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Bürgerrat Bildung und Lernen: Was normale Menschen sich für Kita und Schule wünschen (wenn sie sich intensiv damit beschäftigen)

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BONN. Für die Schule gilt ähnliches wie für den Fußball, so heißt es: Alle kennen sich damit aus, alle fühlen sich zu Expert*innen berufen. Nun ist Bildung zweifellos komplexer (und noch relevanter) als das Spiel mit dem Ball. Umso wertvoller wäre es zu erfahren, was normale Bürgerinnen und Bürger meinen, wenn sie mal aufgefordert würden, sich vertieft mit dem Komplex Lehren und Lernen zu beschäftigen. Das dachte sich die Montag Stiftung Denkwerkstatt – und lud mehrere Hundert zufällig ausgewählte Menschen aus ganz Deutschland ein, beim von ihr ins Leben gerufenen Bürgerrat Bildung und Lernen mitzumachen. Herausgekommen ist ein bundesweit einmaliges Projekt mit Strahlkraft.

Insgesamt über 700 Menschen diskutierten bereits beim Bürgerrat Bildung und Lernen mit. Foto: Montag Stiftung Denkwerkstatt / Christoph Soeder

Schulkleidung finde sie ja eigentlich gut, weil teure Status-Klamotten dann außen vor blieben und arme Kinder und Jugendliche nicht mehr so leicht an ihrem Äußeren erkennbar wären, meint eine Schülerin. Andererseits, sagt sie überlegend, müsste sie dann ja selbst eine Uniform tragen, die sie womöglich gar nicht mag – und das wäre schlecht.

Die Debatte um eine Kleiderordnung in der Schule, so ergänzt eine Lehrerin nachdenklich, führe schnell ins Grundsätzliche: nämlich zur Frage, „wie kommen wir zu einem guten, respektvollen Miteinander“. Ein Mann meint, dass doch auch von Lehrkräften eine Kleidung erwartet werden könne, die ein gewisses Maß an Wertschätzung gegenüber der Schule ausdrücke. Warum also nicht auch von Schülerinnen und Schülern? Er habe früher mal einen Lehrer gehabt, der alkoholkrank gewesen und mit verdreckten Hemden und Hosen im Unterricht erschienen sei. Und das sei sehr unangenehm gewesen. Was Alkoholismus denn jetzt mit dem Thema zu tun habe, will eine weitere Schülerin wissen. Ihr sei es völlig egal, was ihre Lehrerinnen und Lehrer in der Schule trügen – und sie selbst sehe auch keine Notwendigkeit, sich in ihrer Freiheit bei der Kleiderwahl einschränken zu lassen.

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Empfehlungen übergeben: Mitglieder des Bürgerrats und die damalige KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch (2. v. l.). Foto: Montag Stiftung Denkwerkstatt / Fabian Sommer

Ort der lebhaften Diskussion: der Campus der Montag Stiftungen in Bonn. Der Anlass: ein vorbereitendes Treffen des Bürgerrats Bildung und Lernen, der von der Montag Stiftung Denkwerkstatt vor drei Jahren ins Leben gerufen wurde.

Was das für ein Gremium ist? Um dies zu erklären, muss etwas ausgeholt werden: „Bürgerräte sind Versammlungen von 30 bis 200 per Los zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern, die bei mehreren Terminen gemeinsam und in Kleingruppen ein vorgegebenes Thema diskutieren und der Politik ihre Handlungsempfehlungen als Bürgergutachten übergeben“, so heißt es auf der Homepage des Bundestages. „Sie erhalten Hintergrundinformationen von Expertinnen und Experten, die das gesamte wissenschaftliche und politische Spektrum umfassen. Ein neutrales Moderationsteam unterstützt die Teilnehmenden und ermöglicht eine Diskussion aller auf Augenhöhe.“

Die Idee ist, mit dem Format die Demokratie zu stärken. „Mit der Zufallsauswahl lassen sich auch Menschen erreichen, die nicht an Wahlen teilnehmen oder sich nicht regelmäßig einbringen, etwa weil sie nicht an Politik interessiert sind oder ihnen die Zeit für intensives Engagement fehlt. So werden Stimmen hörbar, die sonst nicht in den Debatten präsent sind. Ein weiterer Vorteil: Menschen, die sonst nie miteinander gesprochen hätten, tauschen sich aus und suchen nach Ansätzen, die ihre unterschiedlichen Interessen berücksichtigen.“

Entscheiden sollen Bürgerräte nicht – das bleibt nach wie vor gewählten Politikerinnen und Politikern vorbehalten. Aber: „Bürgerräte dienen der Beratung der politischen Entscheidungsträger und stellen Informationen bereit, die auf anderem Wege bisher nicht ausreichend gewonnen werden können.“

In jüngster Zeit sorgten Bürgerräte mit Empfehlungen für die Ernährungspolitik in Deutschland sowie zum acht- oder neunjährigen Gymnasium in Baden-Württemberg für Schlagzeilen. Der Bürgerrat Bildung und Lernen – mit bislang über 700 Teilnehmenden der größte in Deutschland – geht noch ambitionierter zu Werke: Es geht hier um nichts Geringeres als um die „Schule von morgen“.

