LUDWIGSHAFEN. Eine Schule im Ausnahmezustand: Nach wiederholten Amokaldrohungen und einem Messerangriff auf eine Lehrerin schlagen die Pädagogen der Karolina-Burger-Realschule Plus in Ludwigshafen Alarm. In einem Brandbrief berichten sie von Gewalt, Angst und unhaltbaren Zuständen – und finden endlich Gehör: Bildungsminister Sven Teuber reist an, die CDU spricht von einem „Skandal“, die GEW fordert Schutz für die Lehrkräfte. Doch der Fall zeigt: Das Problem reicht weit über eine Schule hinaus.

Es war kurz nach Unterrichtsbeginn, als die Schülerin plötzlich mit einem Messer im Lehrerzimmer stand. Am 29. Mai dieses Jahres drang eine 16-Jährige an der Karolina-Burger-Realschule Plus in Ludwigshafen-Mundenheim mit einer Klinge in der Hand in den Raum ein, bedrohte eine Lehrerin – und löste eine Panik aus, die im gesamten Kollegium nachhallt. Laut Polizei blieb zwar niemand verletzt, doch der Schock sitzt bis heute tief. Die Jugendliche wurde schließlich in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen, die Staatsanwaltschaft geht von versuchtem Totschlag aus.
Der Vorfall war kein Einzelfall an der Schule, sondern der dramatische Höhepunkt einer Entwicklung, die viele Lehrkräfte an den Rand der Verzweiflung gebracht hat. Nur Wochen später wandten sich die Lehrerinnen und Lehrer in einem zehnseitigen Brandbrief an die Schulaufsichtsbehörde – ein Hilferuf, unterzeichnet von allen Mitgliedern des Kollegiums.
Gewalt, Drohungen, Fäkalien: ein Schulalltag im Ausnahmezustand
Wie der „Mannheimer Morgen“ berichtet, schildert das Schreiben Zustände, die jede Vorstellung von normalem Unterricht sprengen. „Ich schieße euch alle ab“, soll ein Schüler gerufen haben. Eine andere Lehrerin wurde gefragt, ob sie keine Angst habe, „dass jemand sie von hinten absticht“.
Der Brief listet eine erschütternde Vielzahl von Vorfällen auf: Lehrkräfte, die mit Büchern beworfen werden; sexualisierte Beschimpfungen; körperliche Übergriffe; Fake-Accounts von Lehrerinnen und Lehrern in sozialen Medien, über die gezielt beleidigt und diffamiert wird. Schüler zerstören Mobiliar, schlagen Löcher in Wände, zünden Böller in Klassenräumen.
Die hygienischen Zustände sind ebenso erschütternd. Überflutete Toiletten, beschmierte Wände, Urinlachen in Gängen. Schüler hätten sogar „im Kellergeschoss unter Treppen ihr Geschäft verrichtet“. Lehrkräfte mieden ganze Gebäudeteile, weil die Luft dort „unerträglich“ sei. Von 2022 bis 2024 registrierte die Polizei 121 Vorfälle an der Schule, davon 118 mit Strafanzeigen. Schon 2018 hatte ein SEK-Einsatz für Aufsehen gesorgt, nachdem ein Jugendlicher mit einer Pistole gesichtet worden war.
Überforderung auf allen Ebenen
Die Lehrkräfte sprechen in ihrem Schreiben offen von Überforderung. „Wir können so nicht mehr unterrichten“, heißt es darin. Über ein Dutzend Überlastungsanzeigen sei vor den Herbstferien eingereicht worden. Die Gewerkschaft GEW spricht von einer „Ausnahmesituation“. „Es gibt wirklich Kolleginnen, die Angst um ihr Leben haben“, sagte die Landesvorsitzende Christiane Herz dem Mannheimer Morgen.
Herz fordert drastische Veränderungen: kleinere Klassen, mehr Sozialarbeit, ständige Präsenz von Schulaufsicht und Polizei – und in besonders schwierigen Klassenräumen zwei Lehrkräfte gleichzeitig. Die Stadt Ludwigshafen habe verstärkten Schutz mit Hinweis auf ihre Finanzlage abgelehnt.
Die GEW zieht eine Parallele zur berüchtigten Rütli-Schule in Berlin-Neukölln, die 2006 wegen massiver Gewaltprobleme bundesweit Schlagzeilen machte – und mit massiven Investitionen später zu einem Vorzeigemodell wurde. „Dort hat man gezeigt, dass es geht, wenn man ernsthaft investiert“, sagt Herz. „Das müsste auch hier passieren.“
Was ist eine „Realschule plus“?
