Entsetzen nach rassistischem Angriff auf zwei Mädchen – Faeser: “Dumpfer Hass!”

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GREVENSMÜHLEN. Nach dem mutmaßlich rassistischen Angriff auf zwei ghanaische Kinder in Grevesmühlen (Mecklenburg-Vorpommern) hat der Staatsschutz die Ermittlungen übernommen. Die mit dem Fall betraute Gruppe arbeite unter Hochdruck, teilte das Polizeipräsidium Rostock mit. Die Beamten gingen Zeugenhinweisen nach und werteten erstes Bildmaterial aus. Die Ermittler baten um weitere Hinweise aus der Bevölkerung. Ermittelt wird wegen Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung, Volksverhetzung und Beleidigung. Bundesinnenministerin Faeser und Ministerpräsidentin Schwesig zeigten sich entsetzt.

“Mit seiner Fußspitze getroffen.” (Symbolbild). Bild: sokaeiko / pixelio.de

Nach Polizeiangaben waren ein achtjähriges Mädchen und seine zehn Jahre alte Schwester am Freitagabend gegen 19.30 Uhr aus einer Gruppe von etwa 20 Jugendlichen und Heranwachsenden heraus angegriffen worden. Der Zwischenfall stellt sich den Ermittlern inzwischen etwas anders dar als zunächst geschildert. Nach der Auswertung von Videoaufnahmen teilte das Polizeipräsidium Rostock mit: „Nach derzeitigem Ermittlungsstand hat das achtjährige Mädchen keine körperlichen Verletzungen erlitten, die auf die in der Erstmeldung geschilderte Tathandlung hindeuten.” Die Polizei hatte zunächst mitgeteilt, das Kind und ihr Vater seien leicht verletzt worden. Das Mädchen sei ins Gesicht getreten worden.

Nach derzeitigem Ermittlungsstand zu dem Angriff wollte die Achtjährige mit ihrem Roller an einem Jugendlichen vorbeifahren. Dieser habe ihr „offenbar mit ausgestrecktem Bein den Weg versperrt und sie mit seiner Fußspitze getroffen”, so heißt es nun. Die Kinder hätten sich daraufhin verängstigt und weinend an ihre Eltern gewandt.

Zu diesem Zeitpunkt habe sich eine größere Gruppe Jugendlicher in dem Bereich aufgehalten, teilten die Ermittler mit. Die Eltern der Mädchen wollten sie demnach zur Rede stellen. Daraufhin sei es zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen gekommen. Es seien auch fremdenfeindliche Beleidigungen geäußert worden. An den Angaben zu den Verletzungen des Vaters änderte sich nichts. Beide, er und die Achtjährige, kamen ins Krankenhaus.

Er erklärte gegenüber der „Bild“-Zeitung, dass er sich und seine Familie nicht aus der Stadt vertreiben lassen wolle. „Wir leben seit 2016 in Grevesmühlen, wir bleiben hier“, zitierte ihn das Blatt. Seine beiden Töchter besuchten die örtliche Tanzschule, sein Sohn sei im Fußballverein. Die acht und zehn Jahre alten Mädchen sind dem Bericht zufolge in Deutschland geboren.

Der Leiter des Demokratiezentrums Westmecklenburg der Organisation RAA, Daniel Trepsdorf, sieht in der Region „Kontinuitätslinien“, wie er am Montag erklärte. Bereits vor Jahren sei eine offen rechtsextremistische Läufergruppe beim Grevesmühlener Stadtlauf angetreten. Darauf habe die Stadt dann schnell und konsequent reagiert und ein demokratisches Leitbild für den Lauf entwickelt. Im Jahr 2018 hätten nach dem tragischen Tod eines syrischen Jungen bei einem Verkehrsunfall in Schönberg im selben Landkreis Neonazis „1 : 0“ und Hakenkreuze auf die Straße geschmiert. In Grevesmühlen habe es längere Zeit ein rechtsextremistisches Veranstaltungszentrum gegeben. Das sei vor zwei Jahren von den Betreibern geschlossen worden, der Einfluss sei aber noch spürbar.

Die soziale Atmosphäre in der Region sei vielerorts vergiftet und auch verbal mit Gewaltattitüden aufgeladen, so Trepsdorf. „Das langsam Oberhand gewinnende gesellschaftliche Narrativ lautet, dass man sich vor „Überfremdung“ schützen müsse und dass das Thema Zuwanderung, Flucht und Asyl für die seit Jahren andauernde ökonomische Misere der Region verantwortlich zu machen ist.“ Er erlebe bei Beratungen in Schulen im Landkreis Nordwestmecklenburg, dass in den letzten Jahren die Hemmschwelle stark gesunken sei, sich rassistisch, demütigend und mit Gewaltfantasien gegenüber Menschen mit Migrationsbiografie zu äußern.