In den Blick genommen wird dafür die gesamte Bildungskette von der frühkindlichen bis zur beruflichen Bildung. Das Leitthema, das die Bürgerinnen und Bürger (einschließlich einer eigens eingeladenen Gruppe von Kindern und Jugendlichen) sich dabei selbst gewählt haben, lautet: Chancengleichheit. Genauer: „Welche konkreten Maßnahmen müssen unternommen werden, um dem im Grundgesetz verankerten Anspruch auch tatsächlich gerecht zu werden?“

Was sagt nun Volkes Stimme? In insgesamt acht Tagungen (sechs davon, Corona-bedingt, digital) erarbeitete der Bürgerrat einen ganzen Katalog von Empfehlungen, die – und das macht den besonderen Reiz des Formats aus – über die tagespolitische Perspektive der Kultusministerien hinausreichen. Dabei geht es um Ressourcen („Mehr Geld zweckgebunden zum Wohl der Kinder einsetzen“ – Zustimmungsquote: rund 90 Prozent). Aber auch darum, Schule breiter aufzustellen („Ausweitung des Fachpersonals an Schulen – kontinuierliche Betreuung durch multiprofessionelle, vielseitige Teams“ – Zustimmungsquote: 97 Prozent).

Nicht ganz so einhellig, aber immer noch mit deutlichen Mehrheiten: „Längeres gemeinsames Lernen (Unterricht) in altersübergreifenden fachspezifischen und an Leistungen und Interessen orientierten Gruppen bis zur 10. Klasse – bei individueller Förderung“ wurde mit einer Zustimmungsquote von 61 Prozent verabschiedet, „verpflichtender Ganztag im Jahrgang 1 bis 10 an drei Tagen pro Woche“ mit 55 Prozent. Auch die frühkindliche Bildung („Kita-Pflicht in den letzten zwei Jahren vor der Schule – Zustimmungsquote: 57 Prozent) und die berufliche Bildung („Schulfach ‚Berufsorientierung‘ mit verpflichtenden Praktika ab Klasse 7“ – Zustimmungsquote 73 Prozent) wurden mit Empfehlungen bedacht.

„Natürlich würde ich mir wünschen, dass die Empfehlungen auch umgesetzt werden“

Was passiert mit dem Katalog? Der sei Politikerinnen und Politikern wie der damaligen KMK-Präsidentin, Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) übergeben worden, so berichten Bürgerrät*innen (die vor drei Jahren unvermittelt per Post einen Brief der Montag Stiftung Denkwerkstatt mit der Einladung zur Teilnahme erhalten hatten) nun am Rande des Plenums. „Ich nehm‘ das gerne mit“ – den Satz habe man stets zu hören bekommen, heißt es lächelnd.

„Natürlich würde ich mir wünschen, dass die Empfehlungen auch umgesetzt werden“, sagt ein junger Mann. Dass dies bei jedem Punkt geschieht, ist sicher unrealistisch. Allerdings darf unterstellt werden, dass der Bürgerrat Bildung und Lernen bereits Wirkung erzielt hat. Die Bildungspolitik vollzog unlängst einen Paradigmenwechsel: Ressourcen sollen nun verstärkt dorthin gelenkt werden, wo der Bedarf am größten ist (statt sie, wie bisher, gleichmäßig „mit der Gießkanne“ zu verteilen). So einigten sich Bund und Länder im Frühjahr auf das 20 Milliarden Euro schwere Startchancen-Programm, mit dem Brennpunktschulen in Deutschland unterstützt werden. Dass Chancengerechtigkeit in der Bildung, die damit verbessert werden soll, bei den Bürgerinnen und Bürgern einen sehr hohen Stellenwert genießt – dies hat der Bürgerrat mit seiner Themensetzung eindrucksvoll der Politik vor Augen geführt.

Wie geht es nun weiter? Mit dem Treffen am vergangenen Wochenende in Bonn, bei dem erwachsene und jugendliche Bürgerrats-Mitglieder mit Expert*innen aus der Bildungspraxis zusammenkamen, wurden die nächsten Tagungen im September in Köln und im November in Leipzig vorbereitet. Als künftiges Fokusthema schält sich heraus: Freiheit in der Bildung – andersherum: Wie viele Vorgaben benötigt ein chancengerechtes Bildungssystem? Das betrifft die Arbeit von Lehrkräften genauso – Stichwort: Lehrpläne – wie die Frage, ob nicht auch Homeschooling erlaubt werden sollte.

Das Thema Kleiderordnung in der Schule, das wurde bei den Diskussionen deutlich, spielt dabei insbesondere für die Kinder und Jugendlichen eine große Rolle. Auf einer Pinnwand mit Themenwünschen findet sich am Ende oben: „Schuluniform!“. News4teachers

Bürgerrat empfiehlt Gratis-Essen an Schulen und Kitas – große Mehrheit dafür

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