Messerangriff auf Lehrerin: Islamistischer Hintergrund – und: Gab es zweites Opfer?

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DÜSSELDORF. Überraschende Wende: Der Messer-Angriff auf eine Lehrerin in Essen könnte einen islamistischen Hintergrund haben. Ermittler prüfen laut NRW-Innenminister Reul auch, ob der Schüler auch für ein zweites versuchtes Tötungsdelikt verantwortlich sein könnte. Der tatverdächtige Jugendliche sei der Polizei schon 2023 aufgefallen.

Die Polizei geht den digitalen Spuren des mutmaßlichen Täters nach (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Der Messerangriff auf die Lehrerin eines Berufskollegs in Essen am vergangenen Freitag könnte laut NRW-Innenminister Herbert Reul einen islamistischen Hintergrund haben. In dem Fall des tatverdächtigen 17-jährigen Kosovaren verdichteten sich entsprechende Hinweise, sagte der CDU-Politiker im Innenausschuss des NRW-Landtags. «Der Generalbundesanwalt überprüft derzeit, ob er das Verfahren übernimmt.»

Die 45-jährige Frau war bei der Attacke schwer verletzt worden. Gegen den bei seiner Festnahme rund zwei Stunden nach der Tat schwer verletzten Jugendlichen war Haftbefehl erlassen worden. Er wird im Krankenhaus behandelt und bewacht. Ein Großeinsatz mit Spezialeinheiten war erfolgt, mit in der Spitze gut 280 Einsatzkräften, wie Reul schilderte. Mehrere Hundert Schülerinnen und Schüler hatten über Stunden in dem abgeriegelten Gebäude ausharren müssen.

Videos könnten auf islamistisches Motiv deuten

Der Vorwurf laute derzeit auf versuchten Totschlag, sagte Reul. Aus einer gerade erst neu erfolgten Auswertung von Datenträgern ließen sich auch «Hinweise auf eine religiös motivierte Tat erkennen.» Auf eine Nachfrage im Ausschuss präzisierte der Minister, «Hinweise auf einen islamistisch motivierten Hintergrund verdichten sich.» Es gehe um Videos, die der Tatverdächtige angefertigt habe. Einzelheiten könne er nicht dazu nicht nennen.

Nach dpa-Informationen aus Sicherheitskreisen waren bei einer Hausdurchsuchung zwei Handyvideos sichergestellt worden. Darin bekenne er sich zu der Tat: Die Lehrerin habe den Propheten beleidigt, deshalb habe er zugestochen. Auch sei in dem Clip der Ausruf «Alahu Akbar» zu hören. Unter Berufung auf Sicherheitskreise hatte der «Kölner Stadtanzeiger» zuvor über diese Ermittlungsdetails berichtet.

Die Staatsanwaltschaft Essen habe neben dem Generalbundesanwalt auch die Zentralstelle für Terrorismusbekämpfung informiert. Der Fall gerate mit den neuen Erkenntnissen «in einen ganz anderen Blick». Man habe zunächst gedacht, dass die Tat «etwas mit der Lehrerin und dem Schüler zu tun hatte.» Aber: «Jetzt sieht das anders aus.»

Tatverdächtiger seit 2023 polizeilich auffällig

Der Jugendliche sei polizeilich schon 2023 wegen «Bedrohung, Verstoß gegen das Waffengesetz beziehungsweise gefährliche Körperverletzung und Besitz von Kinderpornografie aufgefallen.» Dem polizeilichen Staatsschutz sei er im Vorfeld allerdings nicht bekannt gewesen.

Schon vor gut zwei Jahren seien bei dem Kosovaren Verhaltensauffälligkeiten beobachtet worden, sagte Reul. Im Frühjahr 2023 wurde ein «Beobachtungs- und Feststellungsbericht» angefertigt. Die Polizei Essen habe eine Fallkonferenz mit dem Jugendamt und mit der damaligen Schule in Essen, die er vor dem Berufskolleg besucht hatte, abgehalten. Danach habe ihn die Polizei im April 2023 als «Person mit Risikopotenzial» eingestuft.

Risiko einer Gewalttat wurde 2023 für unwahrscheinlich gehalten

Da der Jugendliche danach vier Monate lang nicht mehr polizeilich in Erscheinung getreten sei «und die Familie beim Jugendamt angebunden werden konnte», wurde das «Risiko einer zielgerichteten Gewalttat als unwahrscheinlich einschätzt», schilderte der CDU-Politiker weiter im Innenausschuss. «Er wurde daraufhin im August ’23 wieder ausgestuft.»

Das Landeskriminalamt werde diese Entscheidung des Polizeipräsidiums Essen nun überprüfen, kündigte der Minister an. Dabei werde es nicht nur um die Bewertung mittels Ein- und Ausstufens gehen. Es werde auch um zwei weitere Fälle gehen – nämlich eine Bedrohung 2024 und «eine wechselseitige gefährliche Körperverletzung» im April 2025, sagte Reul – ohne Details zu nennen.

Geht zweite Messerattacke in Essen auch auf Konto des Schülers?

Der tatverdächtige Schüler könnte einem ersten Verdacht zufolge auch für ein weiteres versuchtes Tötungsdelikt am selben Tag infrage kommen, wie Reul mitteilte. Am Freitag sei in der Essener Innenstadt eine obdachlose Person mit einem Messer attackiert worden. Auch in diesem Fall gehen die Ermittler von versuchter Tötung aus. Der Angriff auf die 45-jährige Lehrerin sei also nicht das einzige versuchte Tötungsdelikt an diesem Tag.

