Ein „wegweisender Beschluss“? Die Bildungsminister feiern sich – und lassen die Schulen im Kampf um die Demokratie allein

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BERLIN. Die Kultusministerkonferenz will die Demokratiebildung an Schulen stärken – mit einer feierlichen Erklärung zur deutschen Wiedervereinigung. Das Problem: Während sich die Bildungsministerinnen und -minister selbst auf die Schultern klopfen, greift unter Jugendlichen rechtsextremes Gedankengut um sich. Die Schulen stehen an vorderster Front – aber ohne Rückendeckung. Ein Kommentar von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.

Neuntklässler aus Görlitz zeigen im März den rassistischen White-Power-Gruß in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz – und posten dieses Foto von ihrer Aktion auf Instagram (farblich bearbeiteter Screenshot).

Man stelle sich vor: In Deutschland radikalisiert sich eine wachsende Zahl junger Menschen. Rechtsextreme Memes kursieren auf Schulhöfen. Jugendliche provozieren in Auschwitz mit Nazi-Parolen. Lehrkräfte schlagen Alarm – Extremismusforscher ebenfalls. Und was tun die Kultusministerinnen und -minister der Länder? Sie verfassen eine Erklärung zur Erinnerung an die Wiedervereinigung. Das haben sie nun angekündigt.

Kein Witz.

„Die Wiedervereinigung ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie Demokratie gelingt“, so wird der rheinland-pfälzische Bildungsminister Sven Teuber (SPD) in der Pressemitteilung der Bildungsministerkonferenz (BMK) zitiert. „Gerade 35 Jahre nach der Wiedervereinigung ist es wichtiger denn je, jungen Menschen konkrete Zugänge zu demokratischer Bildung zu eröffnen.“

Das klingt gut. Ist aber im vorliegenden Fall bestenfalls Symbolpolitik – und im schlechtesten Fall: fahrlässig.

Was genau hat die BMK verkündet? Im Wortlaut: „2025 jährt sich die deutsche Wiedervereinigung zum 35. Mal. Die Bildungsministerkonferenz hat beschlossen, anlässlich dieses Jahrestags eine Erklärung zu verabschieden, die auf die historisch-politische Bedeutung des 3. Oktober 1990 verweist. Die Erklärung soll Schulen dazu ermutigen, sich mit der Geschichte der Wiedervereinigung auseinanderzusetzen und damit die Demokratiebildung zu stärken.“

Die Erklärung werde von einer Redaktionsgruppe erarbeitet und der „Amtschefskonferenz Bildung“ im September in Entwurfsform vorgelegt, so heißt es. Anschließend folge ein Umlaufverfahren auf Ebene der Bildungsministerkonferenz. Die finale Erklärung soll dann im Vorfeld des Jahrestages der Wiedervereinigung am 3. Oktober 2025 veröffentlicht werden. Wow.

Kein Wort verliert die BMK in ihrer Pressemitteilung über das, was Schulen gerade tatsächlich beschäftigt: den zunehmenden Einfluss rechtsextremer Strömungen auf Kinder und Jugendliche. Kein Wort über antisemitische Provokationen auf Klassenfahrten, keine Silbe über rechtsextreme Codes in Klassengruppen oder Hassvideos in sozialen Netzwerken. Und schon gar nichts zu zusätzlichen Ressourcen, mit denen Schulen gegensteuern könnten.

Stattdessen: Appelle. Ein bisschen Sonntagsrhetorik. Und jede Menge Selbstlob. Der Beschluss sei „wegweisend“, heißt es wörtlich. „Durch eine gemeinsame Erklärung aller Länder senden wir ein starkes Signal: Die Vermittlung demokratischer Werte und historischer Zusammenhänge ist ein zentraler Bildungsauftrag, dem wir uns alle verpflichtet fühlen“, meint KMK-Präsidentin Simone Oldenburg (Linke).

