nordrhein-Westfalen gibt es einen solchen Index an Schulen bereits. «Der Schulsozialindex ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Bildungs- und Chancengerechtigkeit und ausdrücklich kein Instrument, um die an Schulen geleistete pädagogische Arbeit zu bewerten», heißt es auf der Internetseite des NRW-Bildungsministeriums. Der Schulsozialindex identifiziere lediglich bestehende soziale Herausforderungen.

In NRW fließen für den Index vier Indikatoren ein: Kinder- und Jugendarmut, Anteil der Schülerinnen und Schüler mit vorwiegend nicht deutscher Familiensprache, Zuzug aus dem Ausland sowie Anteil von Schülern mit Förderschwerpunkten. Niedersachsens Kultusministerin sagte kürzlich, man werde in eine ähnliche Richtung gehen. Es sei wichtig, dass für den Index nicht zusätzliche Daten erhoben werden müssten.

Landesschülerrat: Schritt für mehr Chancengleichheit

Zustimmung für die Pläne gibt es etwa vom Landesschülerrat. Dessen Vorsitzender Matteo Feind bezeichnete die Pläne als einen wichtigen Schritt für mehr Chancengleichheit. Dies sei ein längst überfälliger Schritt. Die soziale Ungleichheit im niedersächsischen Bildungssystem sei ein anhaltendes Problem, das durch die Herkunft und das Einkommen der Eltern sowie den Wohnort verstärkt werde, sagte Feind. «Es ist aber auch klar, dass die Ungleichheit sich dadurch nicht auflöst. Es muss weiterhin an weiteren Maßnahmen für Chancengleichheit gearbeitet werden.» News4teachers / mit Material der dpa

Weg von der Gießkanne: Warum das Startchancen-Programm für Schulen die Bildungspolitik komplett neu ausrichtet

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7 Kommentare
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JoS
7 Monate zuvor

Der Sozialindex ist ein guter Anfang, die Mittelallokation zielgerichteter zu gestalten. Hier sollte man aber noch weitergehen und auch Dinge wie Stundenzuweisung, Höhe des Deputats bzw. der Besoldung über den Sozialindex steuern.

Alx
7 Monate zuvor

Ich bin der Meinung, dass Internate die beste Möglichkeit wären.
Nach dem Unterricht Internet ausschalten, Bücher und Gesellschaftsspiele bereitstellen und tägliche Sportangebote machen.
Keine Playstation, kein Smartphone, kein TV.

Für viele Kinder wäre das der einzige Ausweg.

Lisa
7 Monate zuvor

Die Gießkanne hat aber auch Vorteile. Man kann sicher sein, dass niemand vergessen wird. Und es findet keine Diskriminierung statt. Wenn für alle Kinder das Mittagessen gratis ist, ist das anders, als wenn es das nur für ökonomisch Benachteiligte ist. So sieht man es beispielsweise in Dänemark.

JoS
7 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Dann muss man aber auch bereit sein, sehr viel mehr Geld für Bildung in die Hand zu nehmen und zu akzeptieren, dass ein großer Teil davon Familien zugute kommt, die es eigentlich nicht nötig haben. Effiziente Mittelverwendung sieht anders aus.

Alx
7 Monate zuvor
Antwortet  JoS

Welche Familie hat denn ihrer Meinung nach eine gute Ausstattung der Schule und gute Unterrichtsversorgung nicht nötig?

Wie effizient die Mittelverwendung ist liegt an der Wirtschaftlichkeit und dem Ertrag.
Fraglich ist wie wirtschaftlich es ist die Förderung der schwächsten Schüler auf Kosten der Förderung der stärkeren zu realisieren.

Zur Bewertung müsste aus Effizienzperspektive lediglich herangezogen werden, wer von der gleichen Menge an Förderung mehr profitiert.
Das sind die stärkeren Schüler.

RainerZufall
7 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Was den Sozialindex betrifft, können sich viele bestimmt mit dem Gedanken trösten, für die Betroffenen später vielleicht kein Bürgergeld zahlen zu müssen 😉

Mittagessen für alle halte ich auch für eine gute Idee, andererseits haben wir ja nichtmal genug Personal für einen verlässlichen Ganztag…
Ist am Ende eher eine Mangelverwaltung, um möglichst viele in (gute) Berufe zu wuppen

AlterHase
4 Monate zuvor

Was den Bildungsaufstieg aus unteren sozialen Schichten betrifft, so wird gern übersehen, dass der einiges erfordert, was vielleicht gar nicht alle wollen oder leisten können. Auf die Frage “Welche Herausforderungen sind mit einem sozialen Aufstieg verbunden?” gab es diese Erklärung:

“Eine wesentliche Herausforderung bestand für die Personen mit Aufstiegserfahrungen, die wir in unserer Studie befragt haben, darin, dass sie sich von ihrem Herkunftsmilieu distanzierten. Dieser Befund ist banal und komplex zugleich. Denn ein Aufstieg bedeutet, dass sich nicht nur die Statuspositionen und die Schichtzugehörigkeit der Menschen verändern, sondern auch die Menschen selbst. Drei miteinander verbundene Herausforderungen begleiten Aufsteigende dauerhaft:” Und anschließend wurden genannt:

  1. Das permanente Arbeiten an sich selbst.
  2. Das Gefühl der Entfremdung vom Herkunftsmilieu wird im Laufe der Zeit … immer stärker.
  3. Sich vom Herkunftsmilieu distanzieren zu müssen, bringt Aufsteigende in eine Zwischenposition.

Quelle: https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/205371/bildungsaufstieg-k-eine-frage-von-leistung-allein/
Der Autor ist kein Unbekannter: El-Mafaalani. Von der rein fachlichen/schulischen Leistung ist dabei noch nicht einmal die Rede. Man tut gern so, als würde sich jeder, der ein Abitur erreicht hat, dann auch im akademischen Milieu wohlfühlen. Ich befürchte, das stimmt oft nicht. Wer z.B. rigide Vorschriften gewöhnt ist, wird es nicht mögen, wenn andere permanent diese Vorschriften missachten, weil es für sie keine Vorschriften sind. Wer sich dem anpasst, bekommt möglicherweise Ärger mit seinem Herkunftsmilieu. Für eine gewisse Übergangszeit befinden sich diese Leute dann in einer Art von “Niemandsland”, sie gehören nirgendwo richtig hin. Der Artikel spricht an anderer Stelle von “Trennungskompetenz”: Man muss gelegentlich liebgewordene Vorstellungen oder sogar Beziehungspersonen aufgeben. Mehr Geld und mehr Prestige sind dann nicht immer die richtige Kompensation. “Entwurzelung” ist auch ein passendes Wort in diesem Zusammenhang. Diese Entwurzelung muss man dann eben aushalten können.