Man dürfe keine voreiligen Schlüsse ziehen, sagte der Reul. Aber zwei Gewalttaten mit einem Messer am selben Tag und in derselben Stadt seien nun mal ein Fakt. Erste Erkenntnisse deuteten auf eine mögliche Verbindung hin. Man müsse die Ermittlungen abwarten. «Wir wissen es nicht». Aber: «Die Nachdenklichkeit ist an dieser Stelle erhöht.»  News4teachers / mit Material der dpa

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Realist
27 Tage zuvor

Messerstraftaten an NRW-Schulen sind 2023 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 50 Prozent 293 Straftaten gestiegen. 2022 sind 193 Fälle aktenkundig geworden. Anfang Januar 2023 tötet der 17-jährige Schüler Sinan Y. in einem Klassenzimmer der „Kaufmännischen Schule Tecklenburger Land“ im westfälischen Ibbenbüren seine Klassenlehrerin.”
https://www.focus.de/panorama/welt/schueler-greift-lehrerin-mit-messer-an-ermittler-gehen-von-gezieltem-angriff-aus_534e4928-1ceb-46cf-94b9-e533ba74d190.html

Langsam kann die Politik die Situation nicht mehr unter den Teppich kehren und die Schulen und Lehrkräfte schutzlos zurücklassen und mit “Handreichungen” zum Selberausdrucken abzuspreisen.

Es kann nicht sein, dass die Gefährlichkeit des Berufsbildes “Lehrer” sich der von Polizisten annähert. Wenn dem so ist, dann wird es Zeit für kostenlose Heilfürsorge und volle Pension mit 63.

Alternativ Sicherheitsdienst, Taschenkontrolle und Metalldetektoren an jede Schule. Wie in Parlamenten und anderen wichtigen öffentlichen Gebäuden selbstverständlich. Lehrkräfte sind keine Staatsbediensteten dritter Klasse!

Rüdiger Vehrenkamp
26 Tage zuvor
Antwortet  Realist

Langsam bekommen wir wirklich Verhältnisse wie in den USA… Wollen wir das? Mit Sicherheitsdiensten und Metalldetektoren bekämpfen wir nur die Symptome, aber nicht die Ursachen.

Realist
26 Tage zuvor

Was ist die Alternative?

Jeden Monat ein neuer Messerangriff auf Lehrkräfte? Jedes Jahr ein neues tödliches Opfer? Und dann? Große Empörung (bis sich auch das abnutzt)? Alle fragen sich “Wie konnte das passieren?” Eine neue Seite in der “Handreichung” vom Ministerium? “Anti-Messer-Training” verpflichtend im Referendariat? Mehr Forderungen nach Sozialarbeitern und Psychologen (die es dann nicht gibt, weil a) zu teuer und b) überhaupt nicht verfügbar)?

Schulterzucken und “Weiter so!” mit den Rezepten, die offensichtlich NICHT funktionieren?

RainerZufall
26 Tage zuvor
Antwortet  Realist

Dieses Thema hatten wir schon letztes Jahr (
(https://www.news4teachers.de/2024/10/um-die-haelfte-mehr-polizei-zaehlt-deutlich-mehr-messer-straftaten-durch-schueler/)

“Generell sei spätestens seit Mitte der 2000er Jahre die Jugendgewalt stark zurückgegangen, sagte der Kriminologe. «Das Phänomen wird „Crime Drop“ genannt und ist auch international zu beobachten.» In Deutschland sei die polizeilich registrierte Jugendgewalt im Jahr 2022 zum ersten Mal seit langem gestiegen. «Ob das eine Eintagsfliege oder eine Trendwende ist, können wir erst in zwei, drei Jahren sagen», erklärte Boers. Verglichen mit den 1990er Jahren bewege sich die Jugendkriminalität aber noch immer auf einem niedrigen Niveau.”
https://www.news4teachers.de/2023/11/kriminologe-weniger-jugendgewalt-als-vor-zwei-jahrzehnten-trotz-anstiegs-2022/

Realist
26 Tage zuvor
Antwortet  RainerZufall

Relativieren, Verharmlosen, “Einzelfälle”..

Zeige mir eine Statistik, die zeigt, das die Messerkriminalität in Schulen seit den 90er-Jahren zurückgegangen ist, alles andere ist hier irrelevant.

Ich kann mich als Schüler des vorigen Jahrhunderts an keinen einzigen Fall erinnern, dass jemand in der Schule mit dem Messer bedroht, verletzt oder sogar getötet wurde.

Schlägereien gab es, aber Messer? Nein!

Rainer Zufall
23 Tage zuvor
Antwortet  Realist

“Zeige mir eine Statistik, die zeigt, das die Messerkriminalität in Schulen seit den 90er-Jahren zurückgegangen ist, alles andere ist hier irrelevant.”
Die wurden zu dieser Zeit nicht erhoben. Weiße Messerstechereien scheinen irrelevant…

“Schlägereien gab es, aber Messer? Nein!”
Sie haben nach eigener Aussage keine Quellen dafür. Aber wenn Sie meinen, die Kriminalität vor Ihrer eigenen Haustür wäre vergleichbar mit der einem Land mit Millionen Menschen (!), wegen mir (augenroll).

Wie viele Messerangriffe gabe es an Ihrer Schule, dass Sie diese ganz Deutschland überstülpen wollen?