
Die Durchschnittsnote der Berliner Abiturientinnen und Abiturienten liegt bei 2,3. Insgesamt 461 von ihnen legten ihr Abitur mit der Bestnote 1,0 ab, wie die Senatsverwaltung für Bildung mitteilte. Zum Vergleich: Die Traumnote hatten im Jahr 2021 noch 421 Schülerinnen und Schüler erreicht – allerdings legten damals auch deutlich weniger Schülerinnen und Schüler die Abiturprüfungen ab, nämlich 12.653.
Im Vergleich zum Jahr davor hatte es seinerzeit allerdings einen deutlichen Sprung gegeben: ein Plus von 114 Abiturientinnen und Abiturienten mit Traumnote 1,0 gegenüber 2020 (was eine Debatte über eine mögliche Noteninflation ausgelöst hatte, News4teachers berichtete).
Von den 14.915 Schülerinnen und Schülern, die nun zur Abiturprüfung angetreten sind, haben 13.996 auch bestanden. Das entspricht 93,8 Prozent. Der Wert war im Jahr davor mit 96,4 Prozent noch etwas besser. Die Durchschnittsnote hat sich im Vergleich zu 2023 dagegen nicht geändert. Noch ein Jahr davor lag sie bei 2,2 und in den Jahren vor der Pandemie nach Angaben der Bildungsverwaltung regelmäßig bei 2,4. Bei den Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss (MSA) und zur erweiterten Berufsbildungsreife erreichten 75 Schülerinnen und Schüler an Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen die Bestnote 1,0.
Sie freue sich über die herausragenden Leistungen der Schülerinnen und Schüler, sagte Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU). «Diese Spitzennoten sind ein Beleg für das hohe Engagement und die harte Arbeit sowohl unserer Lernenden als auch unserer Lehrkräfte.» News4teachers / mit Material der dpa
Philologen beklagen Einser-Inflation: „Wert des Abiturs befindet sich im Sinkflug“
Als Politiker*in hat man nur und immer nur Erfolge zu verkünden – so auch hier. Dere Trend zu besseren Bewertungen ist im Bildungsbereich aber allgemein zu verzeichnen und belegt nicht härtere Arbeit als früher, sondern weichere Maßstäbe. Wenn aber alle 1,0 im Abi haben, ist es so, als ob niemand diese Note hätte. Alles gleich-gültig.
Das Starren auf den Schnitt war noch nie sinnvoll. Warum sollten meine Noten in Geschichte, Sport und Erdkunde relevant sein, wenn ich ein MINT-Fach studiere? Wozu brauche ich eine gute Note in Physik und Chemie, wenn ich danach Gesellschaftswissenschaften studiere? Der Kardinalfehler liegt m.E. bei den Universitäten, die sich scheuen fachbezogene Auswahlverfahren durchzuführen. Damit würde sich die Bedeutung des Abiturdurchschnitts relativieren und dementsprechend auch der Druck von Politik und Eltern.
Man könnte alternativ das Abitur wieder so schwer machen, dass nicht mehr so viele an die Universität gehen, wegen mir noch mit der Möglichkeit einer eingeschränkten Hochschulreife auf einzelne Fakultäten je nach Note.
Und welchen gesellschaftlichen Nutzen hätte das in Zeiten des Fachkräftemangels? Wollen Sie etwa nur noch auf Zuwanderung setzen?
Einfach mehr SuS zum Abi/Fachabi durchwinken scheint aber nicht zwangsläufig die Anzahl der Akademiker zu erhöhen. Bei Bachelorstudenten brechen laut Statistik z.B. in Math/Nat ca. 50% das Studium ab, bei Ingenieurwissenschaften ca. 35%. Wenn ich mich hier in der Gegend so umschaue, haben auch Betriebe und Branchen Nachwuchsprobleme, wo ein Abitur gar keine Voraussetzung wäre. Einige dieser Betriebe setzen mittlerweile schon auf Azubis aus Vietnam.
Hat das denn irgendjemand gefordert? Ich halte einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert von Bildung für zielführender. Werdende Eltern müssen von Anfang an begleitet, unterstützt und ggf. eben auch sanktioniert werden, wenn sie den Bildungserfolg ihres Nachwuchses nicht ernst nehmen.
“Wozu brauche ich eine gute Note in Physik und Chemie, wenn ich danach Gesellschaftswissenschaften studiere?” – in grauer Vorzeit bedeutete Abitur noch “allgemeine Hochschulreife”. Das bedeutete, dass man auch mal ein bißchen über den Tellerrand hinaus schauen konnte, auch wenn man nicht in allen Fächern Spitze war. Heute kann man “schwirige” Fächer abwählen und stattdessen “darstellendes Spiel”, oder “Religion” wählen. Etwas mehr Wissen in Physik oder Chemie schadet mMn. auch den Gesellschaftswissenschaftlern nicht (Klimakrise, Pandemie, … ). Obwohl … sich darstellen zu können ist heute in Zeiten von social media viel wichtiger, als Hintergrundwissen! 🙂 Das merkt man immer wieder, wenn man den Fernseher anmacht und die “Experten” so hört.
