Studie zeigt, wie Konkurrenz im Klassenzimmer die Persönlichkeit von Schülern verändert

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WÜRZBURG. Was passiert mit jungen Menschen, wenn sie über längere Zeit einem dauerhaften Konkurrenzdruck ausgesetzt sind? Eine neue Studie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) gibt eine beunruhigende Antwort: Sie werden nicht nur kurzfristig weniger hilfsbereit – der Wettbewerb verändert sogar ihre Persönlichkeit.

Auf die Plätze… (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

Viele Unternehmen setzen seit Jahren auf Anreizsysteme, die Beschäftigte zu höherer Leistung anspornen sollen. Diese Systeme ähneln oft einem Wettbewerb: „Wer zum Beispiel am Ende eines Monats die höchsten Verkaufszahlen vorweisen kann, bekommt eine Prämie“, heißt es in der Mitteilung der Universität. Dass solche Methoden die Produktivität steigern können, sei bekannt. Ebenso aber auch, dass sie Nebenwirkungen haben: „Aus wissenschaftlichen Studien ist bekannt, dass sie zum Beispiel die Zusammenarbeit zwischen Kolleginnen und Kollegen kurzfristig verschlechtern.“

Doch was passiert, wenn der Wettbewerb nicht punktuell bleibt, sondern zum Dauerzustand wird? Mit genau dieser Frage beschäftigte sich ein Forscherteam um Professor Fabian Kosse vom JMU-Lehrstuhl für Data Science in Business and Economics. „Wir haben an Schulen untersucht, wie eine länger andauernde Konkurrenzsituation das prosoziale Verhalten von Jugendlichen beeinflusst, also ihre Hilfsbereitschaft und ihr gegenseitiges Vertrauen“, so Kosse.

Vier Jahre nach Wettbewerbsende noch messbare Folgen

Das Ergebnis ist ernüchternd: „Zwei Jahre intensiver Konkurrenz senken deutlich die Hilfsbereitschaft und das Vertrauen unter Jugendlichen. Und das nicht nur kurzfristig – selbst vier Jahre nach Ende des Wettbewerbs sind die Effekte noch da“, fasst Kosse zusammen. Damit sei klar: „Der dauerhafte Wettbewerb verändert also nicht nur das situative Verhalten. Er beeinflusst auch die Persönlichkeitsentwicklung.“

Die Studie entstand in Zusammenarbeit mit Ranjita Rajan von der Karta-Initiative in Oxford sowie Michela Tincani vom University College London. Veröffentlicht wurde sie im Journal of the European Economic Association.

Ein einzigartiges Feldexperiment in Chile

Um ihre Hypothese zu prüfen, nutzte das Forscherteam ein Programm der chilenischen Regierung, das an High Schools eingeführt wurde: PACE. Es soll mehr Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien an die Universitäten bringen. Der Kern: Den jeweils besten 15 Prozent einer Schule wird ein Studienplatz garantiert – ohne die ansonsten verpflichtende zentrale Aufnahmeprüfung. Für junge Menschen aus ärmeren Familien ist dies von enormer Bedeutung, da ihre Chancen, über das reguläre System an eine Hochschule zu gelangen, minimal sind.

Doch mit dem Versprechen geht ein erheblicher Preis einher: „Der Anreiz, unter die besten 15 Prozent zu kommen, ist groß. Groß ist aber auch die lang andauernde Konkurrenz, die das Programm in den Schulen entfacht: Es handelt sich um einen über zwei Jahre laufenden Wettbewerb, denn wer zu den Besten gehört, entscheidet sich nicht in einer einzigen Abschlussprüfung, sondern aus allen Leistungen über die letzten Schuljahre hinweg“, so die Wissenschaftler.

Um belastbare Daten zu erhalten, setzten die Forschenden auf ein experimentelles Design: 64 Schulen nahmen am PACE-Programm teil, weitere 64 Schulen dienten als Kontrollgruppe. Insgesamt wurden mehr als 5.000 Jugendliche einbezogen. Per Zufallsprinzip wurde bestimmt, welche Schulen an PACE teilnahmen und welche nicht – ein echtes Experiment mit Behandlungs- und Vergleichsgruppen.

Was die Jugendlichen berichteten

Für die Analyse werteten die Wissenschaftler sowohl offizielle Regierungsdaten aus als auch eigens erhobene Befragungen von Schülerinnen, Schülern, Lehrkräften und Schulleitungen. „Die Fragen betrafen einerseits die Schulatmosphäre und lauteten zum Beispiel: ,Wie sehr stimmen Sie folgender Aussage zu: Es herrscht großer Wettbewerb um die besten Noten in meiner Klasse‘“, erklärt die Universität.

