„Mehr als naiv“! Bildungsforscher Zierer kontert Kritik an einer (möglichen) TikTok-Altersgrenze

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AUGSBURG. TikTok erst ab 14? Oder doch ab 16? Der Ruf nach einer gesetzlichen Altersgrenze für soziale Medien wird lauter – „endlich“, sagt Schulpädagogikprofessor Klaus Zierer. Er unterstützt den Vorstoß diverser Politiker*innen und mahnt vor den gravierenden Folgen früher Social-Media-Nutzung für Kinder.

Durchgang verboten! (Symbolbild). Illustration: Shutterstock

„Ein übermäßiger und zu früher Konsum von sozialen Medien gefährdet in einem umfassenden Sinn die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen“, warnt Klaus Zierer, Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. In einer aktuellen Pressemitteilung spricht sich der renommierte Bildungsforscher ausdrücklich für eine gesetzliche Altersgrenze aus – und stärkt damit den Vorstoß diverser Politiker*innen, darunter auch Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU).

Prien will sich zwar nicht auf eine fixe Altersgrenze festlegen, hatte aber unlängst gefordert, Kinder im Umgang mit sozialen Netzwerken besser zu schützen (News4teachers berichtete). „Wenn es nicht gelingt, Kinder, vor allem kleinere, jüngere Kinder, ohne übermäßige Bildschirmnutzung aufwachsen zu lassen, dann hat die Gesellschaft insgesamt versagt und die Kinder im Stich gelassen“, sagte die CDU-Politikerin im Deutschlandfunk. „Ich glaube, wir müssen uns bewusst machen, dass wir über massive gesundheitliche psychische Störungen und Gefahren für Kinder und Jugendliche sprechen.“ Ebenso befürworten diesen Schritt Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) – ehemalige Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz – und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU).

Umfangreiche Datenlage durch Hattie-Studie

Nach Auffassung von Zierer unterstützt eine umfangreiche Forschungslage die Position für eine gesetzliche Altersgrenze: Kinder, die viel Zeit mit sozialen Medien verbringen, zeigten schlechtere schulische Leistungen – insbesondere beim Lesen, Rechnen und kritischen Denken. Zudem begünstige exzessive Social-Media-Nutzung psychosomatische Erkrankungen wie Depressionen und fördere Bildungsungerechtigkeit: „Kinder aus bildungsfernen Milieus nutzen soziale Medien in der Regel unsinniger als Kinder aus bildungsnahen Milieus“, so Zierer.

Selbst die Hoffnung, soziale Medien könnten politisches Interesse und Teilhabe fördern, sei empirisch widerlegt, sagt Zierer. Der Schulpädagogikprofessor stützt sich dabei auf John Hatties „Visible Learning“-Studie, eine der umfassendsten Meta-Analysen zur Bildungsforschung.

Die Politik diskutiert – aber uneinig

Die Forderung nach einer Altersgrenze hat es mittlerweile auch auf die politische Tagesordnung geschafft. In Niedersachsen diskutierte jüngst der Landtag, angestoßen durch die Regierungsfraktionen von SPD und Grüne, über die Einführung eines Mindestalters von 14 Jahren für die Social-Media-Nutzung. „Plattformen wie TikTok oder Instagram […] verletzen auch, sie manipulieren, sie gefährden“, mahnte der SPD-Abgeordnete Tim Wook. Klare Regeln statt „digitaler Wildwestzonen“ forderte Grünen-Fraktionschef Detlev Schulz-Hendel. Besonders die Algorithmen der Plattformen standen in der Kritik, da sie gefährliche Inhalte verstärkten – von Selbstverletzung über sexualisierte Sprache bis hin zu extremistischer Ideologie.

Auch Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) zeigte sich bereits Anfang des Jahres offen für eine Altersbeschränkung ab 14 Jahren. „Studien zeigen, dass der Social-Media-Konsum umso schädlicher sein kann, je jünger ein Kind ist“, erklärte sie im Januar.

