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GEW schlägt Alarm: Flüchtlingskinder müssen nach zwei Jahren in Regelklassen wechseln (egal, wo sie sprachlich stehen)

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LEIPZIG. Alle geflüchteten Schülerinnen und Schüler sollen künftig nach zwei Jahren von Vorbereitungs- in Regelklassen wechseln – egal, ob sie sprachlich dazu in der Lage sind, dem Unterricht zu folgen. Dies sieht offenbar eine Neuregelung des Integrationsverfahrens in Sachsen vor. Laut GEW wurden die Schulleitungen im Freistaat durch ein Schreiben des Landesamts für Schule und Bildung entsprechend informiert. Lehrkräfte, die sich im Rahmen des DaZ-Unterrichts (Deutsch als Zweitsprache, d. Red.) um die Kinder und Jugendlichen kümmern, schlagen Alarm.

An Integrationsmaßnahmen in Schulen sparen, um dann über vermeintlich schlecht integrierte Migranten zu schimpfen? Mmmmhhhh. Illustration: Shutterstock

Die GEW Sachsen zeigt sich besorgt über die Anweisungen im Schulleiterschreiben vom 16. Januar 2025. Die darin vorgesehene verpflichtende Vollintegration von Schüler*innen mit Migrationshintergrund nach maximal zwei Jahren in Vorbereitungsklassen ohne Rücksicht auf ihre tatsächlichen Sprachkenntnisse werde von betroffenen Lehrkräften entschieden abgelehnt, so heißt es. In einem Offenen Brief an das Landesamt für Schule und Bildung (LASuB) fordern sie die Rücknahme der Anweisungen.

„Wir sind als DaZ- und Betreuungslehrkräfte hauptsächlich verantwortlich für eine gelingende sprachliche Integration der neu zugewanderten Kinder und von Kindern mit Migrationshintergrund, deren erste Sprache nicht oder nicht ausschließlich Deutsch ist“, so heißt es in dem offenen Brief.

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Und, mit Blick auf das Schulleiterschreiben vom 16. Januar 2025: „Dieses Schreiben haben wir mit großer Erschütterung wahrgenommen. Den Ansatz Schülerinnen und Schüler nicht dauerhaft in Vorbereitungsklassen zu belassen, unterstützen wir, jedoch lehnen wir eine überstürzte Vollintegration ab, wenn die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen die deutsche Sprache und Schrift nicht angemessen beherrschen.“

Die Entscheidung, ob ein Kind bereit für den Unterricht in Regelklassen mit Benotung ist, müsse bei den DaZ- und Betreuungslehrkräften liegen und dürfe nicht zwangsweise nach maximal zwei Jahren erfolgen. Erst in der vergangenen Woche hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) Maßnahmen zur Stärkung der Zielsprache Deutsch empfohlen. Sprachliche Bildung als Kernaufgabe des Bildungssystems gilt nach Ansicht der SWK „[…] in besonderer Weise für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche, die über geringe Deutschkenntnisse verfügen. […] Für den Unterricht in Deutsch als Zweitsprache (DaZ) sind qualifizierte Lehrkräfte und klare Rahmenvorgaben erforderlich.” (News4teachers berichtete.)

“Leidtragende werden Kinder und Jugendliche sein, die dann voll benotet in Klassenräumen sitzen, in denen Lehrkräfte schon mit inklusiv beschulten Kindern an ihr Limit kommen”

Die DaZ-Lehrkräfte meinen nun: Die neuen Vorgaben widersprechen den Empfehlungen der SWK grundlegend. Sie verstärken den Druck sogar noch für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern. „Mit den aktuell beschlossenen Straffungen zum Schuljahr 2025/2026 werden unsere Bemühungen (..) konterkariert, ohne unsere Expertise einzubeziehen. Leidtragende werden Kinder und Jugendliche sein, die dann voll benotet in Klassenräumen sitzen, in denen Lehrkräfte schon mit inklusiv beschulten Kindern an ihr Limit kommen. Dies gilt insbesondere in Brennpunktschulen mit bisher zusätzlich 2-4 Vorbereitungsklassen zu je 28 Kindern.“