Im Zentrum standen jedoch Fragen nach prosozialem Verhalten: Altruismus, Reziprozität, Vertrauen. „Wie sehr sind Sie bereit, anderen zu helfen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten?“ – so lautete eine der Kernfragen.

Die Antworten fielen eindeutig aus: Schülerinnen und Schüler, die dem PACE-Wettbewerb über zwei Jahre hinweg ausgesetzt waren, zeigten eine signifikant geringere Bereitschaft zu helfen und weniger Vertrauen in ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Und dieser Effekt hielt auch lange nach Ende des Wettbewerbs an.

Lösungsansätze: Kooperation statt Konkurrenz

Das Forscherteam beschränkt sich nicht darauf, den negativen Effekt zu beschreiben – es schlägt auch Gegenmaßnahmen vor. „Die Regeln des Wettbewerbs verändern“, sei eine Möglichkeit. So könnte die Rangliste nicht innerhalb einer einzelnen Schule, sondern innerhalb einer größeren Gruppe von sozial benachteiligten Jugendlichen einer ganzen Region gebildet werden. Damit würde der interne Konkurrenzdruck sinken.

Noch weiter geht die Idee, den Wettbewerb schulübergreifend zu organisieren: „Läuft der Wettbewerb schulübergreifend ab, kann das daraus resultierende Mindset ,Wir zusammen gegen die anderen Schulen‘ die Zusammenarbeit und Atmosphäre verbessern und die Prosozialität sogar steigern“, heißt es in der Publikation.

Bedeutung für die Bildungspolitik

Die Ergebnisse werfen Fragen für die Gestaltung von Bildungs- und Förderprogrammen auf. Gerade in Deutschland wird immer wieder über leistungsorientierte Systeme diskutiert – von Kopfnoten bis zu leistungsbezogenen Bonusprogrammen für Lehrkräfte oder Schulen. Die Studie aus Würzburg und Chile liefert Argumente dafür, Vorsicht walten zu lassen.

Denn die zentrale Botschaft lautet: Wettbewerb ist nicht neutral. Er verändert die Persönlichkeit von Jugendlichen, und zwar auf eine Weise, die für das soziale Miteinander in Schule und Gesellschaft problematisch sein kann. Professor Kosse zieht ein klares Fazit: „Der dauerhafte Wettbewerb verändert also nicht nur das situative Verhalten. Er beeinflusst auch die Persönlichkeitsentwicklung.“ News4teachers 

Margret Rasfeld: “Noten schüren Vergleich und Konkurrenz, Noten führen zu Ängsten, Noten führen zur Bestnotensucht!”

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29 Kommentare
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vhh
1 Monat zuvor

Man könnte auch gegensteuern durch ein System, in dem allen Schüler mit einer bestandenen Abschlußprüfung ein für sie kostenloses Studium mit staatlichen Förderprogrammen für sozial Schwache ermöglicht wird. Haben wir in Deutschland, wenn auch nicht problemfrei? Dann ist der Vergleich mit Kopfnoten und Bonusprogrammen vielleicht doch etwas weit hergeholt.
“Wir gegen die anderen Schulen” – ja, es ist bestimmt eine Verbesserung, wenn benachbarte Schulen mit Endnoten um die Studienplätze für ihre Schüler kämpfen. Gesellschaftliche Verantwortung, Gemeinschaftsgefühl, ‘Staat’ als offizielle Erziehungsziele, aber real Konkurrenz mit dem ‘Nachbarstamm’. Ist das wirklich erstrebenswerter als interne Konkurrenz, die es schon immer gab? Hilfe, Schüler konkurrieren und wir haben das jetzt bewiesen. Hilfe, das beeinflußt ihre Persönlichkeitsentwicklung. Ja, liebe Unimenschen, warum wohl in allen Lehrplänen etwas von sozialem Lernen und übergeordneten sozialen Kompetenzen steht?

Unfassbar
1 Monat zuvor

Der andere Extremfall, sprich keinerlei Vergleichsmöglichkeiten, ist aber genauso schlecht, weil dadurch jeder Leistungswille im Keim erstickt wird.

Ich_bin_neu_hier
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Gilt das auch für Lehrkräfte?”

