HANNOVER. Der Ruf nach einem strengeren Zugang zum Gymnasium ist nicht neu – nun sorgt er in Niedersachsen für Streit. CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner fordert Aufnahmetests, weil zu viele Kinder nach einem missglückten Start am Gymnasium wieder zurückgestuft würden. Doch die Lehrkräfte selbst halten nichts davon. Und ein Blick nach Berlin und Baden-Württemberg zeigt: Solche Prüfungen können erhebliche Probleme mit sich bringen.

Im NDR-Sommerinterview erklärte Niedersachsens CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner, es gehe nicht darum, „dass möglichst viele Kinder aufs Gymnasium gingen, sondern dass der Bildungsweg zu den Talenten passe“. Nach seiner Beobachtung erlebt bis zu jedes fünfte Kind nach dem Wechsel an ein Gymnasium Frust, weil es nicht mithalten könne und wieder auf eine andere Schulform wechseln müsse. Das sei für Eltern und Kinder gleichermaßen belastend. Deshalb brauche es „Einstellungs- und Aufnahmetests für das Gymnasium“.
Philologenverband lehnt Tests strikt ab
Doch die Idee stößt bei den Gymnasiallehrkräften selbst auf deutliche Ablehnung. „Solche Tests braucht es ebenso wenig wie ein verpflichtendes Grundschulgutachten“, sagt Christoph Rabbow, Vorsitzender des Philologenverbands Niedersachsen (PHVN). Der Verband vertritt vor allem Gymnasiallehrkräfte. Entscheidend solle vielmehr der Elternwille bleiben. Zudem sei es Aufgabe der Schulen, Kinder in den Jahrgängen 5 und 6 genau zu beobachten und gegebenenfalls – in beide Richtungen – auf die passende Schulform zu wechseln.
Auch das Kultusministerium wiegelte ab: Die Forderung der CDU sei „bildungspolitisch aus der Mottenkiste“. Niedersachsen halte am freien Elternwillen fest – und wolle die Grundschullehrkräfte nicht zusätzlich mit Prüfungen belasten.
Berlin: Kaum ein Kind schafft den Probetag
Wie problematisch Aufnahmeprüfungen sein können, zeigt das Beispiel Berlin. Dort müssen Kinder ohne Gymnasialempfehlung einen sogenannten Probetag absolvieren, faktisch einen Test. Das Ergebnis im Frühjahr war ernüchternd: Nur 2,6 Prozent der Kinder bestanden die Aufgaben in Deutsch, Mathematik und fächerübergreifenden Kompetenzen. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) verteidigte die Regelung: Das sei ein Beleg dafür, dass die Grundschullehrkräfte mit ihren Prognosen richtig lägen. Kritiker sehen das anders: Die GEW warnte, dass die neue Regelung die soziale Auslese beim Übergang aufs Gymnasium verstärke. Auch die Grünen forderten die Rücknahme des Verfahrens.
Baden-Württemberg: „Totalausfall“ Kompass 4
Noch dramatischer verlief der Versuch in Baden-Württemberg. Dort mussten Viertklässler erstmals verpflichtend einen Leistungstest („Kompass 4“) absolvieren, der in die verbindliche Grundschulempfehlung einfließt. Das Ergebnis: Nur sechs Prozent der Kinder erreichten in Mathematik das Niveau für eine Gymnasialempfehlung. Lehrkräfte kritisierten die Aufgaben als überzogen, sprachlich zu anspruchsvoll und in der Bearbeitungszeit kaum zu bewältigen.
Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) sprach von unbefriedigenden Ergebnissen und kündigte Nachbesserungen an. Doch die Kritik riss nicht ab. Der Grundschulverband sprach von einem „Totalausfall“, der Eltern und Lehrkräfte in eine „Ohnmachtsfalle“ treibe. Auch die GEW forderte die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung.
Die Beispiele Berlin und Baden-Württemberg machen deutlich: Aufnahmeprüfungen versprechen Objektivität – sorgen in der Praxis aber für eine Menge Ärger. Der niedersächsische Philologen-Landeschef Rabbow meint deshalb auch: «Aber wenn jemand mit einer Realschulempfehlung sagt, ich probiere das mal aus, wie es da aussieht und ob ich damit klarkomme – ja, warum denn nicht?» Andere Landesverbände sehen das weniger locker: In Baden-Württemberg zum Beispiel hatte der Philologenverband für die Wiedereinführung der verbindlichen Grundschul-Empfehlung gekämpft. News4teachers / mit Material der dpa
Umfragen: Gros der (Sek-I-)Lehrkräfte für verbindliche Grundschulempfehlung
Dass nun ausgerechnet die Philologen etwas dagegen haben, überrascht mich schon. Das wären doch fröhliche Urstände der Auslese.
Bei einem mehrgliedrigen Schulsystem finde ich Aufnahmeprüfungen einigermaßen folgerichtig.
“(…)und wolle die Grundschullehrkräfte nicht zusätzlich mit Prüfungen belasten.”
Warum sollte man auch die Grundschullehrkräfte mit den Prüfungen belasten? Es geht schließlich nicht um die Aufnahme in der Grundschule.
Das die Philologen sich gegen Herrn Lechners Forderung stellen finde ich auch erstaunlich – das hätte ich anders erwartet. Wahrscheinlich bräuchte es dann weniger Gymnasien – das ist wahrscheinlich auch nicht erwünscht – aus welchen Gründen auch immer…Aber wie auch immer, ich gehe davon aus, dass Herr Lechner seine Forderung nicht noch mal wiederholt (bringt keine Wählerstimmen…)…
Es würde allerdings auch bedeuten, dass weniger Lehrkräfte für die Gymnasien benötigt würden und das fände der Philologenverband sicherlich, trotz all seiner Elfenbeinturmallüren, doof.