Und weiter: „Der Schutzraum DaZ dient immer noch vielen Kindern und Jugendlichen ab Klassenstufe 2 auch zum Schriftspracherwerb. Wir schützen zudem traumatisierte Kinder aufgrund unserer besonderen Erfahrungen und unterstützen sie im Übergang zur Teilintegration. Wenn diese Kinder durch eine verfrühte Vollintegration und schlechte Noten zur Wiederholung von Klassenstufen gezwungen werden, könnten sie zukünftig völlig überaltert und frustriert die weiterführenden Schulen besuchen. Oder sie werden trotz schlechter Noten von Klassenstufe zu Klassenstufe weitergereicht. Wenn sie dem Notendruck nicht standhalten, bedeutet das viel Sprengkraft. Sachsen produziert damit ohne Not eine Generation von Bildungsverliererinnen und -verlierern aufgrund administrativer Missorganisation. Wir sehen schon jetzt zu viele Jugendliche ohne Bildungsabschluss die Schulen verlassen. Wer heute unüberlegte Eilmaßnahmen in Kauf nimmt, wird die Folgen in der Zukunft doppelt und dreifach bezahlen müssen.“

Wissenschaftliche Erkenntnisse zum benötigten Zeitraum des Erwerbs der Bildungssprache für eine bestmögliche Schulbildung würden ignoriert. „DaZ- und Betreuungslehrkräfte werden angehalten, Niveaubeschreibungen zu verfassen und dann Zuordnungen in Stufe 3 vorzunehmen, die ihren tatsächlichen Einschätzungen widersprechen. Damit werden wichtige Grundsätze der sächsischen DaZ-Konzeption missachtet und quasi abgeschafft. Diese Maßnahmen sind pädagogisch nicht vertretbar“, so schreiben die Lehrerinnen und Lehrer.

Sie betonen: „In den meisten Regelklassen ist die überwiegende Anzahl der Lehrkräfte nicht für die qualitativen Anforderungen der DaZ-Methodik und -Didaktik ausgebildet. Sie bürden also den ohnehin schon stark belasteten Kolleginnen und Kollegen zusätzliche und unnötige Herausforderungen durch größtenteils überforderte und zu früh vollintegrierte Schülerinnen und Schüler auf.“

„Der Schutzraum DaZ ist für viele Kinder essentiell, nicht nur für den Spracherwerb, sondern auch für die soziale und psychische Stabilisierung“

Claudia Maaß, stellvertretende Vorsitzende der GEW Sachsen: „Diese Maßnahme ist überhastet, wissenschaftlich nicht fundiert und gefährdet den Bildungserfolg zahlreicher Kinder und Jugendlicher. Die Entscheidung über eine Integration in Regelklassen muss auf der Expertise der DaZ- und Betreuungslehrkräfte basieren und darf nicht durch administrative Vorgaben erzwungen werden.“

Die GEW Sachsen unterstütze das Ziel, Schüler*innen nicht dauerhaft in Vorbereitungsklassen zu belassen, doch eine überstürzte Integration ohne ausreichende Sprachkenntnisse führt zu erheblichen Problemen im Regelunterricht. Besonders in Schulen mit hohen Anteilen von Schülerinnen in Vorbereitungsklassen werde die Situation durch die neuen Maßnahmen zusätzlich verschärft. Lehrkräfte seien bereits mit inklusiv beschulten Schülerinnen stark belastet, und die unzureichende personelle Ausstattung im Bereich DaZ gefährde eine erfolgreiche Integration. „Der Schutzraum DaZ ist für viele Kinder essentiell, nicht nur für den Spracherwerb, sondern auch für die soziale und psychische Stabilisierung. Eine überstürzte Vollintegration ignoriert diese Aspekte und produziert langfristig Bildungsverlierer*innen“, so Maaß. News4teachers

Die GEW-Forderungen

Die GEW Sachsen fordert in ihrem Offenen Brief an das Landesamt für Schule und Bildung:

  • Rücknahme der Anweisungen im Schulleiterschreiben und gemeinsame Verständigung über Ziele und Lösungsansätze mit Fachleuten, Fachberater*innen, Lehrkräften und Personalräten
  • Einstellung von DaZ-Lehrkräften und Erhöhung des Unterstützungspersonals
  • Anerkennungsverfahren ausländischer Lehramtsabschlüsse erleichtern und beschleunigen
  • Berufsbegleitende Ausbildung im Fach DaZ
  • Erweiterungsstudium DaZ attraktiver gestalten
  • Sprachliche Bildung als Leit-/Querthema in allen Lehramtsstudiengängen
  • Einhaltung des DaZ-Lehrplans: Vermeidung von DaZ-Ausfallstunden um Vertretungsunterricht abzusichern
  • Bildungsungerechtigkeit entgegenwirken
  • Festschreibung der maximalen Anzahl von Schülerinnen und Schülern in Vorbereitungsklassen mit einer gleichmäßigen Verteilung der DaZ-Schüler auf alle Schulen und keine Konzentration auf wenige Brennpunkte.
  • Kleinere Lerngruppen, mehr Förderstunden, bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige Daz-Förderung und eine bessere Verzahnung von Sprachförderung und Fachunterricht.

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