KÖLN. Forscher der Universität Köln haben untersucht, warum Kinder und Jugendliche immer häufiger straffällig werden. Die Ergebnisse zeichnen ein beunruhigendes Bild – und zeigen, wie stark familiäre Gewalt und psychische Belastungen die Entwicklung junger Menschen beeinflussen.

Alarmierender Trend: Immer mehr Minderjährige werden gewalttätig – und das aus immer geringeren Anlässen. „Gesellschaftlich sehen wir, dass Menschen insgesamt dünnhäutiger geworden sind. Wir erleben mehr Hasskriminalität, mehr Angriffe auf Einsatzkräfte und mehr Messerangriffe. Die Zündschnur ist kürzer geworden“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) bei der Vorstellung einer neuen Studie in Düsseldorf. „Und das betrifft auch unsere Kinder. Was früher undenkbar war – etwa das Zerstören von Verkehrsschildern oder den Mitschülern das Tablet zu klauen – ist heute akzeptabler.“
Die vom Innenministerium in Auftrag gegebene Untersuchung „Kinder- und Jugendkriminalität in Nordrhein-Westfalen“ wurde unter Leitung des Soziologen Professor Clemens Kroneberg von der Universität zu Köln erstellt – in Kooperation mit dem Landeskriminalamt (LKA). Sie kombiniert polizeiliche Daten („Hellfeld“) mit einer groß angelegten Dunkelfeldstudie, bei der 3.800 Schülerinnen und Schüler der Klassen 7 bis 9 aus Gelsenkirchen, Herten und Marl befragt wurden.
Gewalt nimmt zu – vor allem bei Jüngeren
Die statistischen Ergebnisse sind eindeutig: Zwischen 2012 und 2024 stieg die Zahl der Gewaltdelikte bei Neuntklässlern um 22 Prozent, bei den Siebtklässlern sogar um 114 Prozent. Besonders auffällig: Zwar begehen Jungen nach wie vor häufiger Gewalttaten, doch der relative Anstieg ist bei Mädchen deutlich stärker. Eigentumsdelikte wie Ladendiebstahl oder Sachbeschädigung gingen dagegen leicht zurück.
„Wir sehen bei der Entwicklung der Gewaltdelikte, dass es in beiden Feldern zu Anstiegen gekommen ist“, erklärte LKA-Expertin Maike Meyer. „Dabei fallen die Anstiege in der siebten Jahrgangsstufe signifikant stärker aus als in der neunten.“ Reul fasste die Tendenz so zusammen: „Die Zündschnur ist allgemein kürzer geworden, auch bei den Kindern. Die Selbstkontrolle hat deutlich nachgelassen.“
Gewalt in Familien – eine der Ursachen
Ein zentraler Befund der Kölner Forscher: Elterngewalt hat stark zugenommen. Laut Kroneberg stieg der Anteil der Jugendlichen, die schwere Formen von Gewalt durch ihre Eltern erlebt haben, seit 2013 um 135 Prozent. Besonders während der Corona-Pandemie sei häusliche Gewalt sprunghaft angestiegen.
„Kinder, die zuhause Gewalt erfahren, haben ein deutlich höheres Risiko, später selbst gewalttätig zu werden“, sagte Kroneberg. Parallel dazu habe sich die psychische Lage vieler Jugendlicher dramatisch verschlechtert – fast jede zweite Neuntklässlerin berichtete über Ängste und depressive Symptome. „Das geht mit einem Rückgang der Selbstkontrolle einher“, so der Forscher.
Moralische Normen bröckeln, Digitalisierung als Risikofaktor
Erschreckend ist auch, wie sich die moralische Orientierung verändert hat. Zwar bewerten Jugendliche körperliche Gewalt oder Vandalismus ähnlich kritisch wie vor zehn Jahren – doch bei Alltagsregeln wie Hausaufgabenpflicht oder Respekt gegenüber Lehrkräften sei das Pflichtgefühl deutlich gesunken. „Wer im Alltag gegen Regeln verstößt, tendiert dazu, auch in anderen Bereichen sein Verhalten zu verändern“, erläuterte Kroneberg. Das gesunkene Unrechtsbewusstsein bei vermeintlich kleinen Verstößen könne also langfristig größere Konsequenzen haben.
