GEW-Schulleitungsstudie: Keine Zeit für Pausen – und krank zur Arbeit

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BERLIN. Die Belastungssituation der schulischen Leitungskräfte überschreitet gesundheitsgefährdende Limits. Das zeigen die Ergebnisse der bisher größten Befragung von Schulleitungen in Deutschland, die die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Auftrag gegeben hatte. „Die hohen Arbeitsanforderungen und -belastungen können kaum kompensiert werden. Viele Schulleitungen haben keine Zeit für Pausen, können nicht abschalten und gehen krank zur Arbeit. Das führt zu einem überdurchschnittlich hohen Burnout-Risiko. Dem muss dringend entgegengewirkt werden“, betont Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule.

Erschöpft. (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

„Die Belastungssituation der Schulleitungen ist sehr ausgeprägt“, sagte Studienleiter Matthias Nübling von der Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften (FFAW). 81 Prozent der Befragten hätten angegeben, den ganzen Tag in einem hohen Tempo zu arbeiten; trotzdem könnten 70 Prozent der befragten schulischen Leitungskräfte ihre Pausenzeiten nur selten oder nie einhalten.

Im Vergleich zu Durchschnittswerten anderer Berufsgruppen in der COPSOQ-Datenbank aus anderen Untersuchungen der FFAW seien die quantitativen und emotionalen Anforderungen der Schulleitungen deutlich erhöht. Speziell die quantitativen Anforderungen lägen mit 73 Punkten nochmals zehn Punkte über dem schon klar erhöhten Wert für Lehrkräfte mit 64 Punkten. Der Durchschnitt aller Berufe in Deutschland betrage hier 54 Punkte, der Wert für die öffentliche Verwaltung 55 Punkte.

„Die Daten zeigen, dass viele Schulleitungen schon über der Belastungsgrenze arbeiten“

Einige Aspekte seien, so Nübling, auch günstig ausgeprägt, zum Beispiel um je mehr als zehn Punkte erhöhte Werte für Entwicklungsmöglichkeiten und für die Verbundenheit mit dem Arbeitsplatz sowie eine deutlich niedrigere Unsicherheit des Arbeitsplatzes.

„Insgesamt reichen die positiven Aspekte aber nicht aus, um die klar erhöhten Belastungen auszugleichen“, unterstrich Nübling. Burnout-Symptome und die Unfähigkeit abzuschalten, seien daher bei den schulischen Leitungskräften klar erhöht – dies gelte in ähnlichem Maß auch für Lehrkräfte im Allgemeinen und sei mit den hohen emotionalen Anforderungen und der hohen Entgrenzung der Arbeit assoziiert.

Präsentismus (Arbeiten trotz Erkrankung) sei bei schulischen Leitungskräften besonders verbreitet; hier würden auf einer Skala von 0 bis 100 58 Punkte erreicht gegenüber 48 bei Lehrkräften im Allgemeinen und 37 Punkten bei der öffentlichen Verwaltung sowie 40 im Schnitt aller Berufe.

„Die Ergebnisse der Schulleitungsstudie sind erschreckend“, sagt Bensinger-Stolze. „Die Daten zeigen, dass viele Schulleitungen schon über der Belastungsgrenze arbeiten. Die ausufernde Arbeitszeit, das hohe Arbeitstempo und Entgrenzungsfaktoren führen zu einem hohen Burnout-Risiko.“ Nur durch das hohe Engagement und die Überzeugung der Schulleitungen, eine sinnvolle und wichtige Arbeit zu machen, würden die quantitativen und emotionalen Anforderungen erfüllt. „Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis aus der überhöhten Schlagzahl bei so mancher Leitungskraft ein krankheitsbedingter Ausfall wird. Die Arbeitgeber müssen dringend Präventionsmaßnahmen ergreifen. Die Tätigkeit als Schulleitung darf nicht krank machen“, betont die GEW-Schulexpertin.

„Krank zur Arbeit zu gehen, damit der Laden läuft, ist unter Schulleitungen leider gang und gäbe“

„So kann es nicht weitergehen“, mahnt Ralf Becker, GEW-Vorstandsmitglied Berufliche Bildung und Weiterbildung, und zeigt Perspektiven auf: „Die Leitungskräfte an Schulen sind nicht nur am Limit, sie gehen häufig über dieses hinaus. Krank zur Arbeit zu gehen, damit der Laden läuft, ist unter Schulleitungen leider gang und gäbe. Der Arbeitgeber muss jetzt handeln. Das sind die zentralen Verbesserungsvorschläge der GEW: Arbeitszeiterfassung, mehr pädagogisches und administratives Personal, Entlastungsstunden und eine – wie im Arbeitsschutzgesetz vorgesehen – regelmäßige Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber.“

„Wir haben eindrücklich nachgewiesen: Gefährdungsbeurteilungen für schulische Leitungskräfte sind möglich“, unterstrich Becker mit Blick auf den mit der Studie entwickelten Fragenkatalog. Die nächsten Schritte: „Die Länder müssen jetzt mit den Landesverbänden der GEW und den Personalräten Gespräche aufnehmen, damit rechtliche Grundlagen und Verfahren geschaffen werden, um die Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes umzusetzen und Gefährdungsbeurteilungen für Leitungskräfte an Schulen als Regelinstrument in allen Ländern einzuführen.

Hintergrund: Die im Arbeitsschutzgesetz (Paragraf 5ff.) verankerte und bewährte Pflichtaufgabe für Arbeitgeber, regelhaft eine Beurteilung der psychischen Belastungen bei der Arbeit durchzuführen, wird bisher für schulische Leitungskräfte selten angewendet, denn die geringe Anzahl der Leitungskräfte einer Schule verhindert eine entsprechende Auswertung bei innerschulischen Gefährdungsbeurteilungen. Eine gesonderte Bewertung für schulische Leitungskräfte gibt es bisher nur in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen im Rahmen der allgemeinen Befragungen der Lehrkräfte inkl. Leitungen an allen Schulen. News4teachers 

Hier lässt sich eine ausführliche Präsentation der Ergebnisse herunterladen. 

Zur Studie

Mit 7.364 teilnehmenden schulischen Leitungskräften aus 14 Bundesländern hat die GEW die bislang umfangreichste Umfrage unter Schulleitungen bei der FFAW in Auftrag gegeben.

Dies entspräche rund 32 Prozent aller Schulleitungen in Deutschland, wenn eine Schulleitung pro Schule teilgenommen hätte. Mit dem von einer Schulleitungsarbeitsgruppe der GEW überarbeiteten COPSOQ-Fragebogen sind spezifische Belastungen der Schulleitungsmitglieder anonym erfasst worden.

Der eingesetzte COPSOQ-Fragebogen ist ein wissenschaftlich umfassend erprobtes Instrument zur Messung psychischer Belastungen im Arbeitskontext. COPSOQ steht für „Copenhagen Psychosocial Questionnaire“. Gemeinsam mit der FFAW hat die GEW den Lehrkräftefragebogen für Leitungskräfte weiterentwickelt, sodass jetzt auch Gefährdungsbeurteilungen explizit für Schulleitungen möglich sind.

Lust auf Schulleitung: Wie sich Lehrkräfte laut Studie gewinnen lassen (nämlich frühzeitig in Verantwortung bringen)

 

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