Die Polizei hat unterdessen diverse Hinweise erhalten. Darunter seien auch welche auf Menschen, die möglicherweise an der Tat beteiligt waren, sagte ein Sprecher der Leitstelle des Polizeipräsidiums Rostock der Deutschen Presse-Agentur. Die Ermittlungen seien sehr umfangreich und würden noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Es habe zudem Hinweise gegeben, dass auf dem Stadtfest in Grevesmühlen (13. bis 16. Juni) rassistische Parolen zu einer bekannten Melodie von Gigi D’Agostino gesungen worden sein sollen. Im Zusammenhang mit dem Lied «L’amour toujours» gibt es immer wieder Schlagzeilen, weil zuletzt vielerorts Menschen dazu rassistische Parolen gebrüllt hatten.

«Diese abscheuliche Tat muss rasch Konsequenzen haben. Rassismus und Gewalt sind widerlich. Das gilt erst recht, wenn Kinder angegriffen werden»

Politiker*innen verurteilten die Attacke aufs Schärfste. «Kinder rassistisch zu beschimpfen und brutal zu attackieren, zeugt von dumpfem Hass und unfassbarer Unmenschlichkeit», schrieb etwa Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf X. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) erklärte auf der Plattform: «Wir dürfen nicht zulassen, dass Hass & Hetze unsere Gesellschaft vergiften und Gewalt unsere Kinder bedroht.» Ihre Gedanken und ihr Mitgefühl seien bei den betroffenen Kindern und ihrer Familie. «Diese abscheuliche Tat muss rasch Konsequenzen haben. Rassismus und Gewalt sind widerlich. Das gilt erst recht, wenn Kinder angegriffen werden.»

Die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern meldete am Wochenende mehrere weitere Vorfälle mit mutmaßlich rassistischem oder volksverhetzendem Hintergrund. In Schwerin beobachtete eine Zeugin, wie etwa 20 Männer auf der Schlossbrücke den Hitlergruß gezeigt haben sollen.

Nach einer Auseinandersetzung, bei der ein Mann in der Nacht zum Samstag in Penkun verletzt wurde, hat der Staatsschutz Ermittlungen wegen Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet. Laut Polizei hatten nach Zeugenaussagen einige Personen auf einer Festwiese kurz vor der Tat zur Melodie von Gigi D’Agostino den Text «Ausländer raus – Deutschland den Deutschen» gerufen. Bei der Auseinandersetzung danach sollen sechs bis sieben Menschen einen 24 Jahre alten Deutschen angegriffen und im Gesichtsbereich verletzt haben. «Der Geschädigte hat ein südländisches Aussehen, einen Zusammenhang mit dem Grölen der Parolen und der Straftat wird nicht ausgeschlossen», teilte die Polizei mit.

Bereits am Freitagabend gab es in Warnemünde nach rechten Parolen nach dem EM-Auftakt der deutschen Mannschaft einen größeren Polizeieinsatz am Bahnhof. News4teachers / mit Material der dpa

„Offen gezeigte Hitlergrüße“: Schülervertretungen fordern mehr Engagement gegen Rechtsextremismus an Schulen

 

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Mika
1 Jahr zuvor

In ZEITonline ist gerade dazu ein Artikel erschienen, der den aktuellen Ermittlungstand nach Auswertung von Videomaterial wie folgt beschreibt:
„ Nach der Auswertung von Videoaufnahmen teilte das Polizeipräsidium Rostock mit: “Nach derzeitigem Ermittlungsstand hat das achtjährige Mädchen keine körperlichen Verletzungen erlitten, die auf die in der Erstmeldung geschilderte Tathandlung hindeuten.” “
Und weiter:
„ Nach derzeitigem Ermittlungsstand zu dem Angriff wollte die Achtjährige mit ihrem Roller an einem Jugendlichen vorbeifahren. Dieser habe ihr offenbar mit ausgestrecktem Bein den Weg versperrt und sie mit seiner Fußspitze getroffen.“ …
„ Die Eltern der Mädchen wollten sie demnach zur Rede stellen. Daraufhin sei es zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen gekommen. Es seien auch fremdenfeindliche Beleidigungen geäußert worden.“
Quelle:
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2024-06/grevesmuehlen-angriff-rassismus-maedchen-polizei

Metalman
1 Jahr zuvor

Hier hat die Polizei mit ihrer Pressemitteilung einiges an Schaden angerichtet. Es ist immer noch beschämend, was da passiert ist, aber zum Glück nicht mehr von einer solchen Schwere, wie vorher gedacht und wäre deshalb wohl auch nicht so in der Öffentlichkeit ausgerollt worden. Jetzt haben Reichelt und Co wieder Futter für ihre nächsten Videos.

RainerZufall
1 Jahr zuvor

Schrecklich. Was die Informationsstruktur der Polizei betrifft bleibe ich neutral/ gleichermaßen kritisch – machste nix!
Aber es erschüttert mich wirklich, wie Menschen das kritische Nachdenken, vielleicht auch nur den positiven Glauben an ein Missverständnis völlig beiseite schieben…

Unfassbar
1 Jahr zuvor

Die Faktenlage wird zunehmend weniger dramatisch als sie es im ersten Moment dargestellt wurde. Ob das gut oder schlecht ist — und falls ja für wen von Opfer, Tätergruppe, Presse, Politik — wird sich zeigen.

Elfjähriger soll ghanaischem Kind Weg verstellt haben (msn.com)

RainerZufall
1 Jahr zuvor
Antwortet  Unfassbar

Sie landeten also nicht im Krankenhaus?