Zustimmung kommt auch von der oppositionellen CDU in Niedersachsen, allerdings mit Vorbehalten: Colette Thiemann forderte, den Fokus stärker auf realistische Umsetzbarkeit zu legen und Plattformen zur aktiven Moderation und zum konsequenten Jugendschutz zu verpflichten. „Was wir brauchen, ist keine Wunschliste für alle Eventualitäten, sondern ein verantwortbarer, umsetzbarer und rechtsklarer Schutzansatz.“

Widerstand von CSU und Deutschem Lehrerverband

Ganz klar gegen eine Altersbeschränkung hat sich derweil CSU-Chef Markus Söder positioniert. Er bezeichnete das Vorhaben laut Bayerischem Rundfunk (BR) als „totalen Quatsch“ und „realitätsfremd“, die Forderung als „ein bisschen altbacken, altmodisch und aus der Zeit“. Ein Verbot würde den Reiz der sozialen Medien nur stärken. Ebenso kommt Widerstand vom Deutschen Lehrerverband (DL). Verbote seien kaum durchsetzbar, sagt Medienberichten zufolge dessen Präsident Stefan Düll: Die sozialen Medien seien Teil der Lebenswelt junger Menschen, sie bräuchten daher Chancen, Medienmündigkeit zu erwerben.

Aus Sicht von Klaus Zierer lässt sich die Argumentation gegen eine Altersgrenze nicht halten. So sei die Fähigkeit zur „Selbstkontrolle im Umgang mit sozialen Medien alters-, entwicklungs- und kompetenzabhängig“. Er verweist dabei auf die Entwicklung des präfrontalen Kortex. Dieser sei für die Impulssteuerung entscheidend, wenn beispielsweise Nachrichten hereinkommen. Diese Entwicklung sei bei Jugendlichen erst mit etwa 16, mitunter sogar erst mit 25 Jahren vollständig abgeschlossen. „Der junge Mensch kann den Umgang mit sozialen Medien selbst nicht verantwortungsvoll steuern“, folgert der Schulpädagoge.

Hinsichtlich der Wirksamkeit eines Verbots empfiehlt Zierer, eine Altersbegrenzung mit pädagogischen Maßnahmen zu begleiten. Diese sollten zur Reflexion anregen und das Verständnis wecken, dass diese Maßnahmen wichtig sind. Medienerziehung sei wichtiger denn je und müsse immer als Flankierung von Verboten gesehen werden. Mit Blick auf den bayerischen Ministerpräsident Söder ergänzt er: „Wer heute die Gefahren eines unreflektierten Umganges mit sozialen Medien noch nicht erkannt hat, ist im Gestern hängengeblieben und mehr als naiv.“ Es sei geradezu fortschrittlich, aktuelle Forschungen aufzugreifen und einen bildungspolitischen Kurswechsel einzuleiten, wenn empirische Fakten dies erfordern.

„Das Recht des Kindes auf ein analoges Leben“

Bestätigt sieht sich Zierer zudem in einem Ergebnis der aktuellen Jugendtrendstudie des Instituts für Generationenforschung. Demnach befürworteten fast 50 Prozent der befragten Jugendlichen selbst ein Mindestalter von 16 Jahren. Dies sei ein „wichtiges Zeichen und ein Aufruf der Partizipation. „Seit Jahren hat sich die Kindheit immer mehr zu einer bildschirmbasierten Kindheit entwickelt“, kritisiert Zierer. Die Defizite seien hinlänglich bekannt. Er fordert: „Es ist höchste Zeit, den Kindern wieder eine spielbasierte Kindheit zu ermöglichen und damit das Recht des Kindes auf ein analoges Leben ernst zu nehmen.“ News4teachers / mit Material der dpa

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Canishine
3 Monate zuvor

Ganz klar gegen eine Altersbeschränkung hat sich derweil CSU-Chef Markus Söder positioniert. Er bezeichnete das Vorhaben laut Bayerischem Rundfunk (BR) als „totalen Quatsch“ und „realitätsfremd“, die Forderung als „ein bisschen altbacken, altmodisch und aus der Zeit“. Ein Verbot würde den Reiz der sozialen Medien nur stärken“
Man könnte meinen, Herr Söder hätte hier die Argumente zur Cannabis-Legalisierung fast wörtlich übernommen. Flexibel ist er ja.