Nein. Wegweisend wäre gewesen, wenn sich die Bildungsminister*innen ernsthaft der Realität stellen würden. Einer Realität, in der Schulen die Demokratie längst nicht mehr nur „vermitteln“, sondern aktiv gegen ihre Feinde verteidigen müssen – oft ohne die nötige Unterstützung. Einer Realität, in der Lehrkräfte kaum noch hinterherkommen, mit ihren Schülerinnen und Schülern über demokratische Werte zu sprechen, weil sie mit multiplen Herausforderungen beschäftigt sind: Lehrkräftemangel, soziale Spannungen, Überlastung. Und ja, eben auch: Radikalisierungstendenzen unter Jugendlichen.

Der Extremismusforscher Johannes Kiess bringt es auf den Punkt. Er warnte unlängst: „Wir beobachten deutschlandweit mit Fokus auf Ostdeutschland und insbesondere Sachsen Raumgewinne von Neonazis“ – eben auch an Schulen. Rechtsextremismus habe in manchen Gegenden eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit erreicht. „Es gilt vielen als normal, die AfD zu wählen, eine gesichert rechtsextreme Partei.“

„Wenn wir uns die extreme Rechte als Bewegung angucken, dann geht es darum, Raumgewinne zu zementieren“

Diese Entwicklung erlaube es, rechtsextreme Provokationen öffentlich auszuleben – sogar an einem Ort wie Auschwitz. In der KZ-Gedenkstätte hatten unlängst Schüler während einer Schulfahrt mit dem rassistischen White-Power-Gruß posiert und Bilder davon in Sozialen Medien veröffentlicht (News4teachers berichtete). Das Verhalten der Jugendlichen sei dabei weniger das Hauptproblem, so Kiess. Viel gravierender sei, dass sie offenbar davon ausgingen, damit sozial akzeptiert zu werden: „Das wirft ein wirklich besorgniserregendes Bild zurück auf die Gesellschaft.“

Die wiederkehrende Provokation sei dabei nicht zufällig, sondern ein kalkuliertes Vorgehen, das Nachahmer finde. Das Ziel sei klar: „Wenn wir uns die extreme Rechte als Bewegung angucken, dann geht es darum, Raumgewinne zu zementieren“, erklärt Kiess. Dort, wo bereits ein rassistisches oder ausländerfeindliches Klima herrsche, versuchten Rechtsextreme, ihre Dominanz weiter auszubauen. Kiess warnt: Schulen dürften mit der Entwicklung nicht allein gelassen werden.

Im Klartext: Lehrkräfte brauchen dringend Hilfe bei ihrer Demokratiebildung, etwa durch Schulsozialarbeit, Präventionsprogramme, außerschulische Partner und Fortbildungsmöglichkeiten. All das? Kein Thema bei der BMK.

Natürlich ist es richtig, an die Wiedervereinigung zu erinnern. Ob sie als Beispiel für das Gelingen demokratischer Prozesse taugt? Der Beweis steht noch aus. Studien zu politischen Einstellungen belegen immer wieder das geringe Vertrauen in die Demokratie bei vielen Menschen insbesondere in Ostdeutschland. Ganz sicher reicht Erinnerungskultur nicht als Antwort auf den aktuellen Rechts(extremismus)ruck aus. Der findet nicht in den Geschichtsbüchern statt, sondern auf TikTok, in Telegram-Gruppen – und auf den Schulhöfen dieses Landes.

Wer die Demokratiebildung stärken will, darf sich nicht nur auf die Vergangenheit berufen, sondern muss die Gegenwart ernst nehmen. Schulen brauchen jetzt ein starkes politisches Signal, dass sie nicht allein sind in diesem Kampf. Und sie brauchen mehr als Worte.

Was die BMK liefert, ist die Ankündigung einer Erklärung. Was Schulen brauchen, ist Unterstützung. News4teachers

Hier geht es zur Pressemitteilung der BMK. 

„Neonazi-Trend“ unter Jugendlichen – Rechtsextremismus-Forscher schlägt Alarm und fordert Unterstützung für Schulen

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16 Kommentare
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Rainer Zufall
3 Monate zuvor

Zustimmung bezüglich der BMK, was den Fall auf dem Bild angeht wissen wir inzwischen aber, dass es ein wohl ein Video war, dass es in Auschwitz “OK” war oder so…

Ich frage mich, wie viele Taucher*innen auf Fotos in einer Gruppe stehen, um dieses Zeichen zu geben… (kenne solche Grüße eher von Gruppen anderer Couleur)

Rainer Zufall
3 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Danke für die Klarstellung.
Ich dachte schon, es wären Taucher 🙂

Rüdiger Vehrenkamp
3 Monate zuvor

“Die Demokratie” ist mehr als nur linke Ansichten zu vertreten, aber genau dieser Eindruck wird vermittelt, wenn man einen Blick in die sozialen Medien wirft, wo inzwischen selbst die Unionsparteien als rechtsradikal betitelt werden. Im Diskurs haben sich Dinge verschoben und den Nährboden für Probleme geschaffen, die wir vor zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren noch nicht hatten. In diesem Zusammenhang wurde der Nazi-Begriff derart inflationär benutzt, dass er seinen Schrecken komplett verloren hat. Dies sehe ich mit als einen Grund für die vermehrten Vorfälle. Überhaupt verlagern sich die Wahlentscheidungen an die Ränder, sodass man bei der aktuellen Regierung nicht mehr wirklich von einer “großen” Koalition sprechen kann. Laut einem aktuellen Artikel bei focus.de (vgl. https://www.focus.de/politik/deutschland/mit-dem-kampf-gegen-rechts-will-die-spd-von-einer-bitteren-wahrheit-ablenken_48de2d64-3413-42ed-8ae6-214b40172af5.html) wanderten bei der letzten Bundestagswahl 720.000 Wähler von der SPD zur AfD. Wie kann das sein? Das sind nicht plötzlich alles Nazis geworden.

Zu meiner Schulzeit in den 90ern gab es kaum Partizipationsmöglichkeiten für Schüler und dennoch wurden wir – abgesehen von Einzelfällen – lupenreine Demokraten. Auf Demos gegen die NPD bin ich seinerzeit selbst mit gelaufen. Auf Demos gegen Rechts finden Sie mich aktuell aber nicht, da hier auch immer gleich gegen die CDU mit aufgelaufen wird und das schießt meiner Meinung nach über das Ziel hinaus. Rechts-konservative Meinungen sind ein Teil der Demokratie, selbst wenn einige Vertreter dies anders sehen. Dies deutlich zu machen und herauszustellen, wäre ein erster Schritt, das Vertrauen wieder wachsen zu lassen – und sich die Probleme der Menschen, vor allem in Ostdeutschland, vorurteilsfrei anzuhören. Einfacher ist es natürlich, ganz Ostdeutschland als “Dunkeldeutschland” zu bezeichnen, aber dann braucht sich niemand über die aktuellen Entwicklungen wundern.

Pamina
3 Monate zuvor

Diese unsägliche Gleichsetzungsversuche von linkem und rechtem Radikalismus wird der heutigen Realität nicht gerecht. Das hat die CSU bei der Nichtwahl von Frau Reichinnek auch wieder exzellent durchexeziert.
Auch Frau Ex-Weinkönigin Klöckner hat das eben in der ARD wieder gemacht.
Aber die AfD und ihre Konsorten sind NICHT gleichzusetzen mit dem, was von der o.g. eben wieder “linker Rand” genannt wurde.

447
3 Monate zuvor
Antwortet  Pamina

Doch.
Die sind nur kleverer und kader-erfahrener.

DerechteNorden
3 Monate zuvor

Ich finde, dass Sie übertreiben, was die Einordnung der CDU angeht.
Besonders interessant ist, dass gerade in den Foren bei focus.de die CDU links verortet wird.
Kommt also darauf an, WELCHE Medien man konsumiert.

Was die Wähler*innenwanderung von der SPD zur AfD angeht, bin ich gar nicht verwundert, da die SPD ja auch von vielen mit geringerem Einkommen gewählt wurde. Denen ist Migration ein Dorn im Auge, weil Zugewanderte ihnen angeblich – vereinfacht ausgedrückt – alle was wegnehmen.

Cornelia
3 Monate zuvor

Richtig, das muss auch mal gesagt werden. Man wundert sich, wenn man irgendwo liest, behinderte Schüler würden mit ” grauen Bussen abgeholt” und in die Schule gefahren werden, oder Migranten, die in ein sicheres Herkunftsland zurück geführt werden ( worüber man durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann), würden ” deportiert”. Das sind schlimme Verharmlosungen der Gräuel des Nationalsozialismus.

Ich würde mir wünschen, dass die Arbeit der Zeitzeugen durch deren Nachfahren fortgesetzt wird oder durch andere Menschen, die sich viel wirklich authentisches Wissen über die Zeit des Nationalsozialismus angeeignet haben.

Cornelia
3 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Der Begriff ” Remigration” ist natürlich verharmlosend, beschönigend und dadurch menschenverachtend.

Der Begriff “Deportation” , anfangs in Nationalsozialismus auch euphemistisch verwendet, war allerdings in der Nachkriegszeit und ist noch bis heute untrennbar verbunden mit Zwangsaufenthalten und Inhaftierung in Konzentrationslagern , Gaskammern und sonstigen Kriegsverbrechen.

vhh
3 Monate zuvor

Von den Bildungsministern erwarte ich nichts, wirklich absolut nichts mehr. Die KMK ist eines der besten Beispiele dafür, wie PolitikerInnen sich inzwischen selbst davon überzeugt haben, dass Symbole die Realität sind. ‘Wir haben beschlossen, bis zum 3.10. eine Erklärung zu beschliessen…’ – braucht es noch mehr unfreiwillige Komik?
Das alles, während eine AfD so tut, als hätte sie Lösungen für alle Probleme der Realität. Es tut mir wirklich leid, aber wenn das alles ist, was die demokratischen Parteien anbieten können… Ja, wir stehen ziemlich allein da und können auch nur mit guten Worten und möglichst gutem Beispiel dem Erziehungsauftrag nachkommen, die positiven Beispiele aus der Realität fehlen leider.
Versucht es doch einmal mit einer kompromissbereiten Realpolitik, redet mit euren erhofften Wähler, erklärt diesen Wählern was warum geht oder nicht geht. Menschen ernst zu nehmen, deren Intelligenz nicht zu beleidigen, das funktioniert bei Schülern. Vielleicht sogar bei Wählern, überzeugen und diskutieren dauert halt leider etwas länger. Was stellt ihr euch vor, die Schulen nehmen den Zauberstab und alle wenden sich wieder begeistert denen zu, die ihre Wähler nur alle vier Jahre entdecken? Wir entlassen die berühmten lupenreinen Demokraten, die ihr Leben lang staatstragend wählen, egal wie sie regiert werden?
Aber ich erwarte ja nichts…

Hans Malz
3 Monate zuvor

„Durch eine gemeinsame Erklärung aller Länder senden wir ein starkes Signal: Die Vermittlung demokratischer Werte und historischer Zusammenhänge ist ein zentraler Bildungsauftrag, dem wir uns alle verpflichtet fühlen“

Na dann kann ja nichts mehr passieren. Gut, dass man sich kümmert. Derartig gestärkt warte ich auf die laminierte Handreichung und bereite schonmal die Projektwoche vor. Die entscheidende Frage, die mich umtreibt ist aber: Glauben die das eigentlich selber?

Kerstin
3 Monate zuvor

“Kampf um Demokratie”, so als hätten wir es nur noch mit Nazis zu tun, die an jeder Ecke stehen, um den Staat zu stürzen, kann ich nicht mehr hören.
Ich kriege davon so gut wie nichts mit und will mir das auch nicht ständig einreden lassen.

Unverzagte
3 Monate zuvor
Antwortet  Kerstin

Autismus oder doch Ignoranz im Endstadium ?