Gemeinsame Schule für alle: GGG fordert radikale Reform des Schulsystems

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DORTMUND. Die Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule (GGG) schlägt Alarm: Deutschlands Bildungssystem stecke in einer „dramatischen Krise“, die soziale Spaltung schreite voran – und die Politik reagiere mit „einem Flickenteppich von Maßnahmen“. Auf ihrer Mitgliederversammlung hat die GGG deshalb ein neues Positionspapier verabschiedet, das eine grundlegende Umgestaltung fordert. Das Ziel: Die „Eine Schule für alle“.

Viva la revolución! (Symbolbild.) Illustration: Shutterstock

„Die Zeit ist reif für eine grundlegende Reform unseres Schulsystems“, erklärt der Vorsitzende der GGG, Dieter Zielinski. Mit dieser Forderung stehe die Gesellschaft nicht allein: Auch die Landesschülervertretungen Berlin und Nordrhein-Westfalen hätten jüngst die Abschaffung des gegliederten Schulsystems gefordert, die GEW habe auf ihrem Gewerkschaftstag die „Eine Schule für alle“ beschlossen, Stiftungen wie Bertelsmann oder Montag drängten auf einen demokratischen Umbau der Schulen.

Was bedeutet „Eine Schule für alle“?

Das Positionspapier setzt an der Wurzel an: „Ziel der GGG ist, dass alle Kinder und Jugendlichen eine gemeinsame Schule für alle – eine Schule der Inklusion – bis zum Ende ihrer allgemeinen Schulpflicht besuchen und dass das gegliederte Schulsystem in Deutschland überwunden wird.“

Die GGG beschreibt, was damit gemeint ist: „In der ‚Einen Schule für alle‘ erleben alle Schüler:innen im Umgang mit ihren Mitschüler:innen die ganze Vielfalt der Lebensverhältnisse in unserer Gesellschaft. Sie lernen ein wertschätzendes Miteinander und die Konfliktlösung in einer demokratischen Gemeinschaft als unabdingbare Voraussetzungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Das derzeitige gegliederte Schulsystem dagegen „abbilde und verschärfe die soziale Spaltung der Gesellschaft“ und verhindere Inklusion.

Welche Probleme benennt die GGG?

In der Einleitung listet das Papier eine Vielzahl an Krisensymptomen auf: mangelnde Bildungsgerechtigkeit, teilweise gravierende Defizite und sogar Rückschritte bei der Umsetzung der Inklusion, eine Selektivität, die pädagogisch schädlich und wirtschaftlich ineffizient ist, zu viele Schüler:innen ohne Schulabschluss, lediglich durchschnittliche Ergebnisse in internationalen Leistungstests, eine an der Vergangenheit orientierte Pädagogik und das Fehlen zukunftsorientierter Konzepte, personelle Unterversorgung mit Lehrkräfte- und Fachkräftemangel, Unterfinanzierung des Bildungswesens und Rückstau im Schulbau, Defizite und Konzeptlosigkeit bei der Digitalisierung der Schulen sowie keine erkennbare Orientierung der Bildungspolitik an langfristigen Zielen. Für die GGG ist klar: Nur eine umfassende Systemreform könne diese Missstände überwinden.

Welche Strukturveränderungen fordert die GGG?

Das Papier geht ins Detail. Unter der Überschrift „Positionen zur Weiterentwicklung der Schulstruktur“ heißt es: „Alle Schüler:innen haben einen Rechtsanspruch auf eine inklusive Beschulung. Ziele müssen die Auflösung des Förderschulsystems und eine strukturelle Aufhebung des gegliederten Schulsystems sein. Der Anspruch eines inklusiven Schulsystems ist nur mit der ‚Einen Schule für alle‘ einzulösen.“