Die Karolina-Burger-Realschule Plus ist Teil eines Schultyps, der in Rheinland-Pfalz 2009 eingeführt wurde. Realschulen plus kombinieren die Bildungsgänge von Hauptschule und Realschule, um mehr Durchlässigkeit zu schaffen. In ihnen lernen Kinder mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen – von leistungsstarken Realschülern bis zu Jugendlichen mit erheblichen Sprachdefiziten oder sozialen Problemen – gemeinsam in einem System.
Das Konzept soll Chancengleichheit fördern, führt aber in sozialen Brennpunkten wie Mundenheim-West oft zu Überforderung: Klassen mit bis zu 30 Schülerinnen und Schülern, extrem heterogener Leistungsstand, kaum Sprachförderung. Lehrkräfte sprechen von einem „System, das gute Ideen hatte, aber in der Realität zusammenbricht“.
Der Minister kommt – und spricht von „Null Toleranz“
Nach einem weiteren Amokalarm Ende Oktober, ausgelöst durch eine angeblich bewaffnete Person auf dem Schulhof, wurde die Schule erneut evakuiert. Kurz darauf kam Bildungsminister Sven Teuber (SPD) persönlich. Wie der SWR berichtet, sprach Teuber drei Stunden lang mit der Schulleitung, der Bürgermeisterin und Vertretern der Aufsichtsbehörde. Danach sagte er: „Es gibt null Toleranz für Gewalt, Mobbing und Rassismus.“ Man habe „konkrete Prozesse vereinbart, um die Belastung zu senken“. Details nannte er jedoch nicht.
Gleichzeitig wurde bekannt: Seit Jahresbeginn hatte die Feuerwehr bereits zehn Einsätze an der Schule – viele davon wegen mutwillig ausgelöster Alarme. Die Stadt sprach offen von „Fäkalienschmierereien“ an Wänden und Möbeln. Schülerinnen und Schüler berichteten dem SWR von Alltagsangst. „Manche bringen Messer oder Schlagringe mit“, sagte ein Neuntklässler. „Ich habe jeden Tag Angst“, so ein jüngerer Schüler.
CDU: „Schulen sind kein rechtsfreier Raum!“
Die Ludwigshafener CDU-Landtagsabgeordnete Marion Schneid sprach nach dem Ministerbesuch von einem „erschütternden“ Befund. In einer Pressemitteilung bezeichnete sie die Zustände an der Karolina-Burger-Realschule Plus als „dramatisch“ – mit Körperverletzungen, Messergewalt und unhaltbaren hygienischen Zuständen. Vom Bildungsminister erwarte sie, dass er die Sorgen der Lehrkräfte ernst nehme und konkrete Schutz- und Präventionsmaßnahmen einleite. Es könne nicht sein, dass Lehrkräfte „beschimpft und bedroht“ würden; das Kollegium habe mit seinem öffentlichen Hilferuf „mutig gehandelt“.
Zugleich kritisierte Schneid das rheinland-pfälzische Bildungssystem grundsätzlich. Schon das Beispiel der Gräfenauschule habe gezeigt, wie groß die Probleme mit Sprachdefiziten und sozialen Konflikten seien. In einer Realschule Plus, wo leistungsstarke und -schwache Kinder gemeinsam lernen, stoße das System endgültig an seine Grenzen. „Schulen dürfen kein rechtsfreier Raum sein“, mahnt sie. Gewalt dürfe in Klassenzimmern „niemals einen Platz haben“ – und müsse spürbare Konsequenzen haben.
Eine Stadt mit vielen Baustellen: Die Parallele zur Gräfenauschule
Hintergrund: Die Karolina-Burger-Realschule Plus ist nicht die erste Schule in Ludwigshafen, die bundesweit Schlagzeilen macht. Schon 2023 geriet die Gräfenauschule, eine Grundschule in einem benachbarten Stadtteil, in die Schlagzeilen – ebenfalls wegen Überforderung, Überlastung und Integrationsproblemen.
Dort mussten 39 von 126 Erstklässlern das Schuljahr wiederholen, fast ein Drittel. Im laufenden Schuljahr ist die Situation kaum besser: Von 147 Erstklässlern müssen laut Schulleitung 44 Kinder wiederholen. Nahezu alle Schülerinnen und Schüler haben einen Migrationshintergrund, viele sprechen kaum Deutsch, etliche waren nie in einem Kindergarten.
