DRESDEN. Mehr als eine Million Unterrichtsstunden sind in Sachsen im ersten Halbjahr des Schuljahres 2024/25 ausgefallen – fast jede zehnte. Besonders hart trifft es ausgerechnet jene Schulen, an denen die soziale Lage ohnehin schwierig ist: Oberschulen, Förderschulen und Einrichtungen in Regionen mit hohem Migrantenanteil. Das zeigt eine Datenanalyse des MDR. Lehrkräfte schlagen Alarm: Sie seien am Limit, der ständige Kampf gegen den Mangel zermürbe. Sie stecken im Teufelskreis fest.

In Sachsen lässt sich so genau nachvollziehen, wo wie viele Stunden fehlen. Das Kultusministerium hat eine öffentliche Datenbank eingerichtet, in der der Unterrichtsausfall jeder einzelnen Schule abrufbar ist. Eine MDR-Analyse zeigt, dass es dort besonders schlecht aussieht, wo der Förderbedarf am höchsten ist. Während an Grundschulen im Schnitt 5,1 Prozent der Stunden entfielen, lag die Quote an Gymnasien bei 7,2 Prozent. Deutlich höher ist sie an Oberschulen (14,8 Prozent) und Förderschulen (15,2 Prozent).
Mehr Ausfall, wo die Belastung am größten ist
Noch klarer wird der Zusammenhang, wenn man den Anteil der Kinder mit Migrationsgeschichte betrachtet. Laut MDR-Analyse fallen an Grund- und Oberschulen mit mehr als 20 Prozent solcher Schülerinnen und Schüler spürbar mehr Stunden aus: Im Schnitt kommt in jeder Klasse rund eine zusätzliche Unterrichtsstunde pro Monat zum ohnehin hohen Ausfall hinzu. Was klein klingt, summiert sich über das Schuljahr hinweg erheblich – und bedeutet für Lehrkräfte wie für Schülerinnen und Schüler: Die ohnehin Schwächsten verlieren systematisch Unterrichtszeit.
Warum fällt denn an Schulen mit hohem Migrationsanteil mehr Unterricht aus? „Wenn in einer Grundschulklasse die einen schon reif fürs Gymnasium sind, während die anderen nicht einmal Deutsch können, ist das eine riesige Herausforderung“, erklärt Bildungsforscher Marcel Helbig, der am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe arbeitet, gegenüber dem MDR. Dazu komme die soziale Lage: Viele geflüchtete Familien hätten in den vergangenen Jahren in Plattenbauvierteln eine Wohnung gefunden. „Es ist naheliegend, dass man dann als Lehrkraft deutlich mehr leisten muss.“
Überlastete Kollegien verzeichnen hohe Krankenstände – der große Vertretungsbedarf belastet die verbliebenen Kollegen dann noch stärker, wodurch auch sie absehbar ausfallen: ein Teufelskreis.
Lehrkräfte: zwischen Anspruch und Realität aufgerieben
Lehrerverbandsvertreter René Michel, Oberschullehrer in Radeberg, spricht von einer massiven Überforderung. Deutsch als Zweitsprache werde im Lehramtsstudium nicht als eigenständiges Fach angeboten, sondern lediglich als Zusatzqualifikation. Entsprechend fehle es an spezialisierten Lehrkräften. Hinzu kämen übervolle Klassen: „DaZ-Klassen mit bis zu 28 Kindern erschweren die Förderung enorm. Deutschland versteht sich als Einwanderungsland – dann muss man im Schulsystem entsprechend reagieren.“
Das geschieht aber nicht. Für viele Lehrkräfte bedeutet das: Sie müssen jeden Tag improvisieren, zwischen Sprachförderung, Unterrichtsausfall und schwierigen sozialen Lagen balancieren. Helbig urteilt hart: „Aus einer Gerechtigkeitsperspektive müssten wir eigentlich alles dafür tun, um den ohnehin benachteiligten Schülerinnen und Schülern am meisten unter die Arme zu greifen. Derzeit passiert jedoch das Gegenteil.“
Stadt versus Land: Abgelegene Regionen besonders betroffen
Der Unterrichtsausfall zeigt ein zweites Muster: Je ländlicher die Region, desto größer das Problem. In abgelegenen Gegenden wie der Lausitz fällt jede siebte Stunde aus, in Großstädten wie Leipzig oder Dresden nur jede zwölfte. Ursache sei die Personalnot, sagt Helbig: „Es gibt eine totale Unterversorgung an Lehrkräften im ländlichen Raum.“
Von fast 1.000 Bewerbungen für den Schuldienst gingen laut Kultusministerium rund 80 Prozent in die drei Großstädte, nur 20 Prozent in Zwickau und Bautzen. Zwar versuche das Ministerium mit Abordnungen und finanziellen Zuschlägen gegenzusteuern, doch die Lücken bleiben – für die Lehrkräfte auf dem Land ein Dauerstress.