Auf die Frage, was die Politik nun tun könne, blieb Kroneberg vorsichtig: „Einfache Lösungen gibt es nicht.“ Dennoch machte der Soziologe klare Vorschläge: „Wir wissen inzwischen, auch im internationalen Vergleich, dass Jugendliche, die weniger Zeit mit Smartphones und sozialen Medien verbringen, weniger delinquent sind.“
Er plädierte für strengere Altersbeschränkungen bei Social Media und klare Regeln für den Handygebrauch an Schulen: „Keine WhatsApp-Gruppen schon in der fünften Klasse. Schulen brauchen rechtssichere Möglichkeiten, Handys zu verbieten.“
Innenminister: „Keine schnellen Antworten“
Auch Innenminister Reul betonte, dass es keine Patentrezepte gebe. Doch die Erkenntnisse müssten Konsequenzen haben: „Wir müssen darüber nachdenken, wie wir junge Straftäter unter 14 Jahren besser erreichen können – möglicherweise auch mit zusätzlichen Sanktionsmöglichkeiten“, sagte er.
Für Reul ist klar: Die Ursachen liegen tief. „Wir haben es nicht nur mit einer Kriminalitätsstatistik zu tun, sondern mit einem Spiegel unserer Gesellschaft. Wenn Kinder gewalttätig werden, zeigt das, dass auch das Umfeld aus dem Gleichgewicht geraten ist.“ News4teachers / mit Material der dpa









Das ist nun alles nichts neues.
“Für Reul ist klar, […] dass auch das Umfeld aus dem Gleichgewicht geraten ist.“
Ach?
Ach was?
Wie konnte das nun passieren?
Reul ist doch der Beweis, für totale Rückständigkeit.
Seit langes ist bekannt “Universelle Prävention ist wirksam.”
Aber was interessieren die ungleich höheren Folgekosten von morgen, wenn heute gespart werden soll…
Dazu passt ja direkt die nächste aktuelle Schlagzeile.
Man mag direkt eine gewisse Kontinuität erkennen.
Politische Realität wider besseren Wissens:
“Die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, der offenen Kinder- und Jugendarbeit dürfen daher von Einsparungen in den öffentlichen Haushalten von Kommunen und Städten nicht betroffen sein”
Wo kann man mal einen originalen Bericht über diese Studie finden? Ich finde nur ältere.
Wie es heißt, gibt es seit 2013 einen erheblichen Anstieg, besonders in den Corona-Jahren. Aber das waren doch nur zwei von zwölf. Da muss es auch andere Ursachen geben. Materielle Armut ist es kaum, denn die Arbeitslosenzahl war gering bzw. stieg nicht wesentlich.
Auf der der website von Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen.
Das deckt sich mit unseren Beobachtungen der letzten Jahre. Wir betreuen auch straffällig gewordene Jugendliche. Ganz oft erleben wir zwar ein Einsehen, wenn wir mit ihnen arbeiten, zeitgleich aber gibt es seitens des Staates zu wenig echte Konsequenzen. Lieber gibt man solchen Jugendlichen noch mal Bewährung und noch mal eine Gefährderansprache, ehe man sie wirklich justiziabel verurteilt. Sie nehmen den Staat daher nicht wirklich als “Staatsgewalt” wahr.
Die Rückfallquote ist entsprechend hoch. Wir nehmen diese Kinder durchaus als reflektiert zur Kenntnis, wenn wir das Vertrauen zu ihnen aufgebaut haben. Doch während manch einer abends noch Besserung gelobt, müssen wir ihn am Tag darauf wieder wegen irgendeiner Sache zusammen mit den Eltern bei der Polizei abholen. Wohin dies am Ende führen kann, zeigt ein aktueller Fall aus Münster (siehe: https://www.zeit.de/news/2025-10/30/sechs-jugendliche-intensivtaeter-in-u-haft-ueber-100-taten ). Hier hätte man wesentlich früher eingreifen müssen, denn schlussendlich muss auch an die (potenziellen) Opfer gedacht werden. Auch hier haben wir in Deutschland Nachholbedarf: Man sorgt sich mehr um die Täter, deren Beweggründe und deren Wohlergehen in Zusammenhang mit einer Resozialisierung, als um deren Opfer.