Weiß ich nicht – gibt es denn dazu aussagekräftige Studien?
Herzliche Grüße Ein User

Unfassbar
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Lehrer mit unbefristetem Arbeitsvertrag und Schüler kann man nur schwer miteinander vergleichen. Auch kann man das Beispiel aus Chile nur schwer auf Deutschland übertragen, weil es die Aufnahmeprüfungen an den Hochschulen in der Form in Deutschland so nicht gibt. Gibt es eigentlich Erhebungen, wie die 15% aus dem Wettbewerb an den Hochschulen abschnitten?

AvL
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Unterstützung untereinander ist leistungsfördernder für alle Beteiligten als Konkurrenzdenken.

Danidattel
29 Tage zuvor
Antwortet  AvL

Wirklich? Beispiel “Gruppensrbeit” Einer macht die Arbeit, die anderen profitieren davon, indem sie alle dieselbe gute Note bekommen. Selbst erlebt im Gymnasium und an der Uni. NEIN DANKE!!!!

AvL
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Genau, wir arbeiten, uns untereinander unterstützend, im Team, und so erreichen wir alle sehr viel bessere Ergebnisse bei Patienten und Patientinnen, es wird weniger übersehen.

Opossum
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

In meiner Heimat sind Olympiaden in verschiedenen Fächern populär. Lehrer, deren Schüler die besten Resultate zeigen, kriegen Prämie. Also, wird Wettbewerb bei Lehrern groß, was den Schülern gut tut, weil sie interessante, herausfordernde, kreative Aufgaben bekommen und stärker gefordert werden. Lehrer erhöhen ihren Ruf, kriegen extra Geld und vielleicht ein bisschen mehr Spaß an der Arbeit.

Sepp
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Sie haben doch gerade einen Artikel hier auf N4T, der sehr passend ist:

Ein Lehrer kann sich anstrengen wie er will, einen wirklichen Vorteil wie mehr Geld, ein geringeres Deputat o.ä. gibt es dadurch kaum. Ausnahmen sind die wenigen Beförderungsstellen.
Warum sollte man sich also anstregen, wenn doch eh alle das Gleiche bekommen?
Fehlender Wettbewerb und Gleichmacherei macht den Beruf eben unattraktiv…

Meine Kunst-Kollegin hatte letztens eine Schülerin ganz begeistert gelobt – nur um mit einem gut-gemeinten Spruch (“Aber Ihr seid ja alle toll, ihr alle seid Künstler!”) zu relativieren. Wenn sie doch vom jedem Schrott begeistert ist, warum sollten sich die Kinder dann noch anstrengen?

Zu Ihrem anderen Beispiel:
Gibt es bei Ärzten keine Konkurrenz? Ich denke gerade an meine Zahnarztpraxis, die schon vor Jahren aufgerüstet hatte mit Bildschirm und Wasserspender in der Praxis, vermeintlich kostenlosen “Goodies” für langjährige Patienten usw. – Natürlich konkurrieren die mit anderen Praxen um Patienen/Kunden.

447
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Sind Lehrkräfte Schüler ?

Hans Malz
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Ach die Lehrer leisten nichts? Und haben auch in der Ausbildung und Studium nichts geleistet?

Aber um die Frage zu beantworten: Ich wäre grundsätzlich für Wettbewerb auch bei Lehrern. Fände ich sehr bereichernd.

447
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Ich würde “müssten” sagen – aber ja, so sollte das eigentlich sein.
Ganz genau so.

Die Lehrkräfte sind sechs mal vorselektiert (Abitur-Studium-Ex 1- Ref -Ex 2-Probezeit) das sollte wohl reichen – bis hin zur Gesundheitsprüfung und Überprüfung der Vorstrafen…also achtfach eigentlich.

Ich spreche natürlich in der Bedingungsform, die nächste Stufe der Pervertierung des Schulsystems wäre es logischerweise, die Schüler die Lehrer beurteilen zu lassen.

Erste Ansätze dazu gibt/gab es ja bereits. Finden “Bürgeräte™” und “Bildungswissenschaftler™” bestimmt auch gut.

Andererseits ist es für mich kein so großer Aufreger mehr – findet Schule halt als “ScHuLe” statt, kann man mit leben.

AvL
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Vergleichsmöglichkeiten beim Abiball waren hier vor Ort die lustige Beurteilungen und Anmerkungen zum Verhalten von Lehrpersonen durch die Schüler und Schülerinnen gab es am Gymnasium von den Abiturienten und Abiturientinnen bei der diesjährigen Abschlussfeier. Derartige Feedbacks sind aussagekräftiger als Noten die Leistungen der Lehrpersonen jemals auszudrücken im Stande wären.