Kultusminister Clemens wirbt für Solidarität – Kritik aus der Praxis
Kultusminister Conrad Clemens (CDU) hatte im Frühjahr angekündigt, den Unterrichtsausfall halbieren zu wollen. Für das aktuelle Schuljahr wurden 1.114 neue Lehrkräfte eingestellt. Damit sollen die Lücken zwar kleiner werden – doch weil viele Stellen gerade an Oberschulen und im ländlichen Raum unbesetzt bleiben, setzt das Ministerium zusätzlich stark auf Abordnungen von Grund- und Gymnasiallehrkräften.
Genau daran entzündet sich die Kritik in den Lehrerzimmern. Der Sächsische Lehrerverband spricht von einer „radikalen Abordnungsstrategie“, mit der Lehrkräfte wie Spielfiguren verschoben würden. Auch Oppositionsparteien warnen: „Neues Schuljahr, alte Probleme: Der Lehrkräftemangel bleibt nach wie vor ein Dauerbrenner an Sachsens Schulen“, so die Grünen-Abgeordnete Christin Melcher. Die SPD mahnt Augenmaß an. Abordnungen könnten nur kurzfristig helfen, hieß es. Die Linke forderte eine ehrliche Ursachenanalyse und warnte davor, dass die Maßnahmen vor allem ältere Lehrkräfte zusätzlich belasten.
Strukturelle Probleme bleiben ungelöst
Im Hintergrund tickt die demografische Uhr: In den kommenden Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente. Gleichzeitig waren in den 2000er-Jahren in Ostdeutschland kaum Lehrkräfte eingestellt worden. „Jetzt kommt alles zusammen wie ein perfekter Sturm“, warnt Helbig laut MDR. Für ihn ist klar: „Was an Oberschulen mittlerweile als normal gilt, würde die Elternschaft an Gymnasien niemals hinnehmen.“
Damit wird ausgerechnet an den Schulen mit den größten Herausforderungen die Bildungsungleichheit weiter verschärft. Statt Entlastung erleben Lehrkräfte dort einen Arbeitsalltag, der sie oft bis an die Grenzen bringt. Ist jetzt ein Hoffnungsschimmer am Horizont erkennbar? Mit dem Startchancenprogramm wollen Bund und Länder in den kommenden zehn Jahren 20 Milliarden Euro in bundesweit 4.000 besonders belastete Schulen investieren – in Sachsen sind 189 Einrichtungen dabei. Ziel ist es, den Einfluss der sozialen Herkunft auf den Bildungserfolg zu verringern. Doch Lehrkräfte im Freistaat haben Zweifel, ob dies schnell genug wirkt. Sie fordern mehr Personal, bessere Ausstattung und eine systematische Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund.
Denn solange gerade an den Brennpunktschulen besonders viel Unterricht ausfällt, bleibt die Perspektive düster: Die Ungleichheit wächst – und diejenigen, die sie abfedern sollen, fühlen sich zunehmend allein gelassen. News4teachers / mit Material der dpa
Hier geht es zur vollständigen MDR-Analyse.
Schulen im Brennpunkt beklagen vor allem: fehlende Unterstützung der Eltern
“Das Kultusministerium hat eine öffentliche Datenbank eingerichtet, in der der Unterrichtsausfall jeder einzelnen Schule abrufbar ist.”
Unironisch: das halte ich für eine gute Sache! Ich hoffe, dass alle Länder es so halten und Vertretungsstunden nicht mit geplantem Unterricht gleichsetzen.
Wenn in dieser Datenbank nicht gleichzeitig steht, wie hoch die Unterrichtsversorgung ist, wie viele Lehrkräfte aufgrund von Dauerkrankheit oder Abordnungen gar nicht verfügbar sind, in welchen Fächer der Unterrichts ausfallen muss, da gat nicht genügend Fachlehrer zur Verfügung stehen, wie viel Ausfall durch einen gesetzlichen Anspruch ensteht, der vom Dienstherrn nicht ausgeglichen wird (z.B: Kinderkrankentage, Mutterschutz, Elternzeit), dann ist so eine Datenbank reinste Augenwischerei, die vorgaukelt, die Schule vor Ort sei für den Unterrichtsausfall irgendwie “verantwortlich”.