Rektorin Barbara Mächtle erklärte bereits im Frühjahr: „Oft sprechen die Kinder schlecht Deutsch oder kommen aus bildungsfernen Familien. Viele tun sich schwer, Strukturen des Schulalltags anzunehmen. Wir brauchen dringend andere Lösungen – etwa Sprachförderlehrkräfte oder vorbereitende Sprachkurse.“
Das Bildungsministerium versprach Unterstützung, doch bisher blieb der Effekt gering. Ministeriumssprecher erklärten zwar, man habe „zahlreiche Maßnahmen ergriffen“, diese bräuchten aber Zeit. Die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck trat 2023 aus Protest aus der SPD aus. Mit Blick auf Teubers Amtsvorgängerin sagte sie seinerzeit: „Wenn Bildungsministerin Stefanie Hubig sagt, es wird keinen Ludwigshafener Sonderweg geben, kann ich nur sagen: Es muss einen geben!“ Die Situation an der Karolina-Burger-Realschule Plus scheint sie einmal mehr zu bestätigen. News4teachers
Markus Lanz: “Das System ist offensichtlich dysfunktional” – Schulleitende berichten






Zitat: Lehrkräfte sprechen von einem „System, das gute Ideen hatte, aber in der Realität zusammenbricht“.
Das fasst die ganze Bildungsmisere eines verwässerten Schulsystems (nicht nur in Ludwigshafen) gut zusammen. Je heterogener eine Schülerschaft ist, umso mehr Konflikte entstehen. Hier würde auch Herr Rupanner aus Wutöschingen mit Lernateliers und dem Abschaffen von Noten nicht weit kommen. Auch ein oder zwei Schulsozialarbeiter holen diesen Karren nicht mehr aus dem Dreck. Und nein, auch ein pädagogischer Tag für die Lehrkräfte bringt hier nichts mehr.
Hm, so langsam gewöhnt man sich an diese Brandbriefe. Ist das nicht schlimm? Wir lesen sie, regen uns auf und machen weiter wie bisher.
Da haben die Lehrpersonen die SuS wohl einfach nur nicht ausreichend gefördert!
Sonst wäre die Situation niemals so eskaliert.
Am Schultypus und den Ressourcen darf es ja nicht liegen.
Früher gab es eine Einschulungsuntersuchung, bei der Kinder zeigen mussten, dass sie schulfähig sind. Das geschah mit einfachen Übungen und Fragen und in Zusammenarbeit mit Kindergärten, die Grundkompetenzen eingeübt haben (Vorschule: alle Kinder, due daran teilnehmen durften, waren stolz darauf!).
Kinder, die nicht wissen,
wie man einen Stift hält,
wie man etwas ausschneiden,
wie man etwas ordentlich ausmalt,
wie man Schwünge an bestimmte Plätze schreibt,
wie man auf einem Baumstamm balanciert,
wie man Schuhe anzieht,
wie man eine Jacke anzieht,
wie man einen ganzen Satz spricht,
wie man eine Weile still sitzt, auch wenn man nicht dran ist,
wie man ruhig arbeitet,
wie man eine Anweisung befolgt, auch wenn man keine Lust hat,
wie man respektvoll mit Mitmenschen umgeht,
usw …
… und deren Wortschatz nicht dem Einschulungsniveau entspricht …
… müssen erst in einer Vorschule schulfähig gemacht werden.
Dies gilt auch für ältere Jahrgänge – also für JEDEN, der erstmalig in eine Schule in Deutschland eingeschult wird.
NUR DANN kann man fachlich weiterarbeiten und die soziale Kompetenz ausbauen.
Solange jemand NICHT SCHULFÄHIG ist, kann die Person auch keine Schule besuchen. Die Schulfähigkeit muss VOR der Einschulung erlangt und festgestellt werden.
Sollte in der Schule festgestellt werden, dass jemand versehentlich eingeschult wurde, so muss die Person zurückgestuft werden, bis sie die Schulfähigkeit erlangt hat.
ERST DANN könne Lehrkräfte so arbeiten, wie es vorgesehen ist.
Nachtrag:
Kinder, die mit Traumata wegen ihrer Vorgeschichte in Deutschland ankommen, müssen ebenfalls aufgefangen werden. Das kann man nicht einfach unter den Tisch kehren und so tun, als wäre nichts passiert.
Schulen können das alleine nicht auffangen.
Eltern mit den gleichen Erfahrungen können da auch nicht helfen, die brauchen Hilfe.
Wie soll das alles gehen??
„Die Stadt Ludwigshafen habe verstärkten Schutz mit Hinweis auf ihre Finanzlage abgelehnt.“
Da kann man doch garnicht so viel kotzen, wie man gerne würde. Eine Schande.