DRESDEN. Lehrkräfte in Deutschland sind sehr unterschiedlich zeitlich belastet, trotz formal gleicher Arbeitszeit. Das zeigt der Abschlussbericht der Arbeitszeituntersuchung (AZU), die das Sächsische Kultusministerium in Auftrag gegeben hat. Die Ergebnisse der AZU hinsichtlich der gemessenen Gesamtarbeitszeit sind umstritten (News4teachers berichtete). Als gesichert kann aber die aufgezeigte erhebliche Ungleichverteilung der Arbeit gelten. Unterschiede gibt es demnach nicht nur zwischen den Schulformen – sondern auch schon zwischen den Fächern.

Lehrkräfte leisten nicht alle gleich viel – und das hat System. Der Abschlussbericht der Arbeitszeituntersuchung (AZU) in Sachsen zeigt deutliche Unterschiede zwischen den Schularten und Fächergruppen. Gymnasial- und Berufsschullehrkräfte arbeiten im Schnitt deutlich länger als ihre Kolleginnen und Kollegen an Grund- oder Förderschulen. Dazu kommen massive Unterschiede innerhalb der Schulformen – je nach Fächerkombination und Zusatzaufgaben.
Gymnasien und Berufsschulen an der Spitze
Laut AZU liegt die durchschnittliche Arbeitszeit von Vollzeitkräften in Schulwochen an Gymnasien und beruflichen Schulen bei rund 44 bis 46 Stunden pro Woche, während Grundschullehrkräfte im Mittel etwa 39 bis 41 Stunden arbeiten. An Förderschulen liegt die Belastung dazwischen.
Im Einzelfall fiel die zeitliche Belastung außerhalb der Ferienzeiten aber höchst unterschiedlich aus. „Rund 30 Prozent der Vollzeitlehrkräfte erfassten wöchentliche Durchschnittswerte im Intervall zwischen 40 und 44 Stunden, weitere rund 30 Prozent im Intervall zwischen 44 und 48 Stunden. 12 Prozent der Vollzeitlehrkräfte erfassten in Schulwochen durchschnittlich mehr als 48 Stunden“, so heißt es im Bericht.
Am unteren Ende der Skala standen demnach Lehrkräfte, deren wöchentliche Arbeitszeit in den Schulwochen nur bei etwa 35 Stunden liegt – meist Kolleginnen und Kollegen ohne Korrekturfächer, ohne Funktionsaufgaben und mit geringem Anteil an Prüfungsarbeit. Zwischen der am stärksten und der am geringsten belasteten Gruppe liegt damit eine Spanne von rund 15 Stunden pro Woche. Wohlgemerkt: bei formal gleicher Unterrichtsverpflichtung.
Diese Unterschiede haben strukturelle Ursachen: „Die Mehrbelastung von Lehrkräften an Gymnasien und beruflichen Schulen resultiert aus der hohen Zahl an Korrekturarbeiten, der Verantwortung für Abschlussprüfungen und einem überdurchschnittlichen Anteil an organisatorischen Aufgaben.“ Die Autoren betonen, dass sich die zeitliche Belastung über das Jahr hinweg zwar teilweise ausgleicht, „die strukturellen Unterschiede zwischen Schularten jedoch bestehen bleiben“.
Betont wird allerdings auch: Lehrkräfte an Grund- und Förderschulen arbeiten zwar im Schnitt weniger Stunden, empfinden ihre Arbeit aber dennoch als stark beanspruchend. „Während Gymnasiallehrkräfte zeitlich stark überlastet sind, erleben Grundschullehrkräfte trotz geringerer Arbeitszeit eine vergleichbare Beanspruchung“, stellt der Bericht fest. Die emotionale Anforderung, die heterogene Schülerschaft und die vielen pädagogischen Zusatzaufgaben im Ganztag werden als Gründe genannt. „Eine geringere Wochenarbeitszeit ist nicht gleichzusetzen mit geringerer Beanspruchung. Pädagogische und emotionale Anforderungen sind in diesen Gruppen teilweise besonders hoch.“
Innerhalb der Schulformen: Korrekturfächer treiben die Arbeitszeit
Überraschender Befund: Besonders groß sind die zeitlichen Unterschiede allerdings nicht zwischen den Schularten – sondern innerhalb. Die AZU stellt fest: „Die Unterschiede innerhalb der Schularten sind erheblich. Fächer mit hohem Korrekturaufwand weisen deutlich höhere Arbeitszeiten auf als Fächer mit geringerer Nachbereitung.“
Lehrkräfte in Fächern wie Deutsch, Englisch oder Französisch arbeiten im Mittel mehrere Stunden pro Woche länger als Kolleginnen und Kollegen in naturwissenschaftlichen oder musisch-praktischen Fächern. Diese Differenz zieht sich durch alle Schularten – ist aber an Gymnasien am ausgeprägtesten.