“reinste Augenwischerei, die vorgaukelt, die Schule vor Ort sei für den Unterrichtsausfall irgendwie “verantwortlich”.”
Ich glaube, diese Sorge ist nicht allzu wahrscheinlich – der Lehrkräftemangel ist ja kein Geheimnis
Man sollte meinen das Menschen das verstehen. Doch ich glaube jede Lehrkraft kann mindestens von einer Situation berichten von der sehr klar war, dass die Schule nicht in der Verantwortung war und trotzdem verantwortlich gemacht wurde.
80% der Menschen denken aber nicht so differenziert. Deshalb haben es linke und rechte Populisten und die Ideologen aller Parteien immer wieder so leicht.
Nur eine Minderheit bildet sich eine eigene Meinung.
Kultusminister Clemens hat über alle Köpfe hinweg Maßnahmen gefahren,die die Lehrerinnen und Lehrer allein ausbaden müssen. Denke,er ist mehr oder weniger in allen Lehrerzimmern unten durch.
War das mit unseren Kultusministern schon jemals anders? Das Amt des Kultusministers wird mit Leuten besetzt, die anderweitig keine Verwendung hatten, denn dieses Amt ist alles andere als beliebt, man müsste längst sehr hart arbeiten. Und entsprechend fallen die Entscheidungen in diesem, wie ich jetzt finde, total wichtigen Bereich aus, denn Bildung ist der letzte Trumpf, den wir noch haben, und er wird gerade verspielt.
Immer wieder wird auf das Startchancen Programm verwiesen. Doch in Sachsen ist die Auswahl der teilnehmenden Schulen höchst intransparent. So gibt es Schulen mit 0,0% an Schülern mit Migrationshintergrund, die vom Startchancen Programm profitieren.
Andererseits gibt es z.B. eine Grundschule in Dresden mit 68% an Schülern mit Migrationshintergrund, die nicht in diesem Programm aufgenommen wurde. Dort werden sogar die Mittel gekürzt.
Vielleicht könnte die Redaktion dort auch einmal nachforschen?
Dass Lehrkräfte an Brennpunktschulen massiv belastet sind, bestreitet niemand. Das ist längst kein Skandal mehr, sondern trauriger Alltag. Doch statt endlich strukturell gegenzusteuern, setzt das Kultusministerium auf eine neue Strategie: pädagogisches Kamikaze im Rotationsprinzip.
Man schickt Kolleginnen und Kollegen aus halbwegs funktionierenden Schulen in die Brandzonen – nicht etwa mit Konzept, sondern mit Hoffnung und Durchhalteparolen. So wird aus punktueller Überlastung ein flächendeckender Kollaps.
Die Folge? Wer kann, flieht. Aus dem System, aus dem Beruf, aus der Verantwortung, die längst zur Zumutung geworden ist. Und die, die bleiben, dürfen die Lücken stopfen – mit noch mehr Stunden, noch mehr Chaos, noch mehr Frustration.
Und als wäre das nicht genug, serviert das Kultusministerium unter Leitung von Herrn Clemens ein Maßnahmenpaket, das selbst hartgesottene Kollegien ins Schleudern bringt:
Solidarität als Brandbeschleuniger, Abordnungen als Brandstifter, und das Ministerium als Feuerwehr, die mit Benzin löscht.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Clemens – einfach genial! Ein System brennt schon, und Sie zündeln munter weiter.
Liebe Katze, wie recht Sie haben.
Zu Ihrem Punkt “Engagement? Ab sofort ehrenamtlich” möchte ich aus eigener Erfahrung hinzufügen, dass Ehrenamtler eine Aufwandsentschädigung bekommen (z.B. An- und Abreise, Arbeitsmaterial, ein bisschen Zeitaufwand…).
Was man von den Lehrern verlangt ist allerdings KOSTENLOSES Engagement. Sozusagen “Spaß an der Freud”
Der würde mir, wenn ich noch aktiv wäre, allerdings vergehen.
Also das mit der Aufwandsentschädigung für Ehrenamtler, hält sich bei mir, meinem Mann und anderen, die wir kennen, sehr stark in Grenzen. Material wird gestellt, aber nix Fahrtkosten … Mit der Ehrenamtskarte bekommt man, wenn man gezielt sucht, in einigen wenigen Museen ermäßigten Eintritt und in einigen sehr wenigen Geschäften (die man eh nicht unbedingt braucht) einen kleinen Rabatt.
https://www.berlin.de/buergeraktiv/anerkennung/ehrenamtskarte/
Ab und zu gibt es einen warmen Händedruck und ein “Kaffeekränzchen”. Aber Ehrenamt (auch außerhalb von Schule) macht man ja nicht für irgendwelche Vergünstigungen, sondern für die Gesellschaft…und aus “Spaß an der Freud” (zum Glück gibt es noch genügend “boomer”, die es deshalb machen).