In den Achtzigern konnte man Fächer auch abwählen. Sogar viel mehr als heute. Dennoch waren die Abiturienten studierfähig.
Was Lisa sagt. Tatsächlich sind die Möglichkeiten zur Abwahl schwieriger Fächer in den letzten 20 Jahren eher weniger geworden.
“Viele Abiturienten mit Traumnote 1,0 – Bildungssenatorin: „Beleg für harte Arbeit“
Nö, Beleg für Sinkflug sowie Weichspülgang im fachlichen Anspruch und inflationierte (angespaßte) Noten.
“Diese Spitzennoten sind ein Beleg für das hohe Engagement und die harte Arbeit sowohl unserer Lernenden als auch unserer Lehrkräfte.”
Harte Arbeit und hohes Engagement brauchts bei vielen SuS für ein Abi heute nicht mehr.
Aber klopft euch nur weiter kollektiv auf die Schultern und feiert die deutschen Bildungserfolge ihr Bildungssenatoren, Bildungspolitiker und Bildungsideologen. (Gilt für alle Bundesländer.)
Die meisten LuL an Gymnasien schauen hinter die bröckelige Fassade gymnasialer Bildung.
Eure unrealistische Schönfärberei kann da nichts mehr übertünchen.
Viele von uns haben bei derartigen Schlagzeilen nicht mal mehr ein müdes Lächeln.
„Erfolg darf nichts sein, das man einfach geschenkt bekommt. Die Gesellschaft müsse wieder mehr fordern, ehrliche Rückmeldung zu Leistung geben, zu einer gesunden Form des Leistungsdenkens finden. „Wir haben ein verrücktes System geschaffen, das Menschen zu Low-Performern sozialisiert, mit denen wir nicht zukunftsfähig sind.“
Florian Becker
Habe das diesjährige Abi korrigiert, als Erst und Zweitdurchsicht in zwei Fächern. Es war viel zu einfach, da waren meine Klausuren schwieriger. Selbiges hörte ich aus anderen Fachrichtungen.
Wenn man bedenkt, dass bei IQB 2022 ca. 40% der Gymnasiasten in Berlin nicht die Regelstandards für den mittleren Bildungsabschluss erreichten, kann man sich schon solche Gedanken machen. Es könnte natürlich auch sein, dass die Lehrkräfte erst in der Oberstufe den effektiven Unterricht auspacken und die SuS zu einer Leistungsexplosion führen, aber das halte ich für eher unwahrscheinlich. Wenn ich mich richtig erinnere, wurde z.B. im Rahmen einer Masterarbeit schon mal nachgewiesen, dass das Pflichtabitur im Grundkurs Mathe in Bayern signifikant höhere Ansprüche stellt als das Abitur im LK-Mathe in Berlin.
Ist doch überall so seit Einführung des Zentralabiturs. Es gibt sogar Untersuchungen dazu die belegen, dass sich das Verhältnis zwischen Abiturklausuren und den Vornoten seitdem komplett gedreht hat.
Momentan liest man im Netz viele Beiträge über einen erreichten Schnitt von 1,0. Das betrifft auch SuS von Gymnasien in den neuen Bundesländern (G8). Hier komme ich wiederholt zur Schlussfolgerung, dass ein G9 überhaupt nicht notwendig ist.
Ich komme zur Schlussfolgerung, dass die Ansprüche extrem nach unten geschraubt wurden. Immerhin kann die Politik durch die guten Notendurchschnitte auch alle Reformen als erfolgreich präsentieren.
Für ” Blinde, Gehörlose ohne Orientierungssinn,….” schon 🙂
Ich bin zwar schon ein paar Jahre aus Berlin weg, aber ich kann mir denken, wie diese Traumnoten zustande gekommen sind. An meiner damaligen Schule hat die Schulleiterin bei den ersten mündlichen Prüfungen des Tages gezielt eingegriffen, damit man nur noch Bestnoten verteilen konnte. Besagte Schule gehört bis heute zu den Top-Gymnasien Berlins, wenn man dem Abischnitt glauben mag.
Weiß jemand, warum es viel weniger Einser – Abschlüsse bei den MSA gibt? Oder sind das weit weniger Schüler in absoluten Zahlen.
Diese niedrige Anzahl hat mich mehr erstaunt als die der sehr guten Abiturienten.
Könnte auch daran liegen, dass ggf. nur wenige sehr gute SuS auf MSA-Niveau in Berlin eine Gesamtschule besuchen, sondern nach der GS aufs Gymnasium wechseln. Laut IQB 2022 erreicht ca. 40% der Gymnasiasten in Berlin nicht die Regelstandards für den MSA. Scheint also schon so zu sein, dass Gemeinschaftsschulen bei Eltern und Sus nicht die erste Wahl sind.
Vermutung: Die guten Realschüler sind an den Gymnasien und brauchen die Prüfung nicht abzulegen?