MÜNSTER. Lehrkräfte müssen für Schülerinnen und Schüler mit einem amtlich festgestellten sonderpädagogischem Förderbedarf individuelle Förderpläne erstellen – ein hoher bürokratischer Aufwand mit zweifelhaftem Nutzen. In den Schulen des nordrhein-westfälischen Regierungsbezirks Münster wird großflächig der Einsatz einer App getestet, die Besserung verspricht. Die ersten Erkenntnisse, so ergab nun ein „Rückkopplungstag“ mit Lehrkräften, Schulleitungen und einem begleitenden wissenschaftlichen Team, sind überaus erfolgversprechend.

„Wir sind davon überzeugt davon, dass das ein gutes Produkt ist“, sagte Uwe Eisenberg, Dezernent für „Gemeinsames Lernen/Inklusion“ bei der Bezirksregierung Münster. Gleichwohl müsse die Frage geklärt werden, „ob wir auf dem richtigen Weg sind“.
Die Rede ist von Splint, einer App, mit deren Hilfe sich Förderplanung digital (und das soll in der Praxis heißen: kollaborativ, effizient und einfach) gestalten lässt – und davon, dass in Nordrhein-Westfalen, eben im Regierungsbezirk Münster, ein großflächiges, wissenschaftlich begleitetes Pilotprojekt läuft, bei dem der Einsatz von Splint von Lehrkräften getestet und die App den Ergebnissen entsprechend weiterentwickelt werden soll.
„Für die Gestaltung von Förderplänen gibt es kaum verbindliche Vorgaben, was zwar eine flexible Arbeitsweise ermöglicht, aber auch Unsicherheiten oder Herausforderungen bewirkt“
Vorneweg: Der Weg scheint richtig zu sein – 78 Prozent der rund 150 beim „Rückkopplungstag“ in der in der Aula der Martin Luther King Schule (einer Förderschule) anwesenden Lehrkräfte und Schulleitungen, das ergibt eine spontane Online-Umfrage, bejahen die Aussage: „Splint ist ein Tool, das ich gerne nutze“.
Die Nachfrage belegt zudem den Bedarf an Unterstützung bei der Förderplanung: Ursprünglich hatte das Schulministerium 7.000 Lizenzen für die Nutzung durch Lehrkräfte eingekauft. Weil die aber schon nach wenigen Tagen vergriffen waren, orderte die Verwaltung nochmal 2.000 Lizenzen nach. „Splint ist wirklich super angekommen“, so freut sich Iris Brandewiede von der Fachberatung Sonderpädagogische Unterstützung in der Bezirksregierung. Jetzt gehe es darum, die Förderung ein Stück weit besser zu machen. Projektlaufzeit: bis Ende 2025.
„Splint hat das Potenzial, die Förderplanung zu verändern“, sagt Inklusionsexperte Prof. Dr. Matthias R. Hastall, der mit seinem Team von der TU Dortmund das Projekt begleitet – und schon mal erste Erkenntnisse vortragen konnte. Dazu gehört, dass manche Lehrkräfte gegenüber Informationen zur Förderplanung grundsätzlich kritisch gegenüberstehen („zu bürokratisch, zu wissenschaftlich, zu praxisfern“). Zudem: „Für die Gestaltung von Förderplänen gibt es kaum verbindliche Vorgaben, was zwar eine flexible Arbeitsweise ermöglicht, aber auch Unsicherheiten oder Herausforderungen bewirkt.“
Hier setzt Splint an. Als „wichtigste Vorteile“ der App werde von Nutzerinnen und Nutzern genannt, so Hastall, dass sie die Möglichkeit des kollaborativen Arbeitens und den Einbezug von Kolleginnen und Kollegen biete, dass sie ein übersichtliches, angenehmes Layout aufweise, dass sie eine schnelle Zugänglichkeit der Förderplanung im schulischen Alltag gewährleiste und für viele Aspekte der Förderplanung „Auswahlmöglichkeiten und Vorstrukturierungen“ biete.
„Es ist ein riesiger Vorteil, dass hier ein Sonderpädagoge mit Programmierern zusammenarbeitet“
„Ich bin mit der Idee gestartet, meine eigenen Probleme lösen zu wollen“, erklärt Friedo Scharf, Sonderpädagoge und Mitentwickler der Splint-App, die das Berliner Unternehmen Inklusion Digital (dessen Geschäftsführer Scharf ist) vertreibt. Und ein Problem sei es in seiner schulischen Praxis gewesen, Förderpläne auf Papier aktuell, im Team nutzbar und zugänglich, gleichzeitig aber gut geschützt zu halten (weil sie ja sensible Schülerdaten beinhalten). Die Folge: Die Dokumentationen seien viel zu selten hervorgeholt worden, um wirklich hilfreich bei der pädagogischen Arbeit sein zu können. Das sei mit Splint anders.
Von Anfang an sei die App gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen und Datenschutzbeauftragten entwickelt worden; schon jetzt seien mehr als 2.000 zusätzliche Anregungen aus den, an der Pilotphase teilnehmenden, Schulen eingegangen und eingearbeitet worden. Dass jetzt aus dem Großversuch im Regierungsbezirk Münster wohl nochmal ein Schwung an Ideen und Wünschen hinzukommt, schreckt Scharf nach eigenem Bekunden nicht: Schließlich gehe es darum, ein Tool „aus der Praxis für die Praxis“ zu entwickeln.
Silke Laux, Referentin aus dem Schulministerium, bedankt sich bei allen in ihrem Grußwort „für die gute Zusammenarbeit“. Dabei habe sich gezeigt – so die Rückmeldungen aus der Veranstaltung – dass gegenseitige Anregungen und Hinweise sehr schnell aufgenommen werden. Dezernent Uwe Eisenberg: „Es ist ein riesiger Vorteil, dass hier ein Sonderpädagoge mit Programmierern zusammenarbeitet.“
Und, so ließe sich ergänzen: Ein womöglich gutes Beispiel dafür, wie innovative Unterstützungssysteme aus der Bildungswirtschaft Lehrkräfte in der Praxis entlasten können. News4teachers
Das Land Niedersachsen stellt Splint bereits allen Schulen des Landes zur Verfügung.

Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) erklärte dazu unlängst im News4teachers-Interview: “Um Lehrkräfte bei der Bestimmung der Lernausgangslage, der Förderplanung und anschließender Förderung der Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, kommt in Niedersachsen der Förderplaner Splint zum Einsatz. Das digitale Tool hilft Lehrkräften aller Schulformen beispielsweise bei der Erstellung von Förderplänen unterschiedlicher Bedarfe an sonderpädagogischer Unterstützung oder aber auch bei der Dokumentation der individuellen Lernentwicklung. Splint kann von allen Schulen genutzt werden. Bislang haben wir in Niedersachsen damit gute Erfahrungen gemacht.”
Eben, wenn festgezurrte, engstirnige Vorgaben fehlen, sollte man das als Vorteil begreifen, denn es eröffnet Freiräume (Ermessensspielräume). Nur Bürokraten oder Anfänger dürften davor Angst haben. “Alte Hasen” wissen das zu schätzen.