Es freut einen dann doch, wenn sich andere mit den Früchten der Arbeit der Ehrenamtlichen schmücken können und die, die die Arbeit gemacht haben so ganz nebenbei mal kurz erwähnt werden – Das habe ich schon live erleben dürfen und in einem anderen thread schon beschrieben … Ganz großes Kino!
Ich zitiere mich selbst aus dem anderen thread:
“Wie diese kostenlose ehrenamtliche Tätigkeit von der Gesellschaft und Offiziellen “wertgeschätzt” wird, konnte ich kürzlich wieder “live” miterleben. Zum Glück waren das Menschen, denen ihre Arbeit und das Zusammensein wichtiger ist, als ein warmer Händedruck und die kurze Erwähnung, dass die Ehrenamtlichen für dieses Projekt (mit dem “man” sich schmückt ) in den letzten Jahren Hunderttausende! Stunden in ihrer Freizeit leisteten. Die in der Zwischenzeit verstorbenen “nutzlosen Alten” (die viele, viele Stunden am Projekt mitgearbeitet hatten), wurden aus “Pietätsgründen” (?) nicht einmal namentlich erwähnt.
…
Es war unschön! Ich habe mich fremdgeschämt für den Auftritt der Offiziellen vor der Presse. Es betraf zwar nicht mich direkt (ich war nur Gast), aber Menschen, die ich kannte und deren geleistete Arbeit an diesem Projekt ich über einige Jahre verfolgen konnte. Übrigens einige dieser “Ehrenamtlichen” kommen mit ihrer Rente auch nur knapp über die Runden, jammern aber nicht.
Ich arbeite auf einer Schule mit sehr hohem Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund. Meine Schule liegt auch in einer sog. herausfordernden Lage. Die meisten unserer Schüler sind berechtigt für die unentgeltliche Schulbuchausleihe in der die Schüler kostenlos Bücher zu Verfügung gestellt bekommen.
Leider müssen hier die Eltern diese Schulbuchausleihe fristgerecht beantragen und einen Einkommensnachweis einreichen.
Genau hier ist das Problem: Bei der Schulbuchausleihe fehlt regelmäßig die Mitwirkung der Eltern.
Dadurch ist unsere Schulbuchausleihquote relativ niedrig und somit ist unsere Schülerschaft „statistisch“ nicht als „aus einkommensschwachen Familien stammend“ verbucht.
In meinem Bundesland wurde für die Vergabe des Startchancenprogramms wohl unter anderem aber die Quote der unentgeltlichen Schulbuchausleihe herangezogen, um ein Mass für Einkommensschwachheit zu haben.
Folglich sind wir zwar faktisch eine Brennpunktschule, aber trotzdem nicht durch das Startchancenprogramm gefördert.
Hier beißt sich die Katze in den Schwanz.
Wie bei den BuT-Anträgen, erst muss man die Erziehungsberechtigten zwingen, dass sie einen Leistungsbescheid beibringen, um das Einkommen zu belegen. Und bei konkreten Anträgen nützt der Elternbrief mit beigelegten Antragsformular auch nix. Da das Geld aber für irgendeine Gemeinschaftsaktion fehlen würde, füllt man das Formular für die Antragsteller aus und wartet dann wochenlang darauf, dass die Unterschrift unter dem Formular erfolgt und der Antrag zurück kommt. Warum sollten die Antragsteller den denn selbst einreichen, dafür gibt’s doch Servicepersonal. Wer Glück hat hat nur 2 oder 3 dieser Experten in der Klasse. Wenns doof läuft ist das aber bei der halben Klasse der Fall. Aber heftig, es muss mehr Projekte und Unterricht an außerschulischen Lernorten geben
BuT Berechtigte haben bei uns eine Karte…..für alle Leistungen muss also nur die Karte bzw. die Nummer darauf vorgezeigt werden…..läuft eigentlich ganz geschmeidig, denn mit den Nachweisen haben wir nichts mehr zu tun….
Der einzige Haken ist, dass diese Karte oft aktualisiert werden muss. Wer das vergisst, bekommt auch keine Leistungen….