Der Bericht stellt fest: „Dabei gilt zu beachten, dass ‚Korrektur‘ einen vergleichsweise hohen Anteil der Arbeitszeit von Gymnasiallehrkräften ausmachte … Gleichzeitig scheint der Anteil von ‚Korrektur‘ unabhängig von Mehr- oder Minderarbeit zu sein.“ Das bedeutet: Korrekturen sind zeitlich weitgehend vorgegeben – durch Schulart, Klassenstufe und Prüfungsformate. Hinzu kommen Zusatzfunktionen wie Klassenleitung, Fachbetreuung oder Mitarbeit in Steuergruppen, die den wöchentlichen Aufwand laut Bericht „im Mittel um vier bis fünf Stunden“ erhöhen. Der Bericht spricht von einer „ungleichen Belastungsverteilung“, die sich nicht aus individuellen Faktoren, sondern aus der Struktur der Arbeitsorganisation ergibt.
Rackles: „Das Deputatsmodell ist ungerecht“
Diese strukturelle Schieflage hatte bereits ein Gutachten des früheren Berliner Bildungsstaatssekretärs und heutigen Bremer Bildungssenators Mark Rackles (SPD) aus dem Jahr 2023 beleuchtet. Rackles analysierte darin im Auftrag der Telekom Stiftung die Lehrerarbeitszeit in Deutschland insgesamt – und sprach von einer „strukturell ungerechten Verteilung“. Er betonte: „Lehrkräfte leisten zwar formal die gleiche Wochenstundenzahl, faktisch aber höchst unterschiedliche Gesamtarbeitszeiten. Die Gleichbehandlung im Deputat führt zu realer Ungleichbehandlung.“
Rackles argumentierte, dass das gegenwärtige System der Unterrichtsverpflichtungen die komplexe Realität der Lehrerarbeit nicht abbildet. Während alle Lehrkräfte dieselbe Zahl an Unterrichtsstunden zu leisten haben, unterscheide sich der tatsächliche Zeitaufwand je nach Fach, Schulart und Zusatzverantwortung erheblich. „Die derzeitige Deputatsregelung berücksichtigt Korrekturaufwand, Abiturprüfungsvorbereitung, Projektkoordination oder Elternarbeit in keiner Weise ausreichend“, schrieb er.
Er nannte drei Hauptquellen der Ungerechtigkeit:
- Fachabhängiger Zeitaufwand – Korrekturfächer mit schriftlichen Prüfungen verursachen überdurchschnittlich viel Nacharbeit.
- Ungleichgewicht zwischen Schularten – Lehrkräfte an Gymnasien und beruflichen Schulen leisten deutlich mehr Stunden, ohne entsprechenden Ausgleich.
- Mangelnde Erfassung außerunterrichtlicher Tätigkeiten – insbesondere Schulentwicklung, Inklusion, Elternkommunikation und Ganztagskoordination.
„Die ungleiche Belastungsverteilung ist nicht nur pädagogisch, sondern auch arbeitsrechtlich problematisch“, heißt es in seinem Gutachten. „Gleiche Unterrichtsverpflichtung darf nicht länger als Synonym für gleiche Arbeitsbelastung gelten.“ Rackles plädierte für eine grundlegende Neuordnung der Lehrerarbeitszeit: „Die Zuweisung von Arbeitszeit nach Deputatstunden ist international überholt und abzulösen durch ein neues Zuweisungsmodell mit höherer Transparenz und Gerechtigkeit.“
Er schlug ein Jahresarbeitszeitmodell vor, das alle Tätigkeiten erfasst – Unterricht, Korrekturen, außerunterrichtliche Aufgaben – und in dem fächer- und schulartspezifische Unterschiede verbindlich berücksichtigt werden. „Nur wenn die reale Arbeitszeit differenziert erfasst und gesteuert wird, kann eine gerechte Verteilung erreicht werden“, schrieb Rackles. „Das jetzige System erzeugt strukturelle Mehrarbeit für bestimmte Gruppen von Lehrkräften, ohne dass dies sichtbar oder ausgleichbar wäre.“ Und das sei, so Rackles, „weder rechtlich noch pädagogisch zu rechtfertigen“.
Die sächsische AZU bestätigt den Befund. Das Fazit der Autoren lässt keinen Zweifel: „Das Deputatssystem bildet die Vielfalt der Tätigkeiten und Anforderungen nicht adäquat ab.“ News4teachers
Hier lässt sich das vollständige Gutachten von Mark Rackles herunterladen.