Je mehr ein derartiges entwicklungsbedingtes Verhalten in den Medien und in öffentlichen Debatten aufgenommen wird, desto mehr drängt sich uns das Bild auf, dass derartige Delikte zugenommen hätten.
“Im Jahr 2024 wurden in Deutschland insgesamt rund 452.000 junge Menschen unter 21 Jahren von der Polizei als Tatverdächtige ermittelt. Damit sank die Zahl der jungen Straftäter um circa 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dennoch bleibt Jugendkriminalität ein viel beachtetes Thema.
In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden die der Polizei – etwa durch eine Anzeige – bekannt gewordenen und durch sie endbearbeiteten Straftaten abgebildet, d.h. die Akte wurde nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft übergeben. Es handelt sich damit um eine sogenannte Ausgangsstatistik. Dabei ist zu beachten, dass die Zahlen auch durch das Anzeigeverhalten der Bevölkerung beeinflusst werden und neben dem “Hellfeld” stets ein “Dunkelfeld” nicht erfasster Taten bleibt. Hinzu kommt, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik keine Aussage darüber treffen kann, welchen Verlauf das bei den Justizbehörden in Gang gesetzte Verfahren nimmt, ob also letztendlich eine Verurteilung erfolgt. Es sind daher auch Fälle beinhaltet, in denen das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt wurde oder es zu einem Freispruch durch das Gericht gekommen ist.” Junge Tatverdächtige 2024| Statista
Warum wohl wird eine derartige Debatte unter anderem auch im Zusammenhang mit der Migration in Teilen der Parteien, hier vor allem der populistischen A*D, und rechtspopulistischer Medien breitgetreten ?
Beim Lesen der PKS-2024 kommt es vermutlich auch darauf an, ob man neben dem Rückgang von -6% Tatverdächtigen u21 insgesamt auch wahrgenommen hat, dass Gewaltkriminalität bei tatverdächtigen Kindern um 11,3 Prozent und bei Jugendlichen um 3,8 Prozent zugenommen hat.
Oder dass in der oben genannten Dunkelfeldstudie nicht nur eine ansteigende Gewaltprävalenz bei Jugendlichen der 7. und 9. Klasse beobachtet wurde, sondern dass dieser Anstieg bei Mädchen noch deutlich stärker ausgeprägt war als bei Jungs.
Anstatt die Debatte auf die veränderten häuslichen Erziehungsstrukturen zu legen, wird von populistischer Seite, in der öffentlichen Debatte die Ursachenfindung immer wieder das Narrativ der Migranten als Verursacher gesellschaftlicher Probleme bedient.
Ich bin und bleibe dabei, dass auch Kinder unter 14 Jahren eine gewisse Stramündigkeit erfahren sollten. Wie oft habe ich in den letzten Jahren Sätze gehört wie „Aber mit 13 passiert einem doch nichts!“.
Da das Jugendstrafrecht von 14-18 und teilweise bis 21, sowieso grundsätzlich die geistige Entwicklung der Jugendlichen einbezieht und vergleichweise milde Strafen auswirft, steht meiner Meinung nach nichts im Wege, um auch bei einem unter 14 Jährigen zu beurteilen, ob ihm klar war, was er dort gemacht hat. Es ist ja nicht so, als würde dann jedes Kind unter 14 bestraft, dafür ist es aber aktuell so, dass jedes Kind unter 14, auch das geistig hoch entwickelte, nicht richtig bestraft wird.
Ebenso die Regeln und Konsequenzen in der Schule. Die Konsequenzen sind teilweise einfach lachhaft und das Lernen die Kinder und Jugendlichen und nehmen genau das mit in das Erwachsenenleben.
Wie ein “alter”, kurz vor der Pensionierung stehender Kollege bereits vor 20 Jahren resümierte:
“Die Pflicht zur gewaltfreien Erziehung ist einseitig geworden. Die Eltern knallen den Gören nach wie vor eine oder sperren sie in den Keller. Nur wir Lehrer sind jetzt die “Schwächlinge”, die ihnen, nichts mehr entgegenzusetzen haben. Das wird die nächsten Jahre noch richtig übel werden!”