Hmm...
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Werden wir nicht permanent durch die Schüler bewertet?
(und auch durch die Eltern)

RainerZufall
1 Monat zuvor
Antwortet  Unfassbar

Es geht in der Studie um die Vergleichsmöglichkeit in Form des Wettbewerbes, nicht um jegliche Möglichkeit eines Vergleiches.

Als Sportlehrer: Geben Sie immer nur dem besten Prozentsatz das Sportabzeichen oder müssen die sich an Vorgaben messen, die sich nicht an den Mitschüler*innen orientieren?

Alx
1 Monat zuvor
Antwortet  RainerZufall

An Grundschulen müssen wir das jetzt bei den Bundesjugendspielen so machen, weil das Messen an objektiven Leistungen wohl irgendwie unfair war.

RainerZufall
1 Monat zuvor
Antwortet  Alx

Sie müssen Schüler*innen untereinander vergleichen und geben den besten 15% den Preis?

ed840
1 Monat zuvor
Antwortet  RainerZufall

Wäre eigentlich kein Geheimnis, dass die besten 20% der jeweiligen Wettbewerbsgruppen einer Schule eine Ehrenurkunde erhalten. Die nächsten 50% eine Siegerurkunde, der Rest eine Teilnehmerurkunde.

RainerZufall
1 Monat zuvor
Antwortet  ed840

Das würde ich Unfassbar nicht unterstellen wollen. Ich hoffe hier eher einen Einwandt gefunden zu haben, den er teilt… :/

Walter Hasenbrot
1 Monat zuvor
Antwortet  Unfassbar

Legen Sie am Anfang des Schuljahres fest, dass nur ein Schüler eine 1 bekommt, zwei Schüler eine Zwei, drei Schüler eine Drei, und der Rest bekommt Vieren, Fünfen und Sechsen?

Bei mir hängen die Noten davon ab, inwiefern der Stoff beherrscht wird (oder die Komptenzen erreicht wurden). Das fördert den Leistungswillen ohne Konkurrenz.

AvL
1 Monat zuvor
Antwortet  Walter Hasenbrot

Unser Lehrer Herr Illbr… , mein dritter Englischlehrer, war derart in seiner Vorbeurteilung veranlagt. Der wusste sogar, wer von uns sitzen bleiben würde, am Ende des Jahren. Das hat aber zum Glück nicht immer geklappt.

RainerZufall
1 Monat zuvor

“Der Kern: Den jeweils besten 15 Prozent einer Schule wird ein Studienplatz garantiert – ohne die ansonsten verpflichtende zentrale Aufnahmeprüfung.”
Zum Glück ist hier niemand so irre, bspw. eine vermeintliche “Elite” prozentual aufs Gymnasium verteilen zu wollen 😀

Gelbe Tulpe
1 Monat zuvor

Im BWL-Studium war ich in einem sehr kompetitiven Umfeld. Dadurch wurde ich sehr viel egoistischer, außer ggü. schwächeren Menschen wie Schülern.

Hans Malz
1 Monat zuvor

Wo ist denn bei uns die Konkurrenz? Sind die guten Noten limitiert?

Alx
1 Monat zuvor

Das ganze Leben von Konkurrenz durchzogen.
Von der Geschwisterrivalität über die Partnersuche, den Job, sozialen Status, ja sogar in Alltagsdiskussionen.

Bei uns gibt es ja auch Studiengänge mit NC und einen Wettbewerb um den Zugang.

Spannend wäre die Frage, wie sich die Leistungen aller Schüler durch die Situation verändert haben?
Handeln die Schüler eigenverantwortlicher? Wie viele schaffen dadurch tatsächlich einen sozialen Aufstieg?
Dann stellt sich auch die Frage des späteren Erfolgs.
Wer allzu altruistisch in die Welt geht, wird mitunter bitter von der Realität korrigiert.

Danidattel
29 Tage zuvor

Mit Reformpädagogik und sonstigen Reformen wie Schreiben nach Gehör, wird in Deutschland seit den 90er Jahren bewusst die Dummheit gezüchtet (siehe das sog. Discount-Abi) Diese Snowflakes, die den Konkurrenzdruck nicht aushalten, sind vielleicht ganz einfach in der falschen Schulform und selbst für ein Discount-Abi nicht gerustet.