Gefordert wird ein flächendeckendes Angebot an Schulen des gemeinsamen Lernens – auch in Bundesländern, wo es bislang keine gibt. Schulen des gemeinsamen Lernens sollen „als ersetzende Schulform“ eingeführt werden. Gymnasien mit „Gesamtschulteil“ müssten umgewandelt werden. „Grundsätzlich sollte jede Schule des gemeinsamen Lernens eine eigene Oberstufe anbieten.“

Zudem sollen sie „gebundene Ganztagsschulen“ sein: „Der damit verbundene Anspruch auf pädagogische Beziehung, soziale Begegnung und wertschätzendes Miteinander ist nur dann wirklich einlösbar, wenn alle Schulen zu gebundenen Ganztagsschulen weiterentwickelt werden.“ Perspektivisch sollen diese Schulen auch zu „Langformschulen“ ausgebaut werden, um Brüche zwischen Primar- und Sekundarstufe zu vermeiden.

Besonders klar positioniert sich die GGG gegen Selektion: „Eine Kategorisierung von Schüler:innen beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I in Form einer Schulformprognose lehnen wir ab. Alle Schüler:innen haben eine Eignung für die Schulen des gemeinsamen Lernens.“ Ebenso deutlich: „Etabliert werden muss eine Kultur des Behaltens“ – keine Abschulungen mehr.

Wie soll Lernen aussehen?

Auch pädagogisch will die GGG neue Wege gehen. Die Fachleistungsdifferenzierung soll fallen. „Heterogene Lerngruppen sind der erstrebenswerte Normalfall einer zukunftsfähigen Schule.“ Leistungsbewertungen sollen künftig ohne Noten auskommen: „Weg von der summativen, auf Vergleich abzielenden Leistungsbewertung mit Noten, hin zu einer formativen Leistungsbewertung, die in einem fortlaufenden Beratungsprozess den Lernprozess begleitet.“ Für die Oberstufe fordert das Papier „neue pädagogische Konzepte und neue strukturelle Formen wie z. B. Abitur im eigenen Takt, Schulzeitstreckung sowie eine additive Abitur-Prüfung“. Darüber hinaus will die GGG „bekenntnisfreien Unterricht“ ermöglichen und „lernende Netzwerke“ zwischen Schulen stärken.

Woher soll das Geld kommen?

Die GGG kritisiert die Unterfinanzierung des Systems massiv: „Die über das Startchancenprogramm bereitgestellten Mittel reichen bei weitem nicht aus, das Schulsystem zukunftsfähig zu machen.“ Selbst die angekündigten 100 Milliarden Euro für Investitionen seien „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Stattdessen fordert die Gesellschaft „mindestens 135 Mrd. Euro für die Schulen“ und eine sozialindexbasierte Mittelvergabe. Dazu müsse auch das Kooperationsverbot im Grundgesetz fallen: „Statt befristeter Projektförderungen braucht es langfristige Investitionen. Eine ‚Gemeinschaftsaufgabe Bildung‘ im Grundgesetz wäre ein wichtiger Schritt.“ Auch die Lehrkräftebildung soll neu ausgerichtet werden – weg von schulformbezogenen Lehrämtern hin zu einer umfassenden Ausbildung für das gemeinsame Lernen.

Politische Dimension

Die GGG knüpft ihr Konzept ausdrücklich an die gesellschaftliche und politische Verantwortung: „Voraussetzungen dafür sind die überzeugende Arbeit der Schulen des gemeinsamen Lernens, gesellschaftliche Zustimmung sowie der politische Wille und die damit verbundenen Entscheidungen.“ Im Fazit macht die GGG klar, wohin die Reise gehen soll: „Grundsätzlich fordert die GGG die Umgestaltung des deutschen Schulsystems in ein Gesamtschulsystem. Damit werden der soziale Zusammenhalt und unser freiheitlich-demokratisches System gestärkt. Ein Gesamtschulsystem ist die Grundlage von Bildungsgerechtigkeit in der Demokratie.“ News4teachers 

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