Einer
3 Monate zuvor

Herr Zierer hat vollkommen recht. Ein solches Verbot lässt sich überhaupt nicht durchsetzen und damit ist es völliger Nonsens. Abgesehen davon, dass in den meisten EuLa der asozialen Medien eine Altersgrenze von 16 Jahren steht. Hält sich nur niemand dran. EuLa ist kein Gesetz, aber genauso wenig würde sich irgendein Jugendlicher an eine gesetzliche Altersgrenze halten, die nicht durchgesetzt werden kann.

Schrankwand
3 Monate zuvor

Ja, das ist wirklich total naiv, weil es massenhaft unterlaufen wird, auch und gerade von denen, die es “missbräuchlich gebrauchen”. Wir haben ein Handyverbot an unserer Schule und das wird auch ständig unterlaufen und das ist ja nur das, was wir mitbekommen, weil wir jemanden erwischen!!! Wie viele sind raffiniert genug, sich nicht erwischen zu lassen.

Und was bringt das, wenn trotz Altersgrenzen, die es ja hier und da schon gibt, die Eltern nicht nur nicht aufpassen, sondern aktiv an der Unterlaufung mitmachen. Ich habe Grundschulkinder, die haben Whatsapp, die sind bei TikTok, die haben eigene YouTube-Kanäle und und und………

blau
3 Monate zuvor

Kinder und Jugendliche brauchen kein Social Media. Es ist andersrum: Social Media braucht Kinder und Jugendliche für maximalen Profit. Was werden wir diesen noch alles unterordnen?!

TeDeo
3 Monate zuvor

An alle, die klagen, wie unrealistisch eine Durchsetzung dieses Verbots sei:

https://www.derstandard.de/story/2000129785943/tiktok-beschraenkt-in-china-bildschirmzeit-fuer-kinder-auf-taeglich-40

Der Anbieter dieses digitalen Rauschgifts weiß sehr genau um die Folgen und hat natürlich Möglichkeiten, missliebiges Nutzungsverhalten und ungewollte Inhalte jeder Art dort jederzeit zu unterdrücken (Wer es nicht glaubt: Viel Erfolg bei der Suche nach TikToks zum Platz des himmlischen Friedens).

Das Tolle an Gesetzen ist, dass sie den Urheber des Schadens in die Pflicht nehmen können, statt Millionen Einzelfälle kleinteilig zu verfolgen, oder gleich ganz nur an die Elternverantwortung zu appellieren.

Nanu
3 Monate zuvor
Antwortet  TeDeo

Ich fühle mich veräppelt. Ihr Link belegt mitnichten, dass China so ein Verbot erfolgreich umsetzt, z.B. durch irgendwelche technischen Überwachungen. China hat diese Verbote beschlossen oder ruft dazu auf und da steht, die Eltern sollten die Kinder bei der Anmeldung bei xy “unterstützen”, sprich dafür sorgen, dass wahrheitsgemäße Angaben gemacht werden, sodass Altersbestimmungen greifen. Ja, was, aber wenn nicht? Das ist ja auch hierzulande der Punkt.

Es liefen früher Filme im Fernsehen, da stand vorher, sie seien für Kinder unter … Jahren nicht geeignet. Das war alles. Aber was, wenn niemand da ist, der sagt: “Mach das bitte aus. Das ist nichts für dich.”

Ihr Link belegt also keine Durchsetzung, wie Sie suggerieren!

Rainer Zufall
3 Monate zuvor
Antwortet  TeDeo

Uff… spätestens, wenn die Deutschen sehen, wie China bezüglich Corona durchgriff…

Rainer Zufall
3 Monate zuvor

“Kinder aus bildungsfernen Milieus nutzen soziale Medien in der Regel unsinniger als Kinder aus bildungsnahen Milieus“, so Zierer.”

Als würden ein paar der schlausten und bestbezahlten Forscher*innen unseres Planeten dafür bezhahlt, unsere Kinder so lange und oft wie möglich am Bildschirm zu halten…

Aber erwachsene Lehrkräft haben ja auch Smartphones (und gehen meines Verständnisssen vorbildlich mit diesen in der Schule um) und der Ruf nach Eigenverantwortung der Eltern kostet so wenig, wie es bisher brachte…
Überlegen wir also, was wir mit der Zeit anfangen, wo Verantwortliche Ihre Zeit in Verantwortung verstreichen lassen, um das Beste aus einer völlig unveränderten